Endlich kenne ich die Ursache für ihren Hydrops. Und ich bin im Krankenhaus und kann mich für oder gegen nichts entscheiden.
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
Ich kenne jetzt die Ursache für den Hydrops von meinem Mädchen: Es ist das Noonan-Syndrom, eine Genmutation des PTPN11 auf dem 12. Chromosom. Es kann vererbt oder eine Neumutation sein. Der Kindsvater und ich lassen uns jetzt testen. Sollte einer von uns es ihr vererbt haben, liegt die Wahrscheinlichkeit, es wieder zu vererben bei 50%.
Das Noonan hat ein sehr breites Symptomspektrum. Es betrifft ein Wachstumsgen, deshalb kann alles beeinträchtigt sein: Größe, geistige Entwicklung, Körperverformungen und jede Art von Organschäden. Manche haben ein tragisch-schweres Krankheitsbild. Aber es gibt auch so milde Ausprägungen, dass man es nie diagnostiziert. Deshalb könnte ja sogar ich es haben, theoretisch jeder.
Das alles ist nicht einmal das akute Problem, sondern der Hydrops. Niemand denkt, dass mein Mädchen die Schwangerschaft überlebt aufgrund der Wasseransammlungen. Die Prognose lautet immer: Wir reden von Wochen, nicht mehr.
Dienstag bin ich zusammen gebrochen. Ich hatte immer weniger geschlafen, immer mehr an Kraft verloren. Dann wurde meine körperliche Verfassung schlechter: Kreislaufzusammenbruch, Übelkeit, Bauchkrämpfe, Atemnot, ein schmerzhafter Druck auf der Brust, also bin ich stationär im Universitätsklinikum aufgenommen worden. Von hier aus schreibe euch diese Zeilen.
Die ersten Nächte hatte ich eine Form des "Restless Leg Syndrom". Ich konnte nicht still liegen, sofort hat mein ganzer Körper geschmerzt. Besonders der linke Arm fühlte sich komplett taub an, als würde ich ihn verlieren. Organisch liegt keine Ursache vor, alles wurde untersucht, es hat trotz Beruhigungsmitteln nicht aufgehört. Es erschreckt mich, dass eine psychische Belastung so tief greifen kann, dass sie reale, körperliche und starke Schmerzen auslöst. In der zweiten Nacht war es mein linkes Bein, aber schwächer.
Ich fühle mich hier sehr gut versorgt und bin inzwischen wieder mehr zu Kräften gekommen.
Bereits vor der Aufnahme hatte ich mit zwei Frauenärztinnen, einer Ärztin vom Pränatalzentrum, einer Hebamme, meiner Psychologin, einer Humangenetikerin und einer Oberärztin gesprochen. In den letzten drei Tagen kamen zwei Oberärztinnen, eine Stationsärztin, eine Humangenetikerin, zwei Psychologinnen und eine Hebamme dazu. Ich habe keine Zweitmeinung eingeholt, sondern bin inzwischen bei der Zehntmeinung.
Niemand schenkt mir Hoffnung.
Die Frage lautet bloß: Warte ich die Wochen ab, bis sie von selbst verstirbt? Oder leite ich hier die Geburt ein, an der sie versterben wird?
Ich denke nur an Sie. Denke, ich darf ihr keine Lebenszeit nehmen. Alle anderen bitten mich, mich selbst nicht zu vergessen. Zu sehen, dass auch ich bereits körperlich und emotional über meine Grenzen bin. Zu überlegen, ob mich ein weiteres Warten - wochenlang jeden Tag auf ihren Herzstillstand - nicht immer weiter auflöst. So dass keine Kraft mehr übrig bleibt, mich auf der anderen Seite wieder aufzubauen.
Ich weiß, was die "vernünftige" Entscheidung ist, aber mein Herz steht nicht dahinter. Deshalb habe ich noch Luft, niemand drängt mich hier zu irgend etwas. Ich weiss nicht, ob ich jemals entschieden genug für den Schritt sein werde, sie geplant gehen zu lassen. Ich sehe und spüre aber auch an mir die Gefahr, was diese extreme Belastung mit mir macht, je länger ich diesen Zustand aushalte.
Wenn ich versuche, mit ihr zu reden, brech ich unter Tränen ein. Deshalb streichel ich sie nur. Ich sehe im Ultraschall, wie sehr ihr kleiner Körper durch das Wasser bedrängt wird. Ich sehe aber auch ihre wundervollen kleinen Hände und Finger. Kleine Finger, die meine nie umschliessen werden. Ihre Bewegungen. Und dass sie immer, immer, immer - bei jedem Ultraschall - im Schneidersitz sitzt. Was besonders bezaubernd ist, denn unter ihr ist nur Wasser. Das macht ihre orientalische Herkunft, da bin ich mir sicher.
Parallel organisiere ich mit Unterstützung eines Freundes ihre Seebestattung. Und meine beste Freundin, die bei der Geburt da sein sollte, kam Donnerstag her geflogen und bleibt über's Wochenende.
Ich lese und schätze jeden Kommentar. Ich hoffe ihr versteht, dass mir im Moment die Kraft fehlt, einzeln auf jeden einzugehen. Auch wenn sie es alle verdient haben.
Ich habe es auch versäumt, die CD zu erwähnen, die mir von der lieben Anke von kidsgo zugesendet wurde. Eine Sammlung von Lullaby-Liedern aus der ganzen Welt. Über die ich mich leider nicht lange freuen durfte, denn sie erreichte mich kurz vor der schlechten Diagnose. Trotzdem danke ich euch ganz herzlich dafür!
Eure Mira mit Babygirl im Bauch, am Tiefpunkt, am Ende und noch ein Stück darüber hinaus...