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Tagebücher aus der Schwangerschaft

Eine neue wunderbare, aufregende und vielleicht auch lang erwartete Lebenszeit beginnt. Für unsere Tagebücher-Blogs haben wir immer 3-4 schwangere Frauen in unterschiedlicher Schwangerschaftsphase, die in freudiger Erwartung über jede Woche dieser spannenden Zeit schreiben, uns und die vielen tausend Follower:innen daran teilhaben lassen und damit unvergessliche Momente schaffen.
41. Schwangerschaftswoche

Hochwasser statt Fruchtwasser

Eine Woche wie aus dem Katastrophenfilm: Starkregen, Überschwemmung und die Frage „was nun?“ und ein Baby, was sich vor dieser Welt scheut.

…2… (Dienstag)
Es geht weiter in unserem Countdown. Unser Schlumpf ist bei der Tagesmutter. Mein Mann und ich sind den Vormittag noch beschäftigt zu putzen und aufzuräumen. Aber es ist alles entspannt. Ich bin aufgeregt. Wird es heute passieren? Oder morgen? Oder doch erst am ET?
Nachmittags treffe ich mich mit zwei Freundinnen und ihren Kindern. Drei Zweijährige, ein 6-Monate altes Baby und ein Neugeborenes. Wir sind eine lustige Runde und es entspannt. Die Kinder sind vor allem mit sich selbst beschäftigt und ich sehe die nächsten 6 Monate förmlich vor meinen Augen. Es ist Wahnsinn wie klein Babys zu Beginn sind und wie schnell sie wachsen.
Abends bringen wir unseren Schlumpf ins Bett. Wir sind beide unruhig. Morgen ist ET-1, irgendwie ominös.

…1… (Mittwoch)
Eigentlich möchte ich, dass der Tag einfach ganz schnell vorbeigeht. Seit gestern Abend bin ich unruhig. Es ist irrational, aber was wenn es wieder passiert, was wenn ich mich wieder nicht an den Tag vor ET erinnern kann? Ich glaube, deswegen war ich so davon überzeugt, dass das Baby früher kommt. Einfach um diesen Tag zu umgehen.
Die Nacht war bescheiden und ich habe sie bei unserem Schlumpf verbracht. Ich fühle mich gerädert und bin froh, dass heute nichts großes geplant ist. Eine Freundin kommt für einen Kaffee vorbei, danach steht einfach nur Beschäftigungstherapie für uns alle drei an. Auch mein Mann ist angespannt und den ganzen Tag regnet es: es gibt sogar eine Unwetterwarnung. Es ist der Wahnsinn, was dort an Wassermassen runterkommt. Bis zum Abend haben wir einen Minitümpel am Ende des Gartens. Logisch es wird ein paar Stunden dauern bis das Wasser versickert. Bei soviel Regen in letzter Zeit sind die Böden zwar aufnahmefähig, aber irgendwann ist Schluss.
Wir gehen ins Bett, froh, dass der Tag vorbei ist und sind gespannt auf den nächsten Tag.

…be careful what you wish for…

…0… (Donnerstag)
Heute sollte entspannt werden: Akupunktur und Vorsorge und einfach genießen, dass alles soweit fertig ist. Vielleicht das ein oder andere ausprobieren, um die Geburt in Gang zu bringen, aber alles in allem es ruhig angehen lassen und drei Kreuze machen, dass die Unwetter vom Vortag sich im Rahmen gehalten hatten.
Pustekuchen…
Um 5:24 Uhr wird bei uns Sturm geklingelt. Kurz vorher hatte der gemeindliche Katastrophenalarm durch die Straßen gehallt. Ich hatte den aber perfekt in meinen Traum eingearbeitet (mich im Traum über die gottlose Zeit gewundert, um die Anlage zu testen, aber bin nicht davon hochgeschreckt) und er ist nicht so unangenehm laut, dass man ihn nicht einfach ausblenden kann.
Unsere Nachbarin stand aufgelöst vor der Tür. Bei ihnen würde es schon in den Keller laufen…deren Schwimmteich wahrscheinlich als Ursache. Ich bin etwas beruhigt. Das Nachbargrundstück liegt um einiges tiefer als unseres. Wir bieten unsere Hilfe an, sie wiegelt ab. Ein Blick in den Garten und wir sind schon ein bisschen geschockt. Die Hälfte steht in einer braunen Brühe, aber dort ist es auch abschüssig. Wobei soviel Wasser kommt nicht aus dem Miniteich von nebenan. Das bedeutet, dass der Bolzplatz, das Fußballfeld und die Laufbahn dahinter auch schon unter Wasser sind. Denn erst dahinter liegt die Erft.
Wir sind verwirrt, was machen wir jetzt? Anziehen und dann klingelt es wieder: Autos müssen aus der Straße raus. Bei uns ist die Einfahrt noch trocken, verstehe die Eile nicht ganz. Es regnet nicht mehr, jetzt dürfte doch eigentlich nichts mehr kommen. Es ist mein erstes Unwetter diesen Ausmaßes und was ich nicht berücksichtige: ein Fluss kommt von irgendwo her und die Frage ist nicht, was passiert bei uns, sondern vielmehr was passiert dort, wo das Wasser herkommt?
Mein Mann fährt das Auto raus auf die Hauptstrasse, die um einiges höher liegt.
In der Zwischenzeit habe ich den Wasserstand im Garten mit einem Kinderspaten markiert. Das Wasser steigt aber langsam und eigentlich sollten unser Haus und Keller sicher sein. Aber ich hab die Strasse nicht im Blick und auch nicht welche Wassermassen im Wendehammer auf die Strasse drücken.
Ich stelle meine Kliniktasche an die Tür und wir tragen eine Kommode aus dem Keller hoch ins EG, falls wirklich das Wasser bis auf die Terrasse und die Abböschung zu den Fenster unseres Schlafzimmers kommen würde. Und plötzlich ist alles anders. Ein Blick aus dem Küchenfenster und das Wasser auf der Straße ist nicht mehr nur in 100 Meter zu erahnen, sondern hat den kompletten Vorgarten unter Wasser gesetzt. 10 Zentimeter und es wird in die Kellerschächte fließen. Ich in meiner unverbesserlichen Weisheit, Moment Dummheit, renne in den Keller. Die Fenster sind zu. Mein Mann legt noch Erdsäcke auf die Schächte, damit das Wasser nicht zu schnell reinfließt und wer weiß vielleicht dichtet es ja ab. (Nein, tut es nicht!) Aber mein Vorschlag war trotzdem gut. So kann das Wasser nur langsam in die Schächte fließen und nicht in einem Schwall.
Und dann kommt das Wasser. Braune Brühe fließt langsam die weißen Wände runter in den Hauswirtschaftsraum. Mein Mann und ich hechten ins Schlafzimmer und packen noch Unterwäsche und Socken ein. Für mehr ist keine Zeit. Nicht, dass die Fenster nicht standhalten. Vor das Schlafzimmer legen wir noch die Dreckwäsche und Handtücher (süß, was man so in dem Moment denkt, was das Wasser abhalten könnte…). Wir rennen hoch zu unserem Sohn, holen ihn aus dem Bett im Schlafsack und allem, greifen uns die gepackte Tüte mit den Windeln, Überhosen und Klamotten für ihn und machen uns auf. Normale Schuhe ist nicht mehr. Das Wasser ist jetzt bis oben an der Einfahrt und an der Kante zur Eingangsstufe. Gummistiefel an, Tasche über der einen Schulter, Kind auf dem Arm und Klinikkoffer in der anderen, wate ich 40+0 durch unsere Einfahrt. Und dann stehen wir auf der Straße und sehen zu wie unser Haus von den Wassermassen vereinnahmt wird, wie es in den Garten strömt.
Es ist still in mir drin. Ich versuche nicht zu denken, nicht daran, was hätte passieren können, wenn die Nachbarn nicht geklingelt hätten, wenn der Damm gebrochen und nicht nur übergelaufen wäre. Nicht zu denken, dass im Keller so viele Sachen gerade in Brauner Grütze untergehen: das Beistellbett, der Newbornaufsatz für den Hochstuhl, die Babytrage, das Stillkissen, die Babyklamotten und Schlafanzüge, Spuktücher, meine Tagebücher, mein Hochzeitskleid, unsere ganzen Klamotten, Taschen, Computer, Spiele, Fotos, unser PV-Speicher.
Es sind alles nur „Sachen“, aber viele mit sentimentalen Wert, viele Sachen, an die man Hoffnungen und Träume knüpft oder auch nur die Aufregung auf unser Baby. Und plötzlich ist alles weg. Und dann die Frage, wieso haben wir nicht schneller reagiert? Sachen hochgetragen?
Ganz einfach, wir haben uns verschätzt. Wir haben uns nur auf unsere Gemeinde fokussiert und nicht darauf, was passiert, wenn die Auffangbecken in anderen Gebieten an ihre Kapazität kommen, wenn Talsperren dem Wasserdruck nicht standhalten, Dämme Überlaufen, wenn natürliche Überschwemmungsgebiete bebaut und versiegelt werden…
Es geht weiter zum Auto. Und dort sitzen wir erst mal. Was nun? Zu meinen Eltern? Zu meinen Schwestern nach Köln? Was ist mit dem Haus. Können wir das alleine lassen? Stromausfall, das Netz ist weg. Man erreicht weder Freunde in der Gemeinde noch jemanden außerhalb. Und plötzlich wird einem einmal mehr bewusst, wie abhängig wir von diesen kleinen schwarzen Bildschirmen in der Hand sind. Nachbarn treffen sich auf der Straße, aber jeder hat andere Informationen. Die Hilfsbereitschaft ist immens, ebenso die Gastfreundschaft derer, die in höherer Lagen wohnen. Wie kann man helfen? Momentan gar nicht. Solange das Wasser kommt, kann man nichts machen außer warten.
Wir fahren zum Supermarkt. Wir haben nichts zu essen dabei und auch keine Getränke. Der Supermarkt macht gerade dicht…Stromausfall: mein Mann kriegt die letzten Brötchen und drei Flaschen Wasser. Und dann stehen wir auf dem Parkplatz. Wir fahren nochmal zu unserer Straße. Das Wasser strömt immer noch ums Haus und jetzt riecht es wie eine Tankstelle. Irgendwo ist Heizöl ausgelaufen. Mir kommen die Tränen, wenn es bei uns reinläuft, dann kann wirklich alles weg.
Wir versuchen unser Glück nach Köln. Nicht, dass es hinterher losgeht und wir kommen nicht mehr raus zur Klinik. Wir schaffen es nach Köln, sogar recht entspannt. Dort angekommen hören wir, dass die Gemeinde abgeriegelt ist. Die Hundertschaft ist da und patrouilliert die evakuierten Gebiete. Auch unsere Straße.
Es ist 9:30 Uhr und ich fühle mich als hätten wir einen Tag hinter uns. Wir warten und warten und reagieren nur abgestumpft. Man kann nichts planen, nichts vorbereiten. Es zermürbt. Sowieso soll ich doch eh nichts machen, ich soll mich aufs Baby konzentrieren. Ja, danke auch…das hilft wahnsinnig. Mein Mann ist sehr still und ich krieg das Gefühl, dass er das nur macht, weil er Angst hat, dass ich in Aktionismus verfalle oder vergesse, dass ich eigentlich hochschwanger bin…
So kriecht der Tag vor sich hin. Ich kann weder die Hebamme in Erftstadt erreichen noch meine Frauenärztin in Swisttal. Wie es konkret bei denen aussieht, weiß man nicht. Beide Orte sind ärger betroffen als wir, aber belastbare Informationen bekommt man eigentlich nicht. Ich versuche die Klinik, ob ich da die Möglichkeit habe, die Vorsorge machen zu lassen. Mein Bauch ist sehr ruhig und es macht mich nervös. Aber auch die sind überlastet.
Sporadisch kommen Nachrichten über WhatsApp durch, wie die Lage vor Ort ist. Bei uns unverändert, an anderen Stellen um einiges ärger.
Meine Schwester baut uns ein Bettenlager. Unseren Schlumpf zum Schlafen zu bewegen ist ein Abenteuer. Wir sind durch, er ist durch. Aber er ist aufgedreht und er will nicht hier schlafen. Er will nach Hause…endlich schläft er zwischen uns ein. Und da liegen wir zu dritt auf ein Meter vierzig. In der Nacht migriert mein Mann auf den Schlafsessel direkt daneben. Bequem ist trotzdem anders.

…-1… (Freitag)
Ich bin um 6 Uhr wach. Ich fühl mich gerädert und bin einmal mehr froh, dass wir eigentlich nicht mehr in der Stadt wohnen. Es ist einfach viel lauter. Zudem lebt man gefühlt in einer Parallelwelt. In Köln geht das Leben weiter, während eine halbe Stunde entfernt, die Welt für viele untergeht.
Meine Schwester organisiert einen Termin bei ihrer Frauenärztin für mich. Ich bin schon die dritte, die so einen Vorsorgetermin bekommt. Die Praxis ist wunderbar, die Ärztin ruhig und sympathisch. Alles sieht gut aus. Keine Anzeichen, dass es losgeht. Gefühlt bin ich seit Donnerstagfrüh so verspannt zwischen Bauchnabel und Knien, dass da eh kein Durchkommen wäre. Irgendwie muss ich in meinen Entspannungsmodus wieder reinfinden…denn dass es kommt, steht ja außer Frage.
Danach gibt es Mittag und wir machen einen Plan. Wir werden rüberfahren. Einmal schauen wie es aussieht, was wirklich kaputt, überschwemmt etc. ist. Vorher gehen wir einkaufen. Die Trinkwasserversorgung ist nicht sichergestellt. Wir packen das Auto voll mit Flaschen für Freunde, Nachbarn und jeden, der uns sonstso über den Weg läuft. Meine Schwester ist eine Heldin und besorgt einen Generator und eine Pumpe über Freunde. Mein Bruder kommt aus Aachen. Kolleg:innen kommen aus Köln bewaffnet mit Putzzeug, Eimern und Gummistiefeln.
Wir fahren los. Der Schlumpf ist auch mit dabei und der Plan geht auf: er schläft im Auto ein.
Wir kommen an und haben einmal mehr Glück im Unglück. Das Haus riecht nicht nach Öl. Es hat uns verschont!
Der Keller ist wirklich randvoll gelaufen. Das EG aber weitestgehend trocken geblieben. Das was an Wasser da war, ist offenbar in den Keller abgeflossen. Nur an der Erde sieht man, bis wohin es gekommen ist. Das Haus riecht sogar recht angenehm: nach Heilerde.
Nachbarn von uns haben eine Hochleistungspumpe. So können wir parallel pumpen. Was da pro Minute in den Kanalabflüssen verschwindet, ist der Wahnsinn. Trotzdem dauert es Stunden. Mein Kollege kümmert sich rührend um unseren Schlumpf. Der hat einen Narren an ihm gefressen. Stundenlang laufen sie durch den Garten, dort, wo das Wasser noch steht und sagen bei jedem Schritt „Pitsch, patsch.“
Langsam wird der Keller leerer. Unsere Klamotten sind saudreckig, aber mit viel Liebe werden sie vielleicht wieder sauber.
Von den Möbeln haben nur zwei alte Truhen überlebt. Die anderen Sachen sind verzogen oder aufgeplatzt. Aber auf den zweiten Blick alles halb so schlimm. Für ein Beistellbett haben wir bereits so viele Leihangebote, dass wir eine ganze Kita damit ausstatten könnten. Die manduca habe ich noch nicht gefunden, aber vielleicht war ich doch so schlau und hatte sie schon im EG verstaut. Der Neugeborenenaufsatz für den Hochstuhl lässt sich abbrausen. Der Bezug wird aktuell gewaschen. Jeder bietet die Waschmaschine an. Es ist wirklich der Wahnsinn!
Und plötzlich bin ich ruhig, entspannter. Nein, es ist nicht alles so wie geplant. Und in dem Moment, wo ich von der Wunschvorstellung loslasse, von dem irrationalen Gedanken „aber es war doch jetzt alles fertig und geputzt und gewaschen und perfekt vorbereitet!“, kann ich wieder lachen und sehen, wie es wirklich ist: uns geht es gut. Wir sind gesund und unversehrt, wir kriegen das hin. Es sind wirklich nur Sachen, ganz losgelöst von dem emotionalen Wert, den ich ihnen gebe. Egal wie, wir kriegen das hin. Es ist am Ende nur eine kleine Schramme gewesen, nichts im Vergleich zu den Schicksalen, die jetzt doch hier und da durchkommen. Wir haben nicht alles oder jemanden verloren. Uns sind bloß die Füße etwas nass geworden. Andere haben nichts, vermissen Freunde und Verwandte oder stecken nach wie vor „blind“ und ohne Verbindung in ihren Situationen fest. Und dafür bekomme ich schon wieder ein schlechtes Gewissen. Wie haben wir das verdient? Die Frage darf man sich eigentlich gar nicht stellen, sondern weitergeben, was man kann: von Geräten, über notwendiges Material, was verfügbar ist, über Wasserflaschen oder zumindest ein offenes Ohr, um das zu lindern, was zu lindern ist.

…-2… (Samstag)
Die Nacht ist nicht besser. Zwischendurch krampft der Bauch so sehr, dass ich aufwache, aber es tut sich nichts. Morgens lege ich mich im Wohnzimmer auf die Couch und bekomme noch eine Mütze entspannteren Schlaf.
Mit Vorbereitungen etc. sind wir mittags am Haus. Mir ging es nicht so gut vormittags und wir wollten nichts riskieren. Meine Schwestern waren schon vor Ort. Haben weiter ausgepumpt. In der Nacht ist Wasser von der anderen Doppelhaushälfte nachgelaufen…wir können die Hälfte also nochmal machen. Unsere Pumpe heute ist kleiner, das macht einen spürbaren Unterschied. Es dauert den ganzen Tag, um das Wasser abzupumpen. Jetzt sind es nur noch Zentimeter, aber die verursachen die meiste manuelle Arbeit.
Es sind wieder wahnsinnig viele Freunde, Familie und Bekannte gekommen, um zu helfen. Es ist beeindruckend, rührend und man weiß gar nicht, wie man danken soll. Ich fühl mich nutzlos. Ich bin dabei, aber mit der Bedingung nur zu sitzen. Und darauf achtet auch jeder akribisch…
Im Keller wird abgebaut, was abzubauen ist. Das Bett, die Einbauschränke, Rigipswände, Fussleisten, Türen. Die ursprünglichen Wände müssen freigelegt werden, damit die möglichst schnell trocknen können. Was da in wenigen Stunden an Schutt und Abfall zusammenkommt ist unvorstellbar. Unser Schlumpf macht den Tag über gut mit bis zum Mittagessen. Er schläft auf dem Arm meines Mannes ein und ich lege mich mit ihm oben in sein Zimmer. Es tut mir auch gut. Der Bauch entspannt sich wieder. Mein Sohn allerdings scheint etwas auszubrüten. Den Rest des Tages ist er bei mir auf dem Arm oder Schoß. Er starrt einfach vor sich hin und will kuscheln. Das ist untypisch und ich mache mir Sorgen. Um sieben machen wir Ende. Allen kannst Du ansehen, dass sie körperlich am Ende sind. Es ist das Kontrastprogramm zum Bürojob. Wir fahren nach Köln und geben Updates an Freunde in der Ferne.
Unser Schlumpf glüht. Er bekommt ein Zäpfchen und wir schicken Stoßgebete, dass es nichts ernstes ist.
Er schläft wieder zwischen uns ein. Ich schlafe nicht gut. Um sechs bin ich wieder wach, zwischendurch weckt mich der Bauch, aber es bleibt ruhig.

…-3… (Sonntag)
Mein Mann fährt früh zum Haus. Ich werde nach Köln auf die Couch verbannt. Unser Schlumpf ist bei mir. Ihm geht es nicht besser. Ich glaube, es ist eine Kombi aus allem und Magen-Darm.
Zwischen Bobo-Hörspielen und Schlafen kriecht der Tag vor sich hin. Mein Sohn ist ein Häufchen Elend, wenn auch ein pflegeleichter Kranker. Nur beim Thema Zäpfchen wird er zur Furie. Danach ist Tante erstmal wieder angesagt und Mama ist out.
Der Tag kriecht dahin, während ich bereits aus mangelnder Alternative recherchiere: Betten, Schränke, Waschmaschine etc.; in der Warteschleife der Versicherung hänge und mir Sorgen mache, denn ich hab von einigen immer noch nichts gehört. Meine Frauenärztin ist immer noch landunter und ich weiß nicht, wo ich die nächsten Vorsorgen mache (die Frauenärztin meiner Schwester ist im Urlaub) mit krankem Kleinkind, Aufräumaktionen parallel und einer Arbeitswoche, die morgen anfängt und die meisten einspannt.
Ich, ich, ich. Viel egoistischer kann der Bericht nicht werden…währenddessen kommen die nächsten Hiobsbotschaften aus anderen Gebieten in Deutschland und den Nachbarländern. Und die Bilder scheinen immer noch surreal - auch nach dieser Erfahrung. Es ist, als ob man einen Katastrophenfilm schaut. Die Schicksale dahinter sind für mich trotz allem nicht greifbar. Die Hand wandert zum offenen Mund, aber das Ausmaß ist einfach zu groß.

Und was ist mit dem eigentlichen Thema dieser Tagebücher: der Schwangerschaft?
Die Geburt scheint meilenweit weg. Ich scheine jedes Gefühl dahingehend verloren zu haben und auch die Vorstellung einer normalen Geburt scheint utopisch. Auch stehen wir vor der Frage, wie machen wir das jetzt? Ambulant oder doch nicht? Unseren Schlumpf kriegen wir unter diesen Umständen für mehrere Tage nicht unter und ich würde es auch nicht machen, gerade wegen der Umstände. Also doch nicht ambulant und dann alleine die Tage in der Klinik verbringen? Oder ambulant und dann im Zweifel zurück in die Wohnung meiner Schwester? Das Wochenbett in einer fremden Umgebung zu bestreiten, löst jedoch auch keine Ruhe bei mir aus. Eigentlich möchte ich nach Hause, sobald der Strom läuft. Zur Not für die nächsten Wochen und Monate auf die Gästecouch im Arbeitszimmer. Ich möchte, dass unser Schlumpf eine möglichst normale Umgebung hat, dass er die Kita-Eingewöhnung nach Möglichkeit ganz normal mitmachen kann. Von Köln zu pendeln jeden Morgen mit Papa während ich zurückbleibe, ist meines Erachtens suboptimal. Und auch wenn das Wochenbett ansteht und ich auch in nächster Zeit nicht körperlich wahnsinnig viel stemmen kann und vor allem sollte, so kann ich doch helfen zu koordinieren.
Bauchbaby reagiert auf die äußeren Einflüsse. Mittwochs war es wahnsinnig still im Bauch, so dass ich regelmäßig gestupst habe. Donnerstag wurde der Bauch aus Stress und Nervosität hart, aber ansonsten Ruhe. Heute war es mit der vielen Ruhe wieder wie immer. Regelmäßige Wach- und Schlafphasen und deutliches Feedback auf bestimmte Geräusche (den großen Bruder) oder Stupser von außen.

…-4… (Montag)
Die Nacht ist eine Katastrophe. Unser Schlumpf ist 3 Stunden wach und einfach verzweifelt. Er will nach Hause, schreit sich in Rage und hustet dann wild und weil der Rachen gerötet ist, tut das weh und es fängt alles wieder von vorne an.
Mein Mann und ich kommen beide an unsere Grenzen. Wir haben seit Mittwoch keine Nacht mehr anständig geschlafen und ich frage mich, wie ich da einen Geburtsmarathon durchstehen soll. Morgens um acht hängt mein Mann mit der Versicherung am Telefon. Ich rufe die Vertretung meiner Frauenarztpraxis an. Ich krieg einen Termin und auch diese sind wahnsinnig hilfsbereit, nett und freundlich. Auch für den Schlumpf kriegen wir einen Termin. Wir ziehen uns an, packen und es geht raus aus Köln. Auf dem Weg werden wir bombardiert mit Fragen: was braucht ihr? Wo kann man helfen? Viele Fragen lassen sich gar nicht beantworten, weil man an anderer Stelle noch auf Rückmeldung wartet.
Erster Stop: Kinderärztin. Unser Schlumpf hat einen Infekt. Viel machen kann man nicht, außer Geduld aufbringen. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass es nichts ernsteres ist. Gleichzeitig denke ich „Nein, nicht das auch noch.“
Danach geht es nach Brühl zur Frauenärztin. Dort sieht auch alles entspannt aus. Für einen Moment scheint es einen Lichtblick zu geben. Als ich mich im Labor setze, merke ich, dass etwas „läuft“. Erst denke ich panisch, dass ich jetzt doch noch eine Blasenschwäche bekomme. Auf der Toilette stelle ich aber fest, dass es kein Urin ist. Blasensprung? Und ist das andere vielleicht der Abgang des Schleimpfropfs? Ich hab keine Referenz und wenn der beschrieben wird, ist so ziemlich jede Möglichkeit und Konsistenz dabei. Trotzdem löst es bei mir Aufregung auf und mir huscht ein Grinsen übers Gesicht. Geht es vielleicht doch endlich los? Ich bin soweit, ich bin bereit. Ich möchte mein Baby in den Armen haben. Langsam scheint mir das sicherer als andersrum in meinem Bauch.
Danach fahren wir zu unserem Haus. Gestern wurde viel geschafft. Der Keller sieht schon fast wieder „sauber“ aus. Ich verziehe mich mit unserem Schlumpf ins Kinderzimmer. Er schwankt zwischen zuckersüß und einem Häufchen Elend. Ich bin ratlos, wie man so einen kleinen Zwerg beschäftigen soll und gleichzeitig Ruhe zur Genesung sicherstellt…
Wir sind wieder daheim. Irgendwie war der Tag gut und gleichzeitig wird die To Do Liste immer länger und der Zeithorizont zurück zur Normalität immer länger und ungenauer. Ich habe heute alles von „3 Wochen und dann ist es trocken“ bis zu „das wird Monate (Plural!) dauern“ gehört.
Der Bauch ist ruhig geblieben…und ich habe auch nicht wirklich mehr Flüssigkeit verloren. Morgen muss ich die Klinik anrufen. Die Frauenärztinnen übernehmen die weitere Vorsorge nicht mehr. Ich hab eine Überweisung zur Geburt bekommen.
Jetzt bin ich wieder hin und her gerissen zwischen „komm raus, dann eben ins Chaos” und “bleib noch bis Ende der Woche, vielleicht sieht die Welt dann schon ganz anders aus”…

Und damit belasse ich es für diese Woche. Bleibt gesund; bleibt stark, wenn Ihr ebenfalls betroffen seid; nehmt die Warnungen ernst, wenn sie kommen; nehmt Anteil, wenn Ihr verschont bleibt. Danke für alle, die helfen, spenden und einfach „da“ sind. Danke für den Zusammenhalt, den die Menschen jetzt beweisen, die Offenheit, die Angebote, die Gastfreundschaft - das ist die Welt, die ich meinen Kindern wünsche! ????

Ganz liebe Grüße

Philippa
immer noch mit Kugel
und mit Vorfreude, Angst, Unsicherheit und Aufregung im Herzen



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Kommentare von Lesern:

Philippa, Köln09.09.2021 08:20

Liebe Brygida, liebe Anita, liebe Jasmin und liebe Silke,
danke Euch für die Nachrichten.
Irgendwie sind die mir durchgegangen. Ja, es ist alles etwas anders als geplant gelaufen. Und beim Schreiben dachte ich auch erst: „Das glaubt doch kein Mensch! Hinterher meinen die, wir denken uns das am Küchentisch aus.“ Aber so ist das Leben - unberechenbar. Und wenn ich entspannt mit meiner Tochter jetzt kuscheln kann, oder meinen Sohn von der Kita abhole, dann kann ich das auch mit Distanz ganz philosophisch von mir geben. Wenn ich mir das Ausmaß aber anschaue und auch vor Augen führe, wie viel Glück wir wieder hatten und wie es anders hätte ausgehen können und für viele Menschen auch ausgegangen ist, dann sieht es bei mir drinnen auch schon wieder ganz anders aus.
Dann mache ich drei Kreuze und versuche jede Minute zu genießen, egal wie chaotisch, ungeplant und nervenaufreibend sie dann auch sind.
Alles Liebe Euch und danke, dass Ihr mitgelesen und gefiebert habt!
Philippa
PS: Danke, Jasmin, für den Hinweis! Gebe ich nochmal weiter.

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Brygida, München22.07.2021 22:46

Liebe Philippa,
dieses Bericht ist unglaublich furchteinflössend und zugleich spannend. Ich habe es zwar in etwa so, durch die Medienberichte von vergangenen Tagen schon erwartet, jedoch hat es noch eine andere Dimension, wenn man von einer quasi Freundin das Erlebte liest als "nur" über die Medienberichte von anderen, fremden Menschen. Ich habe schon nämlich deinen erstes Tagebuch vor zwei Jahren immer mit Aufmerksamkeit und Freude gelesen. Damals war das Ende der Schwangerschaft und die Geburt durch die plötzlichen medizinischen Komplikationen unschön und jetzt habt ihr erneut viel Sorgen durch diese Katastrophe erleben müssen. Du bist uglaublich stark!
Von dem, was du schreibst ist euer Haus&Hof zum Glück einigermaßen glimpflich davon gekommen; dieses Haus war ja ein Glücksfall für euch, wie du uns mal berichtet hast und man hatte immer wieder den Eindruck, dass ihr euch dort wohl fühlt. Ich hoffe sehr, dass die Schäden schnell beseitigt werden können. Vor allem drück ich euch und allen anderen Menschen in der Gegend die Daumen, dass die neuen Flutwellen, die fürs kommende Wochenende vorhergesagt sind, entweder großen Bogen um euch machen oder durch bessere Vorbereitung schneller in sicherere oder unbewohnte Gebiete umgelenkt werden.
Bin vor allem sehr gespannt wann sich nun endlich der kleine Bauchbewohner auf den Weg nach draußen macht! Aber vielleicht hat er schon das Licht der Welt erblickt, dann lässt du uns bestimmt zeitnah davon wissen.
Alles Gute!!

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Anita, Braunschweig22.07.2021 22:28

Liebe Philippa,
danke für deinen Bericht! Das hat mich wirklich mitgenommen.

Dir und deinen Lieben wünsche ich eine umso entspanntere Geburt und, dass über deinem Wochenbett und allem Chaos um euch doch ein himmlischer Frieden wacht und euch die nötige Ruhe schenkt.
Alles, alles Gute!

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Jasmin22.07.2021 09:13

Vielleicht mag die Redaktion nochmal das Ende von Tag 2 (Dienstag) editieren?

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Jasmin22.07.2021 00:11

Vielleicht mag die Redaktion nochmal das Ende von Tag 2 (Dienstag) editieren?

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Silke aus nordhessen21.07.2021 20:26

Danke für deinen Bericht, es war so spannend, erschreckend, aufregend was ihr in den letzten Tagen erlebt habt. Das braucht kein Mensch! Und toll, dass ihr so gut unterstützt wurdet. Ich wünsche euch noch gute letzte Tage oder Stunden bis zur Geburt!

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