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Willkommensfeste für Wunder an der Hand - Baby-Tagebücher von Tanja aus Vöhringen, München und Shenyang

Hautnah. Intensiv. Liebenswert. Folgt hier den Babytagebuch-Bloger:innen und erlebt regelmäßig, wenn frischgebackene Mütter und Väter ihr Leben mit euch teilen. Jede Woche lassen sie euch an ihrer neuen Lebenszeit mit Baby teilhaben und geben ganz persönliche Einblicke: Was hat der Sprössling diese Woche Tolles gelernt? Wie geht es den jungen Eltern mit dem kleinen Knirps? Welche Herausforderungen begegnen den Neu-Mamas und Neu-Papas mit ihrem Neugeborenen? In den Baby-Tagebüchern seid ihr live dabei, von ersten Arztbesuchen bis zu holprigen Gehversuchen. Ob liebenswert chaotisch oder rührend besinnlich: Immer erhaltet ihr einen unverfälschten, authentischen und persönlichen Einblick in das aufregende Leben einer Jungfamilie.

26. Woche

Willkommensfeste für Wunder an der Hand

Woher Schuldgefühle noch kommen könnten ;) Mit der besten Nebenwirkung: (Nächsten)liebe.

Warum ich so lange nichts geschrieben habe, lag weniger an unserer Reise nach Vietnam. Also klar, ohne Laptop schwierig. Der wahre Grund ist aber, weil ich nicht traue alle Gedanken zu veröffentlichen.

Digital und veröffentlich ist halt doch ein Unterschied zum handschriftlichen verbrennbaren Tagebuch. Gleichzeitig will ich ehrlich sein, eine Erinnerung für meine Kids schaffen und bei der täglichen digitalen Datenflut ist veröffentlichen ganz entspannt.

Interessiert meine Angst aber nicht, sie bleibt und so lange sie nicht gegangen ist, konzentriere ich mich auf unverfängliches und verbleibe kurz im Sinne von oberflächlich (an der Länge ändert sich bei mir selten was, für kurz brauche ich extrem viel Zeit).

Also unverfänglich: Woche 26. Das Ereignis schlechthin: Taufe. So nennt es die Gesellschaft und der ausrichtende Verein. Ok, mit dem ehrlichen Wording bleibe ich nicht unverfänglich, also Bewertung Ende, Ich-Botschaften an:

Für mich ist die Taufe das Willkommensfest schlechthin. Warum das so ist, traue ich mich noch nicht zu schreiben, nur so viel: Seit meiner Sternenkinder stimmt es mich unfassbar traurig, dass wir unsere Kinder erst ein Jahr später, also zum 1. Geburtstag feiern und nicht schon wenige Wochen nach ihrer Geburt, also zu ihrem 1. Lebensjahr.

So benannt natürlich nur, wenn wir davon ausgehen, dass Menschen im Bauch einer Schwangeren bereits leben - doch selbst, wenn wir dabei bleiben über diesen Fakt eine gegenteilige Meinung gelten zu lassen, dann ist es doch trotzdem so so krass, dass ein kleines Menschlein in den Armen liegt und strampelt und schreit oder zumindest schreien könnte. Unsere Jüngste macht das ja 24/7, aber wenn sie am Ostersonntag in einer gerammelt vollen katholischen Kirche, vor allen Menschen hoch oben auf dem Podest kaltes Wasser über den Kopf geleert bekommt, dann schreit sie nicht ;)

Also egal, ab welchem Alter eines Menschen, wir Menschen als Menschen anerkennen: Wenn das kleine Menschlein an die Hand kommt, wenn es Luft atmet, wenn es strampelt, dann ist das so unfassbar, dass dieses wahre Wunder der Natur gefeiert werden muss.

Und für die Feier unserer Jüngsten, wollte ich wie die anderen Male auch, ein Liederheft und Einladungskarten (so richtig analoge, duftende), unsere bewegendste Sängerin, das Lied Circle of Life, die selbstgemacht Kerze und alles und noch viel mehr organisieren, dieses Mal, das letzte Mal, die Sternenkinder mehr einbinden und bekommen haben wir dann so ungefähr gar nichts davon.

Weil Ostersonntag. Und Hitlers Geburtstag. Der fiel mir bei dem Datum als erstes ein und das macht immer mehr mit mir, und wenn dann auch um 19:33 Uhr der Pfarrer anruft oh Lord. Zurück zum Thema. Also das Willkommensfest fiel auf den Ostersonntag und wegen China war auch keine Alternative möglich. Und wegen Ostersonntag war einfach alles anders.

Der Pfarrer war nicht mal am Vater interessiert. Letztes Mal war es ihm so wichtig: Wir hatten 2 Stunden Taufvorbereitungsgespräch. Okay, das liegt mitunter oder nur an mir. Ich habe immer so viele Fragen. Ich könnte Stunden mit Menschen reden, die so richtig für Religon leben. Als Small Talk starte ich mit den Klassikern Homosexualität, Missbrauch, Frauenrechte usw.

Das wusste ich von diesem Pfarrer schon, deshalb habe ich mich dieses Mal mit ihm noch tiefer über Sternenkinder, die Ausrichtung der Kirche in den USA, Simbabwe und China im Vergleich zu Deutschland unterhalten. Er hielt bei einem Einwand von mir sogar inne und meinte „stimmt, so habe ich das noch nicht gesehen.“ Also ich fands cool und ich war am Ende sogar cool damit, dass es halt nicht unsere Taufe wird, weil der Pfarrer so süß und leidenschaftlich von seiner Taufe erzählt hat.

Sein Highlight: Das Taufwasser: Wow. Wow. wow, blieb bei mir hängen. Es ist nicht gesegnet, baut er so als Höhepunkt seines Monologes ein. Erkennbar an der Spannungspause und dem erwartungsvollem Blick. Ich war dann auch ganz mitgerissen und fragte pausefüllend: „Warum?“ Er wurde immer aufgereger: Na weil es das wahre, das orginäre (jetzt habe ich davor tatsächlich ordinäre getippt) Taufwasser ist. An Ostern wird es ja für das ganze Jahr gesegnet.

Also wow. Wow. Wow. Nicht einfach H2O. Und er freut sich so sehr (das hat er so gesagt), dass er das Kreuz 3 x in das Wasser tunkt und ob mein Mann wohl groß genug sei, weil Spannungsbogen nochmal richtig krass spannen und mit Pause nochmal mehr in die Länge ziehen, er die Osterkerze anzünden darf. Also wie Kinder es vor Weihnachten schaffen, so steckt ein Pfarrer mit seiner Vorfreude für Ostern an bzw. lässt einen an seiner Leidenschaft erfreuen.

So ansteckend die Vorfreude war, so wenig hat sie sich dann Freude eingestellt, weil vieles nicht so gelaufen ist, wie ich es mir erwartet hatte oder es ist eben genau so gelaufen, wie wenn ich mir mega Druck und Erwartungen aufbaue. Peinliche Situation auf der Bühne bzw. beim Alter, Familienstreit, Warterei und andere Fotos usw. Und wenn ich ehrlich bin, auch super viele schöne und entspannte Momente.

Es würde noch länger werden, wenn ich ins Detail ginge, deshalb greife ich mein Highlight heraus. Das Thema des bzw. eines jeden katholischen Gottesdienstes oder eben eines jeden christlichen Gottesdienstes.

Ich dachte ja immer, das Christentums Kernbotschaft sei Nächstenliebe. Deshalb finde ich es so toll, dass meine soziokulturell bedingte Religion das Christentum ist und sich deren Sakrament Taufe daher super für das Willkommensfest eignet, weil ich Nächstenliebe, so toll und wichtig finde und viel zu wenig lebe, daher finde ich es so wichtig, dafür eine Institution zu haben.

Statt Nächstenliebe geht es meiner Erinnerung nach nur um Schuld. Zwei Stunden lang (! Im Vorfeld hieß es eine Stunde, ist ja kein Act mit um die 10 Kindern im Alter von 0 bis 10 Jahren als Gäste). Ich habe das Thema in diesem Gottesdienst (ich war in etlichen) nur so gut mitbekommen, weil ich gestillt habe. Ansonsten hatte ich nie richtig Zeit mich auf den Inhalt zu konzentrieren, weil ich so busy bin mit:

Oh shit, ich brauche die Bibel für das Lied,
oh wie muss ich das Lied jetzt nachschlagen,
hä, ah ok, und oha wo sind wir denn jetzt im Lied, die Zeile gibt’s bei mir nicht,
ah ok, wir singen nur den Refrain,
hä, ah, ok, oh schade, leider vorbei
jetzt hinknien,
ne Stop falsch wieder aufstehen, zur Seite drehen und Frieden wünschen,
ah doch Hinsitzen,
Hand falten,
wieder singen, dieses Mal gar keinen Refrain, dafür eine Strophe mehrere Male oder falsche Seite?,
ah jetzt gibts die Hostie, Knicks beim rausgehen nicht vergessen, ach so ne, der gehört sich glaub nur beim reingehen, egal sicher ist sicher,
wieder knien, wieder aufstehen, wieder Hände falten, wieder singen (ich hab glaub noch nie an der richtigen Stelle mitgesungen) und unbedingt wieder
hinknien, aufstehen, hocke vor, hinsetzen, aufstehen …

Wer jetzt aber noch nie in einem katholischen Gottesdienst war und denkt ich beschreibe ein Sportprogramm, nein, dafür sollte dann eher mal eine Moschee besucht werden. Ich empfehle zu Ramadan, da weißt du, wie du im Alter fit bleibst, so oft habe ich meine Stirn noch nie dem Himmel entgegengestreckt, um mit ihr direkt wieder den Boden zu berühren.

Mit all dem konnte ich mich also nicht beschäftigen, weil ich gestillt habe und hörte gscheid zu. Und es ging um Schuld, Schuld, Schuld. Ich meine, ich interessiere mich seit meiner Jugend extrem für Religion, deshalb ist mir der Grund dafür klar, aber der Fokus war mir so nicht klar.

Und Schuldgefühle habe ich als Mutter ohne Ende: gegenüber den Kindern, gegenüber mir, meinem Mann, meinen Eltern, dem Umfeld, der Gesellschaft, als Mutter von Sternenkindern noch viel mehr und wenn ich über die Schuldgefühle quatsche, dann kommt früher oder später immer was von Glaubenssätzen und inneres Kind und Schattenkind oder die eigene Kindheit, die Eltern und am Ende war es die Mutter, also in dem Fall meine mir gegenüber, ich bin dann meinen Kindern gegenüber schuldig und so geht das mit der Schuld immer weiter und weiter und wie zynisch und satirisch ich es auch versuche zu formulieren, sie bleiben.

Nur denke ich nach diesem Gottesdienst, ob die Schuldgefühle auch aus den Gottesdiensten meiner Kindheit kommen. Also während sich mein Körper dem katholischen Sportprogramm gewidmet hat, hat mein Hirn den Inhalt doch aufgenommen. Natürlich nicht, ist auch gar nicht witzig.

Ich schreib wie gesagt später, warum mich dieses Thema so aufwühlt und wirr schreiben lässt: Wirklich kurz:

Ich finde alle Abrahamreligionen richtig gut. Das Christentum wegen der Nächstenliebe: vergeben, verzeihen, miteinander, achtsam, Verständnis, Toleranz, usw. Ich stütze mich da auf die Urgemeinde und betrachte, aber achte die patriarchale und historisch und systemisch gewachsene von Machtmissbrauch in jeglichen Bereichen durchgewachsene punktuelle Version von Kirche nicht.

Ich liebe die Teile und Version von Kirche, die sich um Gott bzw. Menschen, die Welt, die Natur dreht.

Den Kreislauf des Lebens.
Der den Tod braucht.
Dem wir nur entkommen, wenn wir in Liebe hier und jetzt und in der Stunde unseres weltlichen Daseins leben.

In diesem Sinne, seid ganz herzlich aus Shenyang gegrüßt

Tanja von sternenkinder.org

Ach, und warum dieser Eintrag wieder so lang und ausschweifend wurde, liegt wohl daran, dass ich zeitversetzt schreibe, weil ich ein paar Wochen in der richtigen Reihenfolge aufholen möchte. Der Eintrag für die aktuelle Kalenderwoche ist:

Diese Woche ist der Geburtstodestag unseres ersten Kindes,
unserer Tochter Thora.

Ich feiere keinen Himmelsgeburtstag,
Ich mache dieses Jahr nichts besonders,
Ich halte nicht extra inne,

Ich finde für nichts wahre Worte,
Ich spüre und sehe jede Sekunde meines Alltags in einem Filter,
Ich finde es einfach nur so verdammt scheiße und gemein und sinnfrei und sinnlos und für den Arsch und zum Kotzen und ich weiß keine Worte dafür, dass unsere Tochter einfach auf immer stumm und reglos in unseren Arm lag.

Es war mit allen weiteren Tagen und Geburten meines Lebens der intensivste Tag meines Lebens.

Die Geburt meiner ersten Tochter
und sie war einfach tot.
Und ist tot.
Und bleibt natürlich auch tot.

Und lebt durch ihren Einfluss weiter, aber halt verdammt nochmal nicht an meiner Hand.

Da war sie nie.

Sie lag nur in meiner Hand. Bei ihrer Größe brauchte ich ja nicht mal einen verdammten Arm.

Eine handvoll totes Leben.
Lebenslange Liebe.

PS: Am Geburtstodestag über die Taufe des Geschwisterchens schreiben ist dann doch inne halten. spüren. verbinden.

Tagebuch Tanja

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