Die Stimmung hat sich etwas geändert - hoffentlich, steigt in Zukunft nicht nur die Außentemperatur
Am Dienstag hat sich zufällig ein langes Gespräch mit dem Bezirksleiter einer Bausparkasse ergeben. Ich sagte, dass ich keinen Bausparvertrag abschließen will, weil ich mir nicht vorstellen kann, über längere Zeit in derselben Wohnung zu bleiben. Ich brauche ja ständige Abwechslung. Ich entwickle mich immer weiter, bin mobil und flexibel. Und ins andere Ohr flüsterte mir dabei mein alter Ego, wie schön es doch wäre, eine Ecke auf dieser Welt zu haben, die nicht gemietet oder gepachtet ist, sondern mit allen Fensterscheiben, Türen und einem Klo, für immer und ewig, nur mir allein gehört. Warum tendieren wir Menschen immer dazu, so besitzergreifend zu sein? Und warum dient gerade mein Leben als Beispiel für den ewigen Kampf eines Menschen gegen diese Neigung – auch in der Liebe? Es könnte doch so schön und einfach sein: Ein Pärchen, ein Baby und ein Bausparvertrag.
Anlageberatung, Altersvorsorge. Azubis im Nebenraum lernen, dem Kunden verschiedene Arten der Absicherung vorzustellen, damit ihm auch das Alter, in dem körperliche Verwesung eintritt, einigermaßen Spaß macht. Versicherungen auf der Tageskarte: Unfall und Berufsunfähigkeit. Man sollte aber eine Reihe neuer Produkte entwickeln, weil es auch innere, seelische Behinderungen gibt, die genauso schmerzhaft sind, wie die körperlichen, die aber gerade dadurch noch schmerzhafter werden, dass sie für andere unsichtbar bleiben. Keiner außer dem Betroffenen hat Kenntnis und somit auch Verständnis für Auswirkungen dieser Verletzungen auf den emotionalen Zustand dieser Menschen. Deren Verhalten wird als exzentrisch bewertet. Sie sind allein mit ihrer Behinderung.
Unsere Wirtschaft kümmert sich zum größten Teil um die materielle Seite unseres Daseins. Es sollten aber auch Versicherungen gegen Herzbruch und Trennung geben. Und ein Sparbrief für Kinder mit Ausschüttung im Falle der Nicht-Wiedervereinigung ihrer Eltern. Irgendwie soll dir das Erwachsenwerden ohne Vater kompensiert werden.
Was bringt uns die 18. Woche? Experten meinen, dass du jetzt rundlicher und weniger faltig wirst. Ja, es ist höchste Zeit, unsere Falten auszubügeln und Probleme auszugraben. Tolles Wetter und Fußball haben perfekte Rahmenbedingungen dafür geschaffen.
Deine Gesichtszüge werden jetzt „immer ausgeprägter, und im Laufe der Woche erscheinen deine Augenbrauen“. Sogar dein Kopfhaar soll sich jetzt zeigen. Darauf bin ich besonders gespannt. Welches Haar wirst du bekommen – das nussbraune, wie (wenn nicht gefärbt) bei mir? Oder doch das getreideblonde von deinem Vater, das einst mein größter Fetisch war? Werde ich zum wütenden Kaliban, der seine Fratze in dir, wie im Spiegel sieht, oder eher zum Kaliban, der sein Gesicht nicht im Spiegel erkennt? Quatsch, Kaliban hat in diesem Märchen nichts zu suchen. Und Oscar Wilde kann ruhig ausatmen: Mit dir bin ich ein Künstler, der etwas Nützliches schöpft. Und trotzdem schönes. Am besten wärest du rothaarig – dann wäre es ein torloses Unentschieden. Übrigens, diese Haare werden sowieso etwa zwei Wochen nach deiner Geburt ausfallen und dickere nachwachsen.
Ich ging in den Laden, um mir ein paar breitere T-Shirts zu kaufen. Normalerweise weiß ich ganz genau, was mir gut steht und was nicht. Ich brauche die Hilfe des Personals nur, wenn ich eine andere Größe haben will, ohne die Umkleidekabine zu verlassen. Aber diesmal habe ich eine Mitarbeiterin darum gebeten, bei mir zu bleiben. Sie sollte sich alle Outfits mit anschauen und beurteilen. „Ich bin schwanger“, sagte ich, „und ich brauche Ihre Hilfe“. Sie hat mich nett angelächelt und gern mitentschieden, was mir am besten steht. Nur später wurde mir bewusst, dass ich eigentlich keine Hilfe brauchte. Das einzige was ich brauchte war jemandem, auch einer fremden Person, mitzuteilen, dass ich schwanger bin. Damit jemand – auch wenn nur ganz kurz – sich auch mitfreut. Ein großes persönliches Geheimnis – und doch würde ich es am liebsten vom Rathaus aus schreien.
Und später dachte ich: „Und was, wenn diese Frau im Einkaufszentrum sich ihr ganzes Leben Kinder wünschte und keine bekommen konnte?“ Wie vielen Menschen in dieser Welt wird diese Freude vorenthalten? Du bist aber da: Die Frucht – auch wenn nur meiner– großen Liebe, ein wunderbares Geschenk Gottes. Die besten Geschenke sind immer ungeplant und unerwartet, sie kommen immer als Überraschung. Warum und wie lange noch soll ich über mein Alleinsein meckern? Mit dir in meinem Inneren habe ich schon sehr viel, und in vier Monaten wird es noch so viel mehr sein!
