Aller Anfang ist schwer: Hebammensuche und nicht nur das.
Es wird allgemein angenommen, dass unsere körperlichen und seelischen Kräfte eine Einheit darstellen. Dass unser Wohlbefinden vom harmonischen Zusammenwirkung dieser beiden Sphären abhängt. Natürlich hat sich der Stress der letzten Monate auf meine Gesundheit niedergeschlagen. Mittlerweite sind einige Fragen entstanden, die ohne ärztliche Hilfe ganz oder teilweise nicht gelöst werden können:
1) Soll dieser verdammt oft schmerzende Backenzahn doch gezogen werden? Oder ist es besser, ständig Füllungen zu wechseln und abzuwarten, bis es möglich wird, nach der Entbindung ein Röntgenbild zu machen?
2) Was soll diese permanent verstopfte, blutende Nase und das Zahnfleischbluten?
3) Warum passiert es immer öfter, dass ich beim Joggen niese, so dass ich sogar ein paar Runden gehen muss, bevor der Anfall aufhört?
All das sind Kleinigkeiten; auf Dauer werden sie jedoch unerträglich. Aber ich glaube daran, dass auch diese Probleme teilweise schon dadurch gelöst werden, dass man sie schriftlich formuliert und verarbeitet.
Meine Ärztin hat schon lange her erwähnt, dass ich so früh wie möglich mit der Suche nach einer Beleghebamme anfangen soll – sie sind ja schnell „ausgebucht“. Wie geht man da vor? Ich verstehe nicht, warum nicht, zum Beispiel, einmal im Monat ein „Hebammentreff“ stattfindet, wo man viele von denen auf einmal sehen und einige ansprechen könnte. Viel Zeit und Mühe wären dadurch gespart. Die Hebammensuche ist ähnlich der Partnersuche. Wie kann ich eine solche Vertrauensperson finden, ohne ihr einmal in die Augen zu schauen? Und wie viele Monate vergehen, bevor ich nach dem zahlreichen Kaffeetrinken mit fast allen Hebammen unserer Stadt „die richtige“ finde?
Ich habe aus der Praxis eine lange Liste mit Telefonnummern von Hebammen mitgenommen. Zu Hause vermerkte ich nach Postleitzahl alle, die in der Nähe wohnen und googelte nach dem Bild der ersten. Ja, das Foto würde mir viel sagen. Wenn es vollständige Profile im Internet gäbe, würde ich intuitiv „meine“ Hebamme sofort erkennen. Leider gab es aber dort keine Fotos. Zumindest nicht von denen, deren Leistungen mich interessierten.
Später joggte ich und entdeckte – völlig zufällig – eine Hebammenpraxis im Hinterhof einer Zahnarztpraxis, wo ich spontan auf die Toilette ging. Ich glaube an Zufall. An den, der eigentlich kein Zufall ist, weil er jedem begegnet, „der sich für ihn wach und bereit hält“, wie Nietzsche sagte. Ich merkte mir die Adresse der Praxis und rief von Zuhause den Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands an. Ich fragte, welche Hebammen dieser Praxis zugeschrieben sind. Die Antwort kam kurz danach. Es gab dabei keine Beleghebammen. Der „glückliche Zufall“ erwies sich als ein Flop. Ich muss weiter suchen.
19. Woche. Diese Woche wirst du stärker denn je! Ich lese im Buch: „Fest im Griff: Das kleine Kind kann mit seinen Händen bereits kräftig zugreifen“. Darauf – und auch auf die Halbzeit meiner Schwangerschaft – kann ich wirklich mit einem Kelch prickelnder Apfelschorle mit meinem eigenen Spiegelbild anstoßen. Sei kräftig und greif zu. Hol dir was du willst. Frag nicht nach – ich habe bereits den Fehler begangen, indem ich deinen Vater vor zwei Wochen gefragt habe. Wie Miss Havishem, die seltsame Kreation von Charles Dickens aus "Großen Erwartungen", werde ich meine Hoffnungen auf dich projizieren. Jedoch ohne ihre Bosheit. Auf eine ähnliche Weise wurde diese Spinnerin von ihrem Geliebten verlassen. Und, als sie ein kleines Mädchen adoptierte, brachte sie ihr die Kunst der Verletzung bei. Damit ihre Adoptivtochter nie auf eine gleiche Weise leiden muss. Wie schön, dass man an Fehlern anderer aus den Büchern lernen kann! Theoretisch könnte ich wie Miss Havisham werden. Aber ich weiß, was später im Buch passiert. Es ist klar, zu welchem Entschluss man am Ende kommt: Nur die Weitergabe der Liebe ist der einzig wahre und gerechte Weg in diesem Leben. Und du wirst bekommen was du willst. Aber das alles soll allein an deiner Ausstrahlung liegen: Es wird schwer werden, zu dir „nein“ zu sagen.
„Nachwuchs zu zeugen ist ein Eingeständnis der eigenen Niederlage“, sagt eine Nebenfigur eines meiner Lieblingsromane. Kurz danach schwängert er seine Freundin und stirbt. An seinem eigenen Beispiel zeigt er gleichzeitig die Richtigkeit und Absurdität dieser Behauptung. „Denn keine Schlacht wird je gewonnen […]. Sie haben nicht einmal gekämpft. Das Feld entblößt nur des Menschen eigene Dummheit, und der Sieg ist nur eine Illusion der Philosophen und Narren.” Das ist Faulkner. Was für eine Niederlage kann mit dir zu tun haben? Auch habe ich keine Illusion des Sieges. Und doch machst du mich stärker. Denn mit seiner Entscheidung, uns zu verlassen, hat dein Vater die Rolle des Messers gespielt, das aus einem derben Stück Holz eine Flöte schnitzt. Ich spreche schriftlich aus der Seele – es ist meine Musik.
Ich habe heute Morgen etwas gespürt. Ich würde Gift darauf nehmen, dass es kein Darm war.