Heute ist es einen Monat her, dass ich Delaila verloren habe.
Manchmal kommt es mir schon weit weg vor, in anderen Momenten kann ich mich selbst noch wegen der Schmerzen schreien hören.
Ich möchte diesen Bericht mit unfassbar guten Nachrichten beginnen: Der Spendenaufruf hat funktioniert! Ihr wundervollen, unbekannten und bekannten Menschen da draußen in der Welt, ihr habt meine Geschichte gelesen und nicht nur mitgefühlt, sondern auch gehandelt. Ihr habt fleißig gespendet und inzwischen sind auf dem Konto des Bestattungshauses Titze unfassbare 1316 € eingegangen! Ist das nicht der Wahnsinn? Ich habe nur vollkommen baff, glücklich und dankbar diese Summe ansteigen sehen! Den Überbetrag werde ich der Initiative Noonan-Kinder e.V. Deutschland spenden, es ist nicht viel, aber auch ein kleiner Beitrag ist etwas Wert (http://www.noonan-kinder.de/).
Das bedeutet, die Seebestattung von meinem Mädchen ist bezahlt! Als Datum habe ich den 21. März gewählt. Zum einen liegt das daran, dass meine Zeit mit ihr so kurz war, mir war danach, mir mit dem Abschied Zeit zu lassen. Zum anderen ist dann Frühlingsanfang - eine Jahreszeit, die sie nicht kennen lernen durfte - und persisches Neujahr. Ihre, meine orientalischen Wurzeln hatte ich ja bereits erwähnt. So ist der Tag ihres Abschieds etwas besonderes, nicht irgendein Datum, welches ich im Kalendar heraus gepickt habe.
An dem Tag werde ich ihr ein letztes mal an der Ostsee begegnen. Danach nur noch in Gedanken und in meinem Herzen.
Mein Herz ist ein schmerzhaftes Thema. Denn der Körper erholt sich, inzwischen habe ich wieder meine Tage gekriegt und die Linea nigra auf meinem Bauch verschwindet immer mehr. Alle materiellen Erinnerungen an die Schwangerschaft passen in eine Box und der Alltag hat schneller zu mir zurück gefunden, als ich erwartet hatte. Aber mein Herz bleibt unvollständig...
Wann immer ich zur Ruhe komme, alleine bin, in mich hinein fühle, ist es in meinem Herzen leer leer leer. Und ich weiss das Loch mit nichts auf dieser Welt zu füllen, weil ich mir nicht vorstellen kann, noch einmal etwas so sehr zu lieben, wie mein Mädchen in meinem Bauch. Außer eines Tages ein neues Kind auf eine andere, aber wahrscheinlich gleich intensive Art und Weise.
Ich weiss auch nicht so genau, ob ich eine Mama bin oder nicht. Ob ich zu dem "Club" nun dazu gehöre. Ich sage immer, ich fühle mich wie eine halbe Mama: Ich hatte eine halbe Schwangerschaft, eine Geburt. Aber ich habe jetzt kein Kind in meinem Leben.
Trauer braucht viel Zeit. Es ist ein mühsamer Prozess, sich die Dinge “zurück zu erobern”. Meine Wohnung ist voll von unseren gemeinsamen Erinnerungen, von fünf Monaten jeden Tag mit ihr in meinem Bauch hier, in der Umgebung: Unter der Bettwäsche habe ich mit ihr geschlafen, hier war ich mit ihr Waffeln essen, hier habe ich ihr das und das gekauft, usw. Die Liste ist lang, der Alltag eine emotionale Minengrube. Alles kracht einmal mit seiner vollen Erinnerungswucht auf mich ein. Bevor sich die Trauer daran entladen und ich die Dinge kleinschrittig wieder neutraler betrachten kann.
Immer wieder träume ich davon, wie ich im Krankenhaus bin, vor der Geburt, nach der Geburt. Immer auf der Suche nach ihr. Ständig denke ich an den einen Moment, als ich sie nach der Geburt im Arm hatte und ihre noch warme Stirn küssen durfte. Ich wusste in dem Augenblick nicht, wie schnell diese Wärme ihren Körper verlassen würde, wünschte ich hätte ihn mehr ausgekostet, ich könnte ihn festhalten, diesen Moment, wieder haben, wieder fühlen. Kann mich aber nur an ihre Wärme auf meinen Lippen erinnern.
Es ist unbeschreiblich, wie sehr sie mir fehlt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie mir nur einen Tag für den Rest meines Lebens nicht fehlen wird.
Sie zu vermissen ist jetzt ein beständiger Teil von mir.
Und wie das Leben manchmal so spielt... gibt es noch etwas, dass ich mit euch teilen möchte. Ich weiss, es ist schwer zu glauben, ganz oft kann ich es selbst kaum fassen: Aber der Mann, der plötzlich wieder in meinem Leben aufgetaucht war, ihr erinnert euch? Er und ich sind jetzt zusammen. Unglaublich, oder? Wir sind uns in dieser schweren Zeit sehr nahe gekommen, die Gefühle sind groß und tief und wachsen immer weiter. Er bringt gerade viel Glück in mein Leben. Und Halt, auch wenn es mir schwer fällt, mich in meiner Trauer an jemanden anzulehnen... Trauer ist so intim, ich weiss nicht, ich mache sie anscheinend lieber mit mir selbst aus. Oder mit diesem Blog.
Ich habe mich in den schweren Wochen auch ein paar mal gegen “uns” gewehrt, weil ich das alles kaum verarbeiten geschweige denn die Gefühle von Trauer und Verlieben zusammen bringen konnte. Aber ich habe irgendwann festgestellt, dass ich gar nichts dafür tun muss, damit es funktioniert. Diese Beziehung hat sich von selbst aufgebaut, ich musste den Dingen nur ihren Lauf lassen. Und akzeptieren, dass das Leben mir anscheinend gleichzeitig mein Mädchen genommen und Liebe geschenkt hat...
Er hat auch einen großen Kinderwunsch, schon seit längerem und unabhängig von mir gehabt. Das vereint uns jetzt: Der Wunsch nach einer Familie, einem gemeinsamen Zuhause. Wie die Dinge sich entwickeln werden, weiss man natürlich nie. Aber heute sagt mir unsere Realität und mein Gefühl: Das ist es also, das ist mein Happy End. Anstatt mit Delaila eine alleinerziehende Mom zu werden, werde ich mit diesem Mann eine Familie gründen. Es wäre wundervoll, denn nichts will meine gesamte Subtanz gerade mehr als Mama sein und eine Familie haben.
Trotzdem gibt es diese traurige Stimme in mir, die ab und an flüstert: Ich würde ein ganzes, glückliches Leben mit ihm jederzeit eintauschen gegen einen einzigen, unglücklichen Tag mit meinem Mädchen. So tickt mein Herz nun einmal, auch wenn dieser Gedanke mir nichts bringt...
So stehen die Dinge im Moment also. Und es ist auch an der Zeit für unseren Abschied, denn an dieser Stelle enden auch meine Berichte für euch. Hier endet der Weg, den ihr alle ein Stück mit mir gegangen seid. Ich wünsche jedem, den diese Zeilen erreicht haben, soviel Gutes und Liebe! Und vor allen Dingen, dass ihr niemand Lieben verliert. Und falls doch, dann dass euch Hoffnung durch die schwere Zeit trägt - so wie sie mich getragen hat und auch weiter tragen wird.
Ich habe diesen Blog wirklich ins Herz geschlossen. Es gab soviel Halt und guten Zuspruch in den Kommentaren und Emails, auch und besonders von der kidsgo Redaktion. Ich bin vollkommen überspannt dankbar dafür, dass ich am Anfang der Schwangerschaft den Weg hier her gefunden habe. Denn darüber hinaus hat dieser Blog es mir am Ende erlaubt, Delaila die Bestattung zu ermöglichen, die meiner Liebe zu ihr entspricht. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel mir das bedeutet und immer bedeuten wird! Eintausenddreihundertundsechszehn Ausrufezeichen dafür.
Ihr Lieben - Denkt an mich, in ein, zwei Jahren, wieder kugelrund und glücklich. Dann mit Mann an meiner Seite und stabilem Zuhause. Aber auch für immer mit einem Loch im Herzen für mein kleines Mädchen Delaila.
Ganz viel Liebe,
Eure “halbe Mama” Mira