Alleinerziehend: der Status „nicht für jedermann“
Früh am Morgen bekam ich wieder von deinem Vater eine Mail. Erneut enthielt sie weder eine richtige Anrede noch jegliche Form der Höflichkeit. Lediglich Forderungen. An dem Tag, an dem ich ihm sagte, dass er kein Sorgerecht mit mir teilen wird, hat er den Krieg eröffnet. Wie konnte es dazu kommen, dass der einzige Mensch auf dieser Welt, der dir doch am nächsten steht und dich alle diese Monate lang durch die Bauchdecke streicheln konnte, solche Maßnahmen ergreift. Wie unnatürlich, falsch und unlogisch. Er braucht dies und das, er will Informationen haben und wieder mit zum Arzt gehen. Ich habe ihm geschrieben, dass sein Umgangs- und Auskunftsrecht erst nach der Geburt des Kindes beginnt, und bat ihn erneut um Ruhe. Immer wieder muss ich wiederholen, dass alle diese Stresshormone bei dir landen. Und du hast dank deinem eigenen Vater schon mehr als ausreichend davon bekommen. Ich konnte es nicht steuern. Am liebsten wäre ich jetzt weit weg – vom Computer, wo seine irritierenden Mails sich anhäufen, und von diesem Ort, wo ich ihn oder unsere gemeinsamen Bekannten jederzeit treffen könnte.
****
Ein Geburtsvorbereitungskurs ist bereits gebucht und ich werde wohl doch alleine zur Veranstaltung für Paare erscheinen müssen. Sonst bleibt mir nur die Möglichkeit, mich selbst über die Geburt zu informieren und keinen Kurs zu machen. Ich habe keinen anderen in meiner Umgebung gefunden. Im schlimmsten Fall springt meine türkische Freundin als Partner(in) ein. Aber ich stelle mich darauf ein, dass ich doch allein hin muss und alle in der Einladung zum Kurs angekündigten Bewegungsübungen, die als Paarübungen gedacht werden, alleine machen werde. Ich glaube nicht, dass es etwas gibt, was man nur zu Zweit schaffen kann. Wenn es mit Kindererziehung geht, wird es mit Geburtsvorbereitung auch gehen. Ja, ich wurde am Telefon ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es ein Paarkurs ist und dass ich unbedingt irgendjemanden – Kumpel, Freundin, Mutter – mitbringen soll. Mal sehen, ob die mich rausschmeißen wenn ich doch alleine erscheine.
****
Ich war im Klinikum mit einer anderen Freundin, Lydia, um mich über den eventuellen Geburtsort meiner Tochter zu informieren. Dieses Klinikum habe ich erst vor einem Monat beim Joggen entdeckt und habe damals Flyer für Führungen nach Hause mitgenommen. Die Lage der Einrichtung ist wirklich perfekt – ich kann sie innerhalb von 10 Minuten zu Fuß erreichen. Lydia ist gern mitgekommen, da es nicht verkehrt ist, sich im Voraus über solche Dinge zu informieren. Wir sind im gleichen Alter. Sie kam vor etwa 12 Jahren aus Kasachstan und war fast die einzige weibliche Studentin in ihrem Studienjahr der Nanostrukturtechnologien an der Uni. Ich kenne keinen Mensch, der so schnell rechnen und Rubik-Würfel zusammenstellen kann. Noch vor drei Jahre schwärmte Lydia permanent von Kindern und wäre auch bestimmt eine wundervolle Mutter geworden. Ich meinte damals, dass ich lieber Karriere mache. Jetzt ist sie eine hochqualifizierte Nanowissenschaftlerin, und ich im sechsten Monat schwanger.
Als wir in der Klinik ankamen, sahen wir zwei Hebammen in der Mitte des Schulungsraumes und der Raum selbst voller schwangerer Paare und deren älteren Kinder. Die Hebammen erzählten über den Ablauf der Geburt, Wehen, Betäubungsmethoden und Konservierung des Nabelschnurblutes. Während der Veranstaltung hat sich ein kleines Mädchen mit hellen Locken, das vorne saß und sich offensichtlich langweilte, zu mir gedreht. Sie lächelte freundlich, grüßte mich und meine Freundin, wobei wir zwei lange Spuren grünen Nasenschleims bei ihr sahen. Ich musste schnell aus dem Fenster schauen. Die Mutter des Mädchens hat das Problem aber ziemlich schnell beseitigt.
Nach einer Fragerunde konnte die Hälfte der Besucher den Kreißsaal anschauen, die andere Hälfte lief mit einer anderen Hebamme zur Station. Das Wort „Kreißsaal“ habe ich zum ersten Mal im Leben gehört und habe es erst später zu Hause gegoogelt. Das Wort „Kreißen“ kommt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet „schreien“, „stöhnen, oder „Wehen haben“. Interessant erschien mir aber folgendes: Als ich gesehen habe, dass ich fast die einzige dort ohne Mann oder Partner bin, habe ich mich irgendwie privilegiert gefühlt, als ob mein Status der „Alleinstehenden“ ausnahmsweise vorteilhaft wäre – wie im Steppenwolf von Hesse, „Nur für Verrückte!“. Ich fange langsam an, meine Marginalität zu genießen.