… alleinerziehend mit Migrationshintergrund ...
Und so saß ich da, in der Sitzung, deinem Vater schräg gegenüber und versuchte mir vorzustellen, wie ich dicht an ihn herangehen würde um ihm auf den Schoß zu kotzen. Denn lieben darf ich ihn nicht mehr, weil er mir ein Verbot diesbezüglich erteilt hatte. Eine andere Frau hat jetzt die Befugnis, dies zu tun. Und es wäre auch seltsam, ihn zu lieben, weil er uns gerade an dem Morgen verlassen hat, an dem deine ungeplante Zeugung geschah. Kaffee mit unaufgeschäumter Milch war das letzte, was er zu sagen hatte. Nein, eigentlich hatte er damals nur mich verlassen, denn er will sich um dich kümmern. Du sollst zum wichtigsten Mensch in seinem Leben werden, so dein Vater. Und trotzdem darf ich ihn nicht mehr lieben, da es schmerzhaft ist. Da du mein Heulen spürst und mein Leid aufsaugst. Und Schmerzen wird es genug in deinem Leben geben. Ich bin da, um dir Liebe zu schenken, denn ich bin deine Mutter.
Also saß ich da, und habe mir immer wieder vorgestellt, wie ich ihm auf seinen Schoss kotze. Und die Kotze vermehrte sich und spritzte in verschiedene Richtungen, sogar auf sein wunderschönes Gesicht. Und die Vorstellung hätte auch bestimmt geholfen, wenn er ruhig geblieben wäre. Aber er tat es nicht. Und als er redete, strahlte sein ganzes Wesen. Und ich sah, wie seine Liebe zu dir spritzt, wie vorhin die imaginäre Kotze, und es war verdammt schwierig, ihn dabei als ekelig zu empfinden. Also versuchte ich, lediglich Gleichgültigkeit zu spüren. Und auch dies klappte sehr schlecht. Mein Stolz auf deinen Vater hat mich auch daran gehindert.
Ich muss zugeben, ich wollte keine Kinder haben. Klar, „sage niemals nie“, sagte ich mir und folgte dem Spruch, und schloss es nie wirklich aus. Vielleicht änderten sich meine Einstellung und Wünsche eines Tages, irgendwann im mittleren Alter, so ungefähr mit vierzig, wie bei Nicole Kidman, nachdem der Platz unter der Sonne bereits fest gesichert ist! Also schloss ich so etwas nie komplett aus. Aber vom ganzen Herzen wünschte ich mir keine Kinder. Nicht dass ich sie nicht liebe, diese kleinen Menschen, nein. Eher umgekehrt – ich behauptete, dass ich sie allzu sehr liebe, um sie auf diese Welt zu setzen. Denn wie könnte ich meinem eigenen Kind so etwas antun! Nein, andere sollen Kinder auf diese Welt bringen – ich werde mit denen nur spielen und reden, wie mit Erwachsenen. Manchmal sind sie auch viel klüger als jene.
Dein Vater denkt, dass er intelligent ist. Dies bestätigen ihm seine Freunde und seine Arbeit täglich. Er erweist sich aber als unintelligent genug, um dir diese endlosen ständigen Schmerzen noch im Mutterleib zuzufügen. Denn täglich bekommst du deine kleine Injektion von Leiden, und viel größere Portionen an den Tagen, an denen wir uns sehen oder voneinander hören. Deshalb meide ich deinen Vater. Und auch das tut weh. Manchmal wird dieser Schmerz so unerträglich, dass ich mich frage, wer sonst außer mir es ertragen könnte. Dann fange ich aber an, an alles, was in meiner Hausratversicherung aufgezählt wird, zu denken, insbesondere an Naturkatastrophen wie Sturm, Hagel, Überschwemmung, Erdbeben, Lawinen und Vulkanausbrüche. Es hilft, und ich fange an zu glauben, dass deine Kindheit schließlich gar nicht so schlimm anfängt.
Aber er weiß, dein Vater, dass ich die notwendige Kapazitäten dafür habe, um das alles zu überstehen. Dass ich nicht vom Rathaus springen und nicht mein Kopf in den Ofen stecken werde. Darum erhöht er permanent die tägliche Dosis. Das ist seine Art, deine noch nicht zu Ende geformten Nerven zu stärken. Auf diese fiese Weise bereitet er dich aufs fiese Leben vor. Und so bewegt er mich zum Schreiben.
Es macht aber doch irgendwie Spaß, auf der Seite der Verlassenen zu stehen. Weil es eine Herausforderung ist, bin ich davon überzeugt, dass ich dadurch stärker werde. Der neue Status öffnet eine Tür zu einer Reihe absolut neuer Gefühle. Er verändert und pflegt mein Wesen. Er bestätigt, dass ich wieder – und immer noch – am Leben bin. So wünschte ich mir manchmal, in meiner oft anfallenden Gleichgültigkeit, dass mir sogar etwas Grausames passiert. Denn dort, wo man aufhört, Glück oder Trauer zu spüren, stoppt das Leben. Weil Gleichgültigkeit dem Tode am nächsten liegt.
Vielleicht wünschte ich sogar unbewusst, meiner masochistischen Neigung gehorchend, verlassen zu werden. Denn jede Nacht, die wir mit deinem Vater zusammen verbracht haben, brachte mir psychische Erschöpfung und das Gefühl des ungestillten Hungers. Und jetzt bleibst du mir stattdessen, mein kleiner Vampir, saugst meine Energie und verschlingst alle meine Gedanken. Zwei Parasiten wären doch zu viel gewesen.