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Tagebücher aus der Schwangerschaft von Anja

Eine neue wunderbare, aufregende und vielleicht auch lang erwartete Lebenszeit beginnt. Für unsere Tagebücher-Blogs haben wir immer 3-4 schwangere Frauen in unterschiedlicher Schwangerschaftsphase, die in freudiger Erwartung über jede Woche dieser spannenden Zeit schreiben, uns und die vielen tausend Follower:innen daran teilhaben lassen und damit unvergessliche Momente schaffen.

31. Schwangerschaftswoche

Plädoyer für die Kleinsten

Heute mal ein paar ganz allgemeine Gedanken zum Thema Elternwerden in unserer Gesellschaft...

Angestoßen durch Stefanies letzten Beitrag und die Äußerungen ihres Gynäkologen zum Krankschreibeverhalten von Frühschwangeren möchte ich meine ganz persönlichen Gedanken dazu mit Euch teilen.

Gerade betreue ich eine Frau in der siebten SSW mit massiver Übelkeit und Erschöpfung. Ihr Wunsch ist eine Besserung der Situation, damit sie ihre Arbeit wieder voll erledigen kann. Dies verursacht natürlich einen massiven Druck, der nicht gerade förderlich ist für die Gesamtsituation. Mit viel Überzeugungskraft habe ich sie dazu gebracht, sich doch krank schreiben zu lassen, um ihrer Situation als Schwangere gerecht werden zu können. Ein Kleinkind im Haushalt erschwert die Situation zusätzlich. Diese Frau öffnete mir beim ersten Hausbesuch leichenblass und fröstelnd im dicken Fleecepulli trotz nahezu 30 Grad Außentemperatur die Tür. Jedem Arbeitnehmer mit einer Grippe oder einem Magen-Darm-Infekt würde man hier empfehlen, sich auszukurieren. Aber diese Frau ist ja „nur“ schwanger...

Ich erlebe es sehr häufig, dass es den Frauen gerade in der Frühschwangerschaft sehr schlecht geht, sie sich aber nicht trauen, sich krank schreiben zu lassen, weil sie ja noch keine dicke Kugel mit sich herum tragen. Dabei wissen viele Schwangere, dass gerade in den frühen Wochen das Wohlbefinden viel, viel schlechter sein kann als in der 28. SSW oder später. Ganz wichtig ist es mir, den Frauen klar zu machen, was da gerade alles im Körper passiert. Die Umstellung von nicht-schwanger auf schwanger ist eine enorme Leistung - und zwar körperlich ebenso wie mental. Zellen differenzieren sich, der Embryo entwickelt sich, alle Organsysteme werden angelegt und verfeinert. Eine wirklich stark verändernde und kritische Zeit ist das, wenn auch das von außen noch nicht sichtbar ist.

Ist es darum nicht besonders wichtig, dieses zarte sich entwickelnde Pflänzchen besonders gut zu hegen und zu pflegen? Und es ist wahrlich kein Luxus, sich mit Übelkeit und Kreislaufproblemen aufs Sofa zu legen anstatt sich zur Arbeit zu schleppen. Aber die Frauen haben oft große Bedenken, diesen Schritt zu gehen, weil ihnen von außen ständig suggeriert wird, dass Schwangerschaft ja keine Krankheit sei. Nein, das ist sie auch nicht, aber sicherlich die größte und herausforderndste Umstellung, die ein Frauenkörper erlebt. Ich bin sehr froh über das recht gute Mutterschutzgesetz hier in Deutschland, allerdings ist bei Freiberuflern das Dilemma wesentlich größer. Nicht arbeiten gehen bedeutet in der Regel auch Verdienstausfall, was den Stress ungemein erhöht. Statistisch werden viel zu wenige Kinder in Deutschland geboren, also sollte doch die Gesellschaft ein Interesse daran haben, werdendes Leben zu schützen.

Was auch oft nicht gesehen wird bzw. was niemand kennt, sind die Vorgeschichten mancher Frauen, die es sinnvoll machen, sich vielleicht etwas eher krank zu melden, um den Schwangerschaftsbeginn stressfreier zu gestalten. Die zum Teil hohe Anzahl voran gegangener Fehlgeburten ist meist weder dem Arbeitgeber noch den Kollegen bekannt. Für Frauen mit einer solchen Anamnese beginnt einfach jede weitere Schwangerschaft doch wesentlich angstgeplagter.

Sicherlich gibt es auch Frauen, denen es gut geht und die vielleicht tatsächlich einfach keine Lust auf ihre Arbeit haben und dafür die Schwangerschaft als willkommenen Anlass nehmen. Aber diese Spezies gibt es auch unter Nichtschwangeren. Aus meiner Erfahrung heraus sind das aber die Wenigsten. Die meisten Frauen tun sich sehr schwer mit Beschäftigungsverboten oder längeren Krankschreibungen. Wenn dann die ersten positiven Effekte auftauchen wie eine zurückgehende Wehentätigkeit oder einfach auch nur das Nachlassen der Übelkeit, ist nicht selten der erste Gedanke: „Nun kann ich ja sofort wieder arbeiten gehen“.

Aber genauso, wie in der Schwangerschaft volle Leistung erwartet wird, geht es ja auch hinterher weiter. Das achtwöchige Wochenbett hat für viele Menschen längst seine Bedeutung verloren. Schließlich hat ja Frau „bloß“ ein Kind geboren. Ich finde, da fängt die Kinderfeindlichkeit in Deutschland oft schon an - lange bevor es um genügend Raum zum Spielen, Kinderlärm oder Kitaplätze geht. So wie ein Großteil der Gesellschaft mit Schwangeren und jungen Eltern umgeht, so geht es dann später mit den Kindern weiter. Die Eltern heute gehen darum oft mit völlig unrealistischen Erwartungen an die Familienplanung und die Enttäuschung ist oftmals vorprogrammiert. Wie gut können Schwangerschaft und auch Mutterschaft verlaufen, wenn es ein stützendes Umfeld gibt. Leider erlebe ich diese positiven Effekte immer seltener. Aber sogar die professionelle Unterstützung wird ja nach und nach „ausgerottet“, wenn ich da auf meinen eigenen Berufsstand schaue.

Ich denke, irgendwann (oder vielleicht auch jetzt schon) bekommt eine Gesellschaft die Rechnung dafür. Noch belegt keine Studie konkret den Zusammenhang zwischen unserem Lebensbeginn und der rapide steigenden Zahl an psychischen Erkrankungen generell sowie der hohen Burnout-Rate bei Berufstätigen. Aber was (permanenter) Stress im Mutterleib oder eine traumatisch erlebte Geburt bei Müttern (und natürlich auch den Vätern) und Kindern bewirken, wissen wir schon jetzt.

Also liebe (werdende) Mütter und Väter - sorgt gut für Euch, damit ihr auch gut für unsere Kleinsten sorgen könnt.

In diesem Sinne eine schöne Woche,

Anja

P.S: Während ich das hier schrieb, hat mein kleiner Bauchbewohner bejahend gestupst und getreten...



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Kommentare von Lesern:

Netti Berlin13.05.2012 19:38

recht hast du zum glück habe ich eine frauenärztin die mir des öfteren in den allerwertesten getreten hat und gasagt hat sie bleiben mal schön zu hause denn sonst wär ich auch in der 10ssw mit akkuter bronchitis und blutungen arbeiten gegangen da mich das gewissen plagte ja demnäßt eh nicht mehr da zu sein!!

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Antonia, Ruhrgebiet11.05.2012 10:52

Wow, ein super Beitrag! Wie recht Du hast. Ich hatte als Selbstständige ja noch das Glück, mich schonen zu können, wann immer es sein musste. Wäre ich angestellt gewesen zu Beginn meiner Schwangerschaft, dann hätte ich mich sicherlich auch krankschreiben lassen müssen (7.-9. Woche). Ich habe auch nie verstanden, warum man nicht "krank" behandelt wird, wenn man sich doch so fühlt?
Mein Tagebuch ist ja nun beendet, ich freue mich aber auf Deine kommenden Berichte und wünsche Dir alles Gute für die restliche Schwangerschaft und die Geburt!
Liebe Grüße
Antonia

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Moni, Köln08.05.2012 21:20

Liebe Anja,

ich kann dir in jedem Punkt voll zustimmen.

LG
Moni

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Daniela, Hamburg08.05.2012 19:26

Liebe Anja,
danke für Deinen Beitrag! Auch ich habe diese Situation erlebt und irgendwie bis heute ein schlechtes Gewissen, nicht die vollen 34 Wochen der Schwangerschaft (bis zum Mutterschutz) gearbeitet zu haben... - es gibt sicher auch einige Schwangere, die die Schwangerschaft als Freibrief zum Ausruhen nutzen, obwohl es ihnen gut geht... - aber für alle anderen kann der Druck durch Gesellschaft und Umfeld (und zum Teil auch Ärzte) wirklich belastend sein... - danke!

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Katrina08.05.2012 15:53

Liebe Anja,
hast Du schon mal darüber nachgedacht, woanders zu schreiben als nur hier? Dieser Text wäre es wert!
Kaum hatte ich bei meinem Arbeitgeber erzählt, dass ich schwanger sei, musste ich mich um alles weitere kümmern, denn dazu hatten die echt keine Zeit. Zum Beispiel, welche Rechte und Pflichten ein Arbeitgeber hat, wer was wann zahlt bis hin zu der Aufforderung: "Kannst Du mal rauskriegen, ab wann wir Dir nach der Geburt eigentlich kündigen dürfen?" Das waren viele stressige Monate und viel Angst, wie es danach weiter geht. Und hat natürlich auch die ersten Monate mit Kind überschattet.
Neben meinem festen Job hatte ich noch eine freiberufliche Tätigkeit. Dort hat niemand nach meiner Schwangerschaft gefragt bzw. auch nur drüber geredet. Und nach sechs Monaten saß dann natürlich auch ein anderer da.
Mir ging es nicht körperlich schlecht. Eher psychisch. Aber wenn es sowieso schon immer um die bald auszusprechende Kündigung geht, weil man ja als Mutter nicht mehr so viele Überstunden machen kann, dann lässt man sich nicht auch noch vorher krankschreiben.

Hallo Kids-go Redaktion: druckt den Beitrag mal in einem eurer nächsten Printmagazine. Der braucht einen breiteren Leserkreis!

Anja, herzlichen Dank!

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Jasmin, E.08.05.2012 15:13

Super!! Wirklich super geschrieben. Auch ich habe lange gezögert bis ich mich habe krankschreiben lassen (mobbing durch meinen Chef seit einer Fehlgeburt 2 Monate vor der Schwangerschaft bis zur Krankschreibung kurz vorm Mutterschutz). Das Ende vom Lied war das ich kurz vor Beginn des Mutterschutzes wegen vorzeitiger Wehen (körperlich hatte ich zu der Zeit keinen Stress bei der Arbeit) krankgeschrieben wurde und mich bis zur Geburt schonen musste. Aber auch ich hatte das Gefühl dass ich es schaffen muss, schließlich war ich ja "nur" schwanger. Mittlerweile ärgere ich mich sehr das ich nicht eher gegangen bin.

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Madeleine, Berlin08.05.2012 13:03

Auch ich kenne es aus meiner Schwangerschaft ich wollte auf Rat meiner Hebamme ein beschäftigungsverbot bekommen da meine Hebamme meinte mit einer Blutvergiftung ist nicht zu spaßen. Mit meiner Frauenärztin musste ich viel diskutieren bis ich dann nach 5 Wochen diskutieren dann doch das bekommen habe was ich wollte.
Ich habe auch viel zu hören bekommen schwanger sein ist keine Krankheit. Ach die Vergiftung hatte ich in der 25 ssw.

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vroni, hh08.05.2012 11:55

Danke! Dein Beitrag gehört als Artikel ins Ressort Familie und Gesellschaft in die entsprechenden Zeitungen! Ich kann es schon nicht mehr hören "Schwangerschaft ist doch keine Krankheit…" Es müsste heißen, "in der Schwangerschaft will niemand von Krankheit etwas wissen." Auch nicht die Ärzte. Ich war nach 15 Wochen Hyperemesis beim Arzt mit einer akuten Gastritis. "Die Zeit wird das heilen", war seine Aussage. Ununtersucht und ohne irgendwelche Ratschläge durfte ich wieder gehen, denn ich war ja schwanger, nicht krank. In der Klinik, wo ich zur Infusionstherapie war, wollte ich keine Vomex-Infusion, sondern einfach Flüssigkeit, da ich wochenlang nichts trinken konnte. "Was wollen Sie hier, wenn Sie kein Vomex wollen?" fragte die Ärztin, als simuliere ich meinen bedrohlichen Zustand nur. Meine Frauenärztin, die mich eingewiesen hatte, bot mir Berufsverbot an, aber ich bin freiberuflich tätig, da gibt es das nicht. Mich dauerhaft krank zu schreiben machte ihr aber Sorgen, weil wir dann angeblich in "Teufels Küche" kämen, weil wir ja nicht beweisen können, dass ich nicht arbeiten kann, weil ich ja "nur" schwanger sei. Ich bekomme aber erst nach sieben Wochen durchgehender Krankmeldung Krankengeld. So bin ich also jetzt in der 30. Woche und habe seit der 7. Woche nicht mehr gearbeitet – auf eigene Kosten.
Ich weiß, manche fühlen sich wohl in der Schwangerschaft, aber ich finde es schon krass: Kind, Beruf, Haushalt, und noch schwanger – was soll eine Frau eigentlich alles gleichzeitig schaffen?
Mir geht es inzwischen wieder besser, unserm Bauchbewohner geht es bestens, wir freuen uns. Ich nutze jetzt die verbleibende Zeit, um mich zu erholen, da die Wohlfühlphase bei mir ja leider ausgefallen ist. Wir werden irgendwie über die Runden kommen und auch diese (meine zweite) Hyperemesis irgendwann vergessen. Was mich aber schon traurig macht, ist, dass auch Freunde und Verwandte nicht recht verstehen wollen, dass ich nicht einfach "nur schwanger" war, sondern krank.

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Anna, Köln08.05.2012 11:45

Du hast ja so Recht!!! Kannst Du den Beitrag nicht kopieren, an führende bzw. einschlägige Zeitungen dieses Landes senden (ZEIT, Spiegel, Stern, FASZ, Eltern, Brigitte etc.) senden. Ich bin sicher, das würde an der ein oder anderen Stelle rezipiert, als Leserbrief oder Artikel gedruckt.

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Eva, Düsseldorf08.05.2012 10:44

Wow...super geschrieben, kann ich nur zustimmen!

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