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Tagebücher aus der Schwangerschaft

Eine neue wunderbare, aufregende und vielleicht auch lang erwartete Lebenszeit beginnt. Für unsere Tagebücher-Blogs haben wir immer 3-4 schwangere Frauen in unterschiedlicher Schwangerschaftsphase, die in freudiger Erwartung über jede Woche dieser spannenden Zeit schreiben, uns und die vielen tausend Follower:innen daran teilhaben lassen und damit unvergessliche Momente schaffen.
16. Schwangerschaftswoche

Vom Embryo zum Fötus

Gedankensprünge: über Leo Tolstoy und Geburtstagsfeier vor dem Arzttermin

Eines Tages wirst du anfangen Fragen zu stellen, vor denen mir schon jetzt graut. Und je einfacher diese Fragen sind, desto schwieriger wird es wohl sein, sie zu beantworten. Wie soll ich dir Gott beschreiben? Ob Zeus und die anderen Götter aus den griechischen Mythen nicht genau solche historische Figuren sind, wie Churchill oder Socrates? So schien es mir zumindest in meiner eigenen Kindheit, als ich Kunstalben blätterte – „Schönheit ist Wahrheit“, sagte einer der Großen. Warum tun sich die Menschen gegenseitig weh, auch wenn sie an Karma glauben? Und wie soll ich dir erklären, dass wir nicht zusammen mit deinem Vater leben, weil es wohl das Beste für uns drei ist? Ob er uns beide noch liebt? Wo enden deine Fragen und wo beginnen meine? Weißt du, meine Liebe, ich glaube, ja. Und ich glaube, dass er es immer tun wird. Aber denk daran: Liebe ist vielfältig. „Wenn es so viele Seelen, wie es Menschen gibt, dann gibt es auch so viele Arten der Liebe, wie es Herzen gibt,“ sagte Anna Karenina. Ein Roman von Leo Tolstoy, lies es irgendwann! Ich habe viel gelesen, aber irgendwie planlos und vergnügungssüchtig. Lies lieber weniger, aber mit System. Konzeptionelles, geordnetes Denken solltest du von deinem Papa geerbt haben. Deiner Mama liegt mehr das Chaos zugrunde. Aber gerade im Chaos entsteht das Leben, wenn man Hesiod glaubt.

Wahrscheinlich werde ich bis dahin schon bereit sein, all deine Fragen mühelos zu beantworten, weil ich immer noch wachse, Erfahrungen sammle und vieles überdenke. Und genau das lernen wir alle im Laufe des Lebens – bloß nicht eine der natürlichsten Dinge für einen Menschen zu tun und zuzugeben, „Ich weiß es nicht!“ Stattdessen versuchen wir, durch Vermutungen und Überlegungen einer plausiblen Antwort möglichst nahe zu kommen. Und die Antworten werden nur noch neue Fragen hervorrufen.

Aber es muss interessant sein, deine Gedankenwege zu verfolgen – die Arbeit des Gehirns, das noch keine Konventionen kennt. Ich freue mich so sehr auf dich!

Vor zwei Monaten hast du wie ein Gespenst ausgesehen, vor einem Monat – wie ein außerirdisches Wesen, mit kleinen Glieder und riesigem Kopf. Jetzt siehst du wirklich menschlich aus. Du hast einen schönen Körper, lange Beine und du schläfst, wie deine Mama, auf dem Bauch. Die Ärztin meinte, du seiest jetzt 16 cm groß – ich nehme an, wenn man dich wie eine Wurst ausrollt. Sogar dein Status hat sich in der Zwischenzeit geändert. Du musst jetzt Fötus und nicht Embryo, genannt werden. Herzlichen Glückwunsch: In diesem Spiel bist du in die nächste Runde aufgestiegen.

Wieder wurde ein Termin beim Arzt zum großen Ereignis für mich und deinen Vater. Und diesmal umso größer, weil ich an dem Tag meinen 34. Geburtstag feierte. „Süßer Fratz“, sagte er auf dem Weg aus der Arztpraxis. Ich wusste nicht, was „Fratz“ zu bedeuten hatte. Für ihn war es bestimmt etwas Angenehmes. Für mich klang es eher nach einer Beleidigung. Siehst du, wie verschieden die Welten deiner Eltern sind, schon allein wegen der Sprache? Du hast eine schwierige Aufgabe vor dir – diese beiden Welten zu verstehen und lieb zu haben. Denn sie sind es gleichermaßen wert.

Wir trafen uns früh am Morgen vor dem Arzttermin in einem Kaffee und er schenkte mir die beste Karte meines Lebens und viele tolle kleine Geschenke; eins davon war sogar für dich bestimmt. Und wir träumten von dir und genossen unser Frühstück und wunderten uns über diese plötzlich entstandene, für uns beide beruhigende angenehme Atmosphäre. Und es war ungewöhnlich und schwierig, deinen Vater nach vier Wochen Einsamkeit wieder unter vier Augen zu sehen, ihn anzulächeln, anzusprechen, als ob wir gute alte Freunde wären, als ob es keine langen schlaflosen Nächte dazwischen gegeben hätte, an denen ich ihn verzweifelt in Gedanken fragte, „Bist du denn glücklich? Und wenn ja, wie kannst du es sein?!“ Ja, es kostete mich Mühe, da zu sein, seine Freundin und meine Trauer mental zu verdrängen, weil du es brauchst und verdienst, geliebt zu werden. Und welche Liebe könnten dir zwei streitende, sich gegenseitig hassende Menschen geben?

Zum Geburtstag schenkte ich mir selbst eine dreitägige Reise nach Köln zu meiner besten Freundin, die vor etwa einem Jahr der Arbeit wegen aus Berlin wegzog. Gleich nach dem Arzttermin bin ich verreist.



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Kommentare von Lesern:

saasaaaa16.06.2011 18:05

Zugenau

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Tanja, Haffkrug16.06.2010 10:49

Liebe Marina,
ich muß mich bei dir Entschuldigen. Den bei deinem ersten Beitrag hatte ich das gefühl, du haßt das Baby was in dir herran wächst. Aber dem ist nicht so. Schön das zu lesen. Ich drück dir die Daumen das alles so wird wie du es dir wünschst.

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Marina, Berlin14.06.2010 20:15

Liebe Anna, danke für diese Aufmerksamkeit (und gleich an alle anderen fürs Feedback und die tollen Tipps) – der Zeitunterschied ist wirklich nicht groß!
Ich hoffe, Du wirst damit einverstanden sein, dass jede Frau ihre kleinen Geheimnisse haben darf.

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Tina,Erftstadt14.06.2010 12:14

WOW!! Liebe Marina ich finde deine Art zu schreiben einfach unglaublich gut. Es ist wirklich ätzend unter welchen Umständen du die eigentlich mit schönste Zeit deines Lebens verbringen musst und ich kann deine Gefühle ehrlich gut nachempfinden. Ich wünsche dir von ganzem Herzen ein Happy End! (wie es auch immer aussehen mag)
Liebe Grüße Tina

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Anna14.06.2010 10:51

Liebe Marina, mal was ganz anderes, aber wenn Du am 15.11 deinen ET hast, bist du doch weiter als in der 16ten Woche
LG

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Gerd, Norddeutschland14.06.2010 10:16

Zu den Fragen, die kommen werden: Erstaunlicherweise schlucken Kinder die meisten Antworten ohne jede Probleme. "Ist halt so."
Eine Nachbarin machte sich auch so Gedanken, weil ihre Tochter adopiert ist. Was sagt man dann auf Fragen wie: „Mama, war ich auch in Deinem Bauch.?“
Die Siutation kam dann tatsächlich.
Tochter: „Mama, war ich auch in Deinem Bauch?“
Mama: „Nein, Du warst bei einer anderen Frau im Bauch.“
Tochter: „Ach so“.

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Embryo, Fötus, Arzttermin