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Tagebücher aus der Schwangerschaft

Eine neue wunderbare, aufregende und vielleicht auch lang erwartete Lebenszeit beginnt. Für unsere Tagebücher-Blogs haben wir immer 3-4 schwangere Frauen in unterschiedlicher Schwangerschaftsphase, die in freudiger Erwartung über jede Woche dieser spannenden Zeit schreiben, uns und die vielen tausend Follower:innen daran teilhaben lassen und damit unvergessliche Momente schaffen.
19. Schwangerschaftswoche

DER STAND DER DINGE

Es gibt viele Arzttermine, wenig Hoffnung und das Warten geht weiter.

Es gibt keine guten Nachrichten. Und ich muss mich anstrengen, mich an die letzte Woche zu erinnern.

Ich war am Dienstag beim Frauenarzt. Sie hatte mich bereits Freitag angerufen, nachdem sie den Befund vom Pränatalzentrum erhalten hatte mit der Hydrops Diagnose. Zweimal hat sie ungefragt gesagt, dass ich die Schwangerschaft abbrechen “sollte” oder “könnte”. Das hat mir nicht gefallen.

Ich war sehr angespannt vor dem Termin. Fand sie unsensibel und hatte vorher überlegt, ob ich jetzt noch schnell den Frauenarzt wechseln soll. Ein Teil in mir wollte nicht wegrennen, wollte sich der Situation lieber stellen. Im Wartezimmer spielte ein ganz aufgewecktes Babymädchen glücklich und gesund vor sich hin und meine Tränen liefen. Das tun sie ständig und überall, Mascara trage ich überhaupt nicht mehr auf.

Bei meiner Frauenärztin habe ich ein wenig bestimmter, als es normalerweise meine Art wäre, meine Fragen am Anfang geklärt. Als es wieder um das Thema Abbruch ging, hat sie angefangen zu weinen. Und mir die Geschichte von ihrer Nichte erzählt, die mit einer Behinderung zur Welt kam, wie schwer das für alle war. Sie ist vor kurzem verstorben.

So traurig das ist, es hat mich erleichtert. Ich weiss jetzt, dass ihre doch recht kalte Art, seit der Nackentransparenzmessung auf Abbruch hinzu pochen, viel mehr mit ihrer eigenen Erfahrung und Gefühlswelt zu tun hat, als mit meiner Situation, meinem Mädchen oder mir. So kann ich mich besser von ihrer Meinung abgrenzen, sogar ein wenig Verständnis für ihre Härte aufbringen.

Medizinisch überschreitet die Diagnose ihren Horizont und sie kann mir zum Ultraschall nicht viel sagen. Also haben wir erledigt, was es an Routine zu erledigen gab und ich wusste: Das Herz von meinem Mädchen schlägt noch tapfer. Gleichzeitig kam vom Pränatalzentrum das Ergebnis der Infektionsanalyse: kein auffälliger Befund. Eine Ursache mehr ausgeschlossen.

Donnerstag ging es zum Universitätsklinikum, der Termin, der eine Wende hätte bringen können… aber nicht hat. Die Ärztin konnte mir nichts an die Hand geben, dass sich nach Hoffnung anfühlte. Sie hat alles, was ich über Hydrops wusste, bestätigt. Sie hat mir Blut abgenommen, um einige Tests (besonders die Infektionsanalyse) zu wiederholen. Sie hat sich mein Mädchen ganz genau im Ultraschall angesehen. Seit einer Woche werde ich vor jedem Ultraschall gewarnt, dass ihr Herz schon aufgehört haben kann zu klopfen. Durchatmen, es schlägt. Wie ich schon wusste, handelt es sich um einen sehr schweren Fall von Hydrops, also viel Wasser zu einem frühen Zeitpunkt. Auch sie konnte organisch keine Probleme feststellen: Gehirn, Herz, Magen, Skelett, etc. - alles scheint normal entwickelt zu sein.

Ich habe mein Mädchen ganz genau beobachtet. Ich musste ein Gefühl dafür kriegen, wie es ihr wohl geht. Sie hatte die Hand im Mund, am Gesicht. Sie hat sich die ganze Zeit viel bewegt und wirkte lebendig. Zum ersten mal seit der bösen Nackentransparenzmessung habe ich auch wieder ein paar Bilder von ihr mitnehmen können. Bei den anderen Terminen war das vor lauter Schock vollkommen unter gegangen. Und wisst ihr was? Ich sehe sie mit den Augen einer Mutter: Sie ist zwar ein Wasserklops, aber für mich ist sie der schönste Wasserklops auf der Welt.

Es folgte der grausamste Teil: Die Aufklärung über einen möglichen Abbruch. Bis zur 22. SSW kann man die Wehen direkt einleiten. Dann kann es ein bis drei Tage dauern, sie zu gebären. Ich muss sie auf natürlichem Wege gebären, da führt kein Weg dran vorbei. Noch ist sie nicht lebensfähig und würde bei der Geburt sterben. Im Anschluss wird noch in meiner Gebärmutter ausgeschabt.

Sollte man die Grenze der 22. SSW überschreiten, müsste man im Falle eines Abbruchs vor der Weheneinleitung einen Fetozid im Bauch vornehmen. Eine Kaliumlösung würde in ihr Herz gespritzt werden, um sie umzubringen. Zum Standardprozedere gehört, dass eine Ethikkommission das Vorgehen genehmigt. Die Prognose vom Klinikum lautet, sie glaubt nicht, dass mein Mädchen es in eine lebensfähige Woche schafft.

Direkt im Anschluss musste ich zum Pränatalzentrum, zur Humangenetikerin. Insgesamt war ich den Tag sechs Stunden am Stück bei Ärzten und meine Arme und Hände sind ganz blau zerstochen vom ständigen Blutabnehmen. Die Humangenetikerin hat die Suche nach der Ursache noch nicht aufgegeben. Sie wartet auf das Laborergebnis vom Noonan-Snydrom, lässt eine Thassalämie untersuchen, hat mit einer Spezialklinik in München telefoniert, die noch einmal molekulargenetisch spezielle Untersuchungen durchführen kann, welche die Krankenkassen schon gar nicht mehr gerne bezahlen.

Ihr Rat war es, noch ein bis zwei Wochen abzuwarten, was die Ergebnisse sagen. Da sie findet, dass sich mit einer Ursache eine bessere Entscheidung treffen lässt als ohne. Viel Hoffnung wollte allerdings auch sie mir nicht machen, da nichts, was noch als Ursache in Frage kommt, behandelbar ist.

Also warte ich. Auf das Klinikum, weil die Ärztin nochmal mit ihrem Chef sprechen und mich anrufen wollte. Auf die Wiederholung der Infektionsanalyse. Auf Noonan und Thalassämie. Auf ein Wunder oder auf nichts.

Vielleicht auch nur darauf, dass mein Mädchen selbst entscheidet, wann sie gehen möchte. Denn ich bin im Augenblick nicht fähig dazu, ihre Lebenszeit aktiv zu verkürzen. Besonders solange sie nicht unter den Symptomen leidet, es warm und kuschelig in meinem Bauch hat. Ich habe mir wieder mehrmals von allen Seiten bestätigen lassen, dass sie nicht leidet.

Und solange es ihr gut geht, gehört mein Bauch ihr. Ich streichel sie, ich freue mich, wenn ich essen und trinken kann, weil ich dann immer denke, ich tue ihr etwas Gutes. Ich singe für den Bauch oder frage sie, wie es ihr geht und ob ihr Herz noch schlägt. Was ich tun soll, aber sie antwortet mir nie.

Ich habe ihr auch mal erzählt, warum das Leben hier draußen ganz schön anstrengend ist. Dass es gar nicht immer warm ist wie im Bauch und man sich selber Futter besorgen soll. Ich dachte, vielleicht tröstet sie das. Oder mich.

Mehr kann ich aktuell nicht berichten. Alles andere ist Hintergrundrauschen, ich existiere vor mich hin und warte die nächste Woche ab.

Trotzdem würde ich an dieser Stelle gerne noch ein wenig Dank zum Ausdruck bringen. Einmal im Besonderen an Anke und Barbara von kidsgo, die mir ihre helfenden Hände reichen <3 An Judith, meine Tagebuchkollegin, die an uns denkt. Und an die Leserinnen: Jana - Danke dass du mein Unverständnis darüber teilst, warum das gerade passiert. Vanessa - Für das Teilen deiner (auch schmerzhaften) Geschichte. Die Selbstvorwürfe sind eine Qual, aber zum Glück habe ich gute Trauerbegleitung und fühle mich von der Seite gestützt. Christine - Was du durchgemacht hast, tut mir leid. Die Internetquellen sehe ich mir an und ich empfinde genauso wie du, jede Lebenszeit ist kostbar. Stephanie - Danke für die stille Umarmung. Anke - Auch deine Umarmung hat mich erreicht. Ich glaube ebenfalls, dass nur Gefühle zulassen in so einer Situation helfen kann. Friederike - Danke für dein Mitgefühl. Tina - Von den Sternenkindern habe ich gehört, habe mir die Seite auch angeguckt. Und an Brygida - Du verstehst mein Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung gut. Ich hoffe auch auf eine bessere (nahe oder ferne) Zukunft!

Eure traurige Mira mit Babygirl im Bauch



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Kommentare von Lesern:

Sara, Frankfurt 25.01.2018 17:01

Liebe Mira,
was bin ich froh, dich in so guten Händen zu wissen. Du darfst sehr stolz auf dich sein, an schon so vieles gedacht zu haben. Wenn man so in der Situation gefangen ist, ist man ja nicht wirklich zu klaren Gedanken fähig. Zumindest ging es mir bei Sternenkind 4 so. Mein Wissen hab ich mir danach ergoogelt, für den Fall der Fälle... Für Sternenkind 5 hab ich alles nicht gebraucht. Dann kam zum Glück ja alles anders, wie du in meinem Tagebuch irgendwann nachlesen kannst, wenn du das möchtest...
Ich wünsche dir, dass mein Lieblingszitat auch eines Tages deins wird.

Auch ich denk unbekannter Weise viel an dich.

LG Sara

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Gast24.01.2018 09:49

Liebe Mira du bist so unglaublich tapfer und aus deinen Worten spricht so viel liebe zu deinem kleinen Baby du bist jetzt schon die beste Mama die sich so ein kleines Wesen wünschen kann.Ich wünsche Dir und Deiner kleinen Tochter alle Kraft der Welt. Bin in Gedanken bei Euch auch wenn wir uns gar nicht kennen.

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Steffi, Köln23.01.2018 16:13

Liebe Mira,
ich mag auch keine Gräber und Friedhöfe. Wenn es keine Seebestattung werden sollte, hast Du schonmal von einem Friedwald gehört. Das war für mich die Lösung.
Ich wünsche Dir, dass Du in Ruhe die richtige Entscheidung treffen kannst.

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Jannett23.01.2018 13:46

Liebe Mira, dein Babygirl hat die beste Mama die es sich wünschen kann. Du hast soviel Liebe in dir, die du ihr gibst und das ist so wertvoll für sie!!! Ich wünsche dir weiterhin ganz viel Kraft. Fühle dich von mir umarmt.

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Katharina, Berlin 22.01.2018 23:20

Liebe Mira,
wie traurig ist das, was du gerade erleben musst. Nach deinem ersten Beitrag hatte ich dir geschrieben, dass es schön ist, dass du dieses Geschenk einer wenn auch unerwarteten Schwangerschaft zu schätzen weißt. Das hatte neben meiner Mitfreude aus der Ferne noch einen anderen Grund. Wir hatten bis auf einen Tag denselben ET, aber unser Kind hatte in der 11. Woche keinen Herzschlag mehr. Es war seit der 8. Woche nicht mehr gewachsen. Deshalb fand ich es eben besonders schön, dass du bereit bist, dein Kind anzunehmen. Ich möchte mich Sara anschließen. Auch mir hat es geholfen, der Natur ihren Lauf zu lassen, wobei ich mir völlig im Klaren darüber bin, dass eine frühe Fehlgeburt zu diesem Zeitpunkt eine andere Hausnummer ist als alles, was später kommt, wenn man schon mehr als ein "Herzchen in einer Erdnuss" gesehen hat. Schön, dass du eine Hebamme hast, das fand ich auch sehr hilfreich. Ich denke fest an euch!

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Mira, Hamburg22.01.2018 19:50

* Ich meine natürlich: NIMMT mir einwenig die Angst vor dem, was noch kommen kann.

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Mira, Hamburg22.01.2018 19:18

Und Sara, dir würde ich gerne ganz viel sagen. Die Schuldfrage ist so emotional, auch wenn ich es vom Kopf her weiss, wird mein Herz noch Zeit brauchen, den Fehler nicht bei mir zu suchen.

Ich habe wirklich insgesamt viel Glück mit Unterstützung. Dank einer helfenden Hand habe ich jetzt eine Hebamme, die explizit Trauerbegleitung anbietet. Und ich habe selbstverständlich sofort meine ehemalige Therapeutin kontaktiert, die ich im Moment wieder jede Woche sehe. Auch sie wird mir helfen, danach meine Scherben wieder zu einem Ganzen zusammen zu setzen. Auch zum Krankenhaus habe ich guten Kontakt. Die Ärztin dort hat mich Freitag und heute angerufen und mir sogar ihre Dienstnummer gegeben, falls es notwendig werden sollte.

Ich habe mir bereits überlegt, dass ich meine Kleine gerne Seebestatten lassen würde. Gräber fühlen sich für mich manchmal so festgefahren an, während ich immer mit dem Gefühl bei ihr sein könnte, wenn ich am Wasser bin. Ein paar Freunde haben den Auftrag bekommen, ein gutes Angebot zu recherchieren für den Fall, dass es soweit ist. Mein Herz ist im Moment nicht zu so einer Google-Suche fähig.

Ich danke dir vielmals für jeden einzelnen Gedanken! In so einer Situation kann man schnell verloren gehen und den Überblick verlieren. So hat mir dein Beitrag gezeigt, dass ich an vieles schon gedacht habe und noch ganz gut am Schwimmen bin. Auch das ist etwas wert.

Das allerwertvollste an deinem Beitrag war aber der Gedanke, keine Angst vor der stillen Geburt haben zu müssen. Das ist mir wirklich neu und es gibt mir einwenig Trost und einwenig Angst vor dem, was kommen kann.

Liebst und auch wenn das Wort sich abnutzen kann: Danke <3

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Mira, Hamburg22.01.2018 19:08

Zwei Kommentare kamen am Sonntag, obwohl ich meinen Bericht Samstag schon eingetippt hatte. Deshalb an dieser Stelle noch mal: Liebe Hannah, habe ich gleich gemacht. Obwohl mich die Bilder sehr schnell sehr traurig gemacht haben.

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Sara, Frankfurt 22.01.2018 14:29

Lies, wenn du magst meine Kommentare vom 21.1.18. Hat sich glaub ich mit deinem Beitrag überschnitten...

So, dann geht sie weiter, die ungewisse Zeit des Wartens.
Ich höre deutlich dass dir nicht nach Abbruch ist. Ich würde mich nicht dazu drängen lassen.
Die Angst vor der natürlichen Geburt möchte ich dir aus eigener Erfahrung nehmen. Klar waren meine Sternchen viel jünger. Aber ich bin psychisch viel besser klar gekommen mit den sog. “kleinen Geburten” als mit der Ausschabung nach Missed Abortion als ich das Gefühl hatte, etwas völlig falsches zu tun. Und nach der OP leer aufzuwachen.
Eine Geburt hat immer etwas unglaublich Kraftvolles. Ich bin mir sicher auch du kannst ihr trotz all der Trauer etwas Positives abgewinnen. Es ist unglaublich wichtig für den Verabeitungsprozess eine natürliche Geburt durchgemacht zu haben. Das sag ich aus Erfahrung.

Ich wünsche dir diesen einen wundervollen Moment bei der Geburt.

Fühl dich lieb gedrückt...
Bis bald
Sara

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