Viele Entdeckungen zum eigentlichen Thema „Geburt“
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Im Kurs zur Geburtsvorbereitung haben wir neulich über Plazenta gesprochen. Wieder zeigte sich hier meine Inkompetenz auf dem Gebiet. Vielleicht war ich damals krank gemeldet oder habe die Schule geschwänzt, als wir das Thema der Geburt im Biologieunterricht behandelt haben. Aber ich hatte bis vor kurzem keine Ahnung davon, dass nicht alles mit der Entbindung selbst endet. Dass die Gebärende sofort danach auf keinen Fall ruhig ausatmen und eine neun Monate lang ersehnte Zigarette wieder genießen kann. Denn nach einiger Zeit wird die Plazenta geboren, die für die Versorgung des Babys mit Sauerstoff und Nährstoffen im Mutterleib verantwortlich ist. Die Leiterin im Kurs zur Geburtsvorbereitung hat uns besonders aufmerksam auf diese Nachgeburt gemacht und Zeitungsartikel mit Adressen der Anbieter gezeigt, die Plazenta dann medizinisch zu Arzneimittel, so genannten Nosoden, verarbeiten.
Viele Kulturen, zumindest in Amerika, betrachten die Plazenta als Element der Seele des Babys und lassen ihr deshalb eine besondere Bedeutung zukommen. Bei fast allen Naturvölkern wurde das Ding nach der Entbindung begraben. Zum Beispiel bekommen Tarong-Frauen nach der Geburt einen aus der Plazenta zubereiteten Tee zu trinken, eine Wurzel gegen „schlechte Luft“ zu kauen und eine Zigarre zu rauchen. Bei den Bukinon von Mindanao auf den Philippinen gilt die Plazenta als „Bruder“ des Babys. Sie beerdigen die Nachgeburt unter dem Haus und glauben, dass die Seele der Plazenta in den Himmel zurückkehrt. Alle diese Informationen habe ich mit großem Interesse gelesen und habe mich gefragt, was ich wohl mit meiner Plazenta machen würde. Auf jeden Fall möchte ich sie in eine Tüte packen und mit nach Hause nehmen. Dann werde ich wohl doch die Nosoden daraus bestellen. Den Rest könnte man trocknen und ein Ikebana daraus basteln. Aber ich hätte auch nichts dagegen, eine Festtagsmahlzeit zu kochen: Plazentacremesuppe und Plazentarouladen mit Rosenkohl und Kartoffelbrei. Wenn das Ding die ganzen neun Monate das Kind versorgt, müssen ihre Nährwerte doch erstaunlich hoch sein! Wer hat es schon mal ausprobiert?
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Von jetzt an verkürzt sich also der Abstand zwischen den Vorsorgeuntersuchungen auf zwei Wochen. Zum ersten Mal hatte ich diesmal keine lange Wartezeit bei meiner Frauenärztin, da meine erste CTG Untersuchung auf einem bequemen Sofa im Hinterzimmer stattfand. Ich wusste nicht, was das ist und starrte verwundert das Gerät an, das einerseits meine Wehen und andererseits deine Herztöne aufzeichnen sollte. Auch du warst wohl sehr überrascht, als du dein eigenes Herz im Lautsprecher gehört hast. Denn du hast mich bei ersten Lauten mit kräftigem Stoßen begrüßt. Die Frau, die mir zwei Messfühlern an den Bauch legte, kannte ich noch nicht. Sie teilte mit, dass es zurzeit keine Hebamme in der Praxis gibt und dass sie selbst diese Untersuchung zum ersten Mal durchführt. Es war also das erste Mal für uns drei.
Sie hat ziemlich lange nach der richtigen Stelle gesucht. Dann fand sie ein Herz. Dieses Herz hat aber ziemlich langsam geschlagen für ein Babyherz, also war es meins. Dann wurde erneut nach deinem Herz gesucht und auch gefunden. Die Frau hat am Lautsprecher gedreht und ich musste meine beiden Ohren mit Händen schließen – der Kardiotokograph hatte wohl eine Störung und die Geräusche im Hintergrund waren ätzend. Auch du empfandest diese akustische Belästigung als sehr irritierend. Dann waren deine Herztöne auf einmal verschwunden. Ich habe mich erschrocken. Die Frau sagte aber, dass du dich einfach weggedreht hast. Dann haben wir wieder nach deinem Herz gesucht, ihn gefunden und verloren, und so immer wieder und wieder. Und die CTG war eine laute Katastrophe, da du konsequent von dem Messfühler weggelaufen bist, um deine eigenen Herzschläge mit unangenehmen Geräuschen im Hintergrund nicht hören zu müssen.
Und irgendwann kam doch die Hebamme, guckte das Ergebnis skeptisch an und erklärte, dass du noch zu viel Platz zum Rumtouren im Bauch hast, dass ich mir deswegen keine Gedanken über die ständig gebrochene Kurve auf dem Zettel machen soll und dass die CTG in zwei Wochen viel mehr Sinn machen wird. Und irgendwie bewunderte ich doch deine extreme Hörempfindlichkeit und die Hartnäckigkeit, mit der du unangenehmes Knistern gemieden hast. Und ich war auch stolz darauf. Für mich hatte das etwas mit deiner Vererbung des guten Geschmacks was die Laute angeht zu tun. Beim „Impromptu“ von Chopin bist du doch ganz ruhig. Denn deine beiden Eltern haben gutes Gehör, spielen Musikinstrumente und können sich ihr Leben ohne gute Musik nicht vorstellen. So wirst du auch sein. Und Musik wäscht ja die Seele vom Staub des Alltags rein, wie es Berthold Auerbach mal sagte. Also bist du wenigstens auf diese Weise schon jetzt einigermaßen geschützt.