...mit dem Geburtsvorbereitungskurs und Hebammensprechstunde
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Diesmal war im Kurs zur Geburtsvorbereitung ein Tag für Paare angekündigt. Unsere Leiterin hat letzte Woche gesagt, dass Männer nächstes Mal mitgebracht werden sollen. Denn es wird um die Geburt gehen und um die Rolle eines Partners (ich muss sie ständig korrigieren, da sie immer von einem „Mann“ spricht) dabei. Also habe ich da nach meiner Ankunft vier Paare hockend auf den Matten entdeckt. Jemand fragte mich, wer mir heute die Massage machen wird. Ich habe auf unsere Kursleiterin gezeigt und sie hat meine Worte gern bestätigt.
Und ich habe es nicht bereut: der Kurs an dem Tag hat besonders viel Spaß gemacht. Ich fungierte als Anschauungsmaterial: alle Übungen wurden erstmals an mir gezeigt und die anderen sollten sie dann nachahmen. Viele verschiedene Arten der Massagebewegungen hat die Leiterin an meinem Rücken ausprobiert und ich bekam wohl die beste Massage – sie hat ja mehr Erfahrung als sonst jemand. Wir haben uns alle ziemlich viel unterhalten und die Männer zeigten wirklich prima Bereitschaft, ihren Frauen während der Geburt zu helfen und die Schmerzen zu lindern. Sie kneteten, massierten, umarmten, streichelten ihre Frauen; sie gaben sich wirklich Mühe. Dabei sagte ein Mann seiner Frau so etwas wie: „Während der Geburt wirst du zum ersten Mal alles bestimmen dürfen“.
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Gerade war meine Hebamme da. Über zweieinhalb Stunden haben wir am Tisch gesessen und über alles Mögliche rund um die Geburt, Anschaffungen und auch mal andere, weit davon entfernte Themen, geredet. Sie ist genauso alt wie ich, hat aber fünfzehn Jahre Praxiserfahrung auf ihrem Gebiet hinter sich. Und es ist wirklich kein Wunder, dass ungeplante Hausgeburten, wie sie sagt, zu ihrem Verhängnis geworden sind. Irgendwie fühlt man sich geschützt in ihrer Nähe: sie strahlt gleichzeitig Autorität und Wärme aus. Ich könnte es mir gut vorstellen, mit ihr wegzugehen oder den ganzen Abend einfach so mit Quatschen zu verbringen. Und es muss auch so sein: eine Hebamme soll Sympathie und Vertrauen wecken. Eigentlich waren alle Hebammen, die ich schon kennen gelernt habe, in dieser Hinsicht ganz in Ordnung. Hier hat sich aber bestimmt mein Unterbewusstsein eingeschaltet – als ich sie vor ein paar Monaten gesehen habe, erinnerte sie mich gleich an eine Nachbarin aus meiner Kindheit, die oft bei Oma vorbeikam und mich immer liebevoll knutschte.
Dank der Hebamme habe ich wirklich wertvolle Tipps über verschiedene Produkte und deren Hersteller gesammelt, die ich auf die Schnelle nicht hätte sammeln können. Wir sind durch die ganze Liste zur Babyausstattung gegangen und haben alles ausdiskutiert: vom Tragetuch bis zum Heizstrahler für den Wickeltisch. Sie sah meine Wohnung, meine Möglichkeiten und meinen Stil und konnte, glaube ich, sehr gut einschätzen, welche Hersteller zu mir passen würden und welche Sachen gar überflüssig wären. Auch konnte ich als Laie auf dem Gebiet nicht wissen, zum Beispiel, dass Babyscheren mit Metallgriffen von Rossmann und DM besser sein sollen als die mit Griffen aus Plastik von anderen Produzenten oder das Speisestärke anstatt von Babypuder genutzt werden kann. Soviel zur materiellen Seite des schwangeren Daseins.
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Ich habe eine vergessene Laptoptasche im Keller ausgegraben und legte den neulich in der Apotheke gekauften Traubenzucker und mein knielanges Lieblingshemd da rein. Damit wurde der erste Stein zum Packen einer Kliniktasche gelegt. Später ging ich aus dem Fitnessstudio, wo ich zur Hydromassage war, kurz in die Stadt, um mich geistlos dem Konsum zu widmen – nämlich, um mir schöne dicke Wollsocken für die Klinik zu besorgen. Eins nach dem anderen, genau wie es auf der Liste zur Krankenhaustasche steht. Nur zu Hause stellte ich fest, dass der Laden mit Socken unterwegs völlig vergessen wurde. Diesmal habe ich aus Thalia „Gesammelte Werke“ von Goethe mitgeschleppt – eine riesige und sehr schöne rotfarbige gebundene Ausgabe, die ich zum Preis eines Kaffees mit einem Kuchen ergattert habe. Schon lange wollte ich die tolle russische „Faust-Übersetzung“ von Pasternak mit dem Original vergleichen, habe mich aber bisher nicht getraut, solch schwierige Texte auf Deutsch zu lesen. Jetzt ist es aber Zeit. Nicht nur, weil es langsam höchste Zeit ist, sich mehr zuzutrauen. Meine Oma sagte, dass es während der Schwangerschaft wichtig sei, soviel wie möglich die Schönheit der Welt in sich aufzusaugen – Museen aufsuchen, um die besten Bilder und Skulpturen anzuschauen, die schönste Musik zu hören und die tollsten Bücher zu lesen. Als ich in Thalia Schlange stand, habe ich von beiden Seiten der Kasse große Stapel von Thilo Sarrazins Buch gesehen – genauso ein roter Einband, aber mehr als viermal so teuer wie die „Gesammelten Werke“, die ich gerade kaufte, und momentan auch tausendfach mehr begehrt. Ich lachte und druckte meinen Goethe, als ob es mein Kind wäre, an die Brust.