„Die erste Zeit zu dritt.“ So heißt die Informationsbroschüre, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht wird; Bestellnummer: 13640000.
Bekomme ich etwa Zwillinge? Die Ärztin hat es verneint. Wer soll dann bitte schön der Dritte sein? Der heilige Geist? Oder muss ich mich bis dahin nach einem potentiellen Ersatzvater umsehen? Guter Anstoß!
Ich bekam die Broschüre in einer Einrichtung mit einem seltsamen Namen: „Profamilia“. Wir hatten sie gemeinsam mit deinem Vater heute Morgen aufgesucht. Pro-Familia: Laut Langenscheidts Großwörterbuch trägt das Präfix „pro-“ die Bedeutung einer positiven Einstellung gegenüber der im zweiten Wortteil genannten Sache, nämlich zur „Familie“ (die Eltern und ihr Kind – per Definition). Keiner hat uns aber dort zur Gründung einer Familie geraten. Es war wie ein normales „business meeting“: Man blieb äußerst sachlich. Finanzielles, Gesundheit, Klinik- und Hebammensuche… Der bittere Geschmack des Sarkasmus, der in solcher Bezeichnung von Institution steckte, hielt bei mir den ganzen Tag vor. Denn wir waren da, um uns zu informieren, wie wir als getrennt lebende Eltern das Leben nach Geburt gemeinsamen Kindes gestallten sollen. „Contra Familia“ eben.
Allerdings. „Familie hat heute vielfältigere Formen, als dies früher der Fall war“, in geschickter Weise erkennt dies der Autor des Vorwortes zur Broschüre „Mutterschutz, Elterngeld, Elternzeit“, die wir ebenso bei Profamilia bekommen haben. Werden wir dabei eine neue und erwünschte Familienform – Form der Zukunft! – stiften? Zwei Mütter, ein (eventuell irgendwann – zwei) Väter, alle getrennt lebend und ein Kind, das dazwischen pendelt. Die Situation des Kindes wird wohl dadurch nur verbessert: Die Liebe, die es dabei bekommen wird, wird ja verdoppelt. Wahrscheinlich betrifft es auch die Elternzeit und das Elterngeld, Herr Autor des Vorwortes?!
Heute bin ich wieder in der Nacht aufgewacht, weil ich gehört oder gespürt habe, wie in mir zwei Herzen schlagen – nicht einstimmig.
Ich habe gerade Mangos aus der Dose gegessen. Sehr lecker! Aber meine Fantasie ist bald erschöpft, was das Essen angeht. Mein Kühlschrank ist voll mit Überresten von verschiedenen Produkten, die ich nur noch einmal genießen konnte. So verschwenderisch war ich noch nie. Vorher habe ich immer gesagt: Ich esse, um zu leben, nicht umgekehrt. Ich habe das Essen als Überlebensnotwendigkeit angesehen. Es war ein zeitkonsumierender, eher unbeliebter Prozess, und schon lange nicht ein Genuss. Und jetzt – zum x-ten Mal in meinem sonderbaren Leben – muss ich wieder auf etwas verzichten, was ich schon fast für Dogma gehalten habe. Ich esse gern, und Dinge, die ich vorher eher mied. Nach der Eintopfphase kam die Heringsperiode, danach gab’s die Gurken- und Sauerkrautwoche, einige wenige Pizzatage und eine Backfischetappe. Es wird aber immer schwieriger, sich etwas im Laden auszusuchen, was ich ohne Anzeichen von Übelkeit anschauen kann. Vor zehn Minuten zum Beispiel, stand vor mir auf dem Tisch ein Glas schlesischer Gurkenhappen. Jetzt ist er schon zur Hälfte leer. Nach Mangos habe ich vor, eine ziemlich ungesunde chinesische instant Nudelsuppe je 49-cent die Packung zu kochen, denn die allerschärfste Gewürzmischung, die dabei in der Plastiktüte liegt, ist eine Schwangerschaftsdelikatesse.
Und wieder denke ich, wie schön es vielleicht wäre, diese blöde Kleinigkeiten mit deinem Vater auszutauschen, zusammen von schlesischen Gurken zu naschen oder mein langsam wachsenden Bauch gemeinsam im Spiegel anzuschauen. Der Einsamkeit zu Zweit sind wir erfolgreich entflohen. Aber ich habe das Gefühl, dass wir doch etwas sehr Wichtiges verpassen – etwas, was das Leben ausmacht.
Ein junger Kollege sagte mir, dass wenn er anfangs Kunden in einer schweren finanziellen Lage betrachtete, es ihm nicht einfach fiel, neutral zu bleiben und kein Mitleid zu spüren. Dies führte dazu, dass er nach der Arbeit nicht abschalten konnte, immer unruhiger und unglücklicher wurde. Jetzt aktiviert er aber einen Trick. Er fängt an, daran zu denken dass diese Menschen in ihrer Vergangenheit wohl etwas Böses oder Falsches getan haben, und dass ihre heutige Situation nur eine natürliche Konsequenz dieses eigenen Verschuldens ist. Ich habe an meine Lage gedacht und stellte dabei fest, dass es hier genau umgekehrt sein soll. Es geht hier nicht um Begleichung der alten Schuld, sondern um eine Investition: Mit heutigem Schmerz kann und muss man sein morgiges Glück gewinnen.