Und schreibe den gesamten Bericht unter laufenden Tränen und mit verschwommenem Blick.
Das erste Wehenmittel wurde Mittwoch Nachmittag gesetzt. Ob ihr Herz erst dann aufgehört hat zu schlagen oder bereits die zehn Tage davor, werde ich nie mit Gewissheit sagen können.
Das war eine bewusste Entscheidung, keine starke, aber eine aus Selbstschutz heraus. Ich möchte den Rest meines Lebens in dieser Ungewissheit leben.
Erst begann es mit einem Klopfen, schnell kamen die Krämpfe. Ich bat um das erste Schmerzmittel, in den nächsten 12 Stunden hatte ich bereits zehn verschiedene Infusionen mit den stärksten Mitteln, die sie da hatten, intus. Ständig ist mir der Kreislauf weg gebrochen und wir mussten die Cocktailgabe unterbrechen.
Wenig hat geholfen. Aus den Krämpfen wurden Wehen und die kamen minütlich. Verzweifelt bat ich nachts um einen Kaiserschnitt, aber den macht man nicht in einem so frühen Stadium. Das Problem war der Muttermund, er war fest verschlossen, voll und ganz entschieden, mein Mädchen nicht loszulassen. Mit oder ohne Herzschlag.
So arbeiteten zwei Kräfte gegen einander und selbst das künstliche Aufplatzen meiner Fruchtblase änderte nichts. Nach den ersten 12 Stunden fing ich an zu schreien und ich habe die nächsten 12 Stunden nicht damit aufgehört.
Ich habe das gesamte Krankenhaus zusammen geschrien, jetzt denke ich: Die armen Neugeborenen um mich herum. Es waren Wehen ohne Endorphine, ohne die Aussicht, danach mein kleines, gesundes Mädchen im Arm zu halten. Und es waren sicherlich verzweifelte Schreie, emotionale Schreie, ich habe einfach 12 Stunden um den Verlust meines Mädchens geschrien.
Vormittags ging es in den Kreißsaal, um mir eine PDA zu geben. Gibt man diese zu früh, kann es den ganzen Prozess verlangsamen, deshalb das Warten. Als sie kamen, war es schwer, mir die Spritze ins Rückenmark zu setzen, weil eine Wehe nach der anderen kam und ich vor Schmerzen zitterte und nicht still halten konnte.
Danach kehrte eine Weile Ruhe ein.
Ich weiß, dass irgendwann im Laufe des Morgens ein Ultraschall gemacht wurde, um ihre Kopflage zu untersuchen. Ihr Herz hat nicht mehr geschlagen, aber das war mir intuitiv bereits bewusst.
Es folgten ein paar Stunden der Versuch, sie zu gebären. Mit jeder Wehe presste ich mit, in verschiedenen Positionen, im Sitzen, im Hocken. Es wurde mitgedrückt und geholfen aber mein Körper gab sie einfach nicht her. Ihr fehlte ja auch jede Körperanspannung, um mitzuhelfen, so kam immer wieder die erste Sicht auf den Kopf, aber weiter ging es nicht.
Der letzte Schritt war die OP. Es wurde noch eine PDA gesetzt und ich musste pressen, bis sie mit Hilfe einer Zange am Donnerstag um 16.21 Uhr still geboren wurde.
Mein Mädchen Delaila.
26 cm, 862 g. Zuviel für ihr Alter, fast die Hälfte ihres Körpergewichts wurde vom Wasser verursacht. Sie legten mir mein warmes Mädchen in den Arm und bereiteten mich darauf vor, dass sie nicht gesund aussieht. Aber so etwas sehen Mutteraugen nicht. Ich hätte es nie gedacht, aber sie leblos im Arm zu haben war ein schöner Moment. Ihr einen Kuss auf ihre warme Stirn zu geben, ihre kleinen Wangen zu streicheln und ihre Hände zu berühren.
Parallel wurde die Plazenta nachgeboren und meine Gebärmutter ausgeschabt, aber davon habe ich nichts mitbekommen.
Ich hatte ein paar Tage zuvor eine Silberkette und ein Silberarmband gekauft, beide mit dem Baum des Lebens als Anhänger. Ihr habe ich das Armband nach der Geburt angelegt, ich trage immer die Kette.
Danach wurde es unruhig und vieles ist verschwommen. Ich wurde auf eine andere Station verlegt.
Am nächsten Tag bin ich vollkommenen panisch aufgewacht, ich wusste nicht, wo sie ist. Ich wusste nicht, wo ich bin. Also habe ich schnell in die Wege geleitet, dass ich sie wieder sehen kann. Ich kann kaum laufen und der Wochenfluss ist sehr stark, aber mein Drang war stärker als meine körperliche Schwäche.
Ich hatte sie für knapp zwei Stunden bei mir. Eiskalt, weil sie natürlich leblose Körper kühlen. Ich habe ihren kleinen Arm mit ihrem Armband gesehen. Ihr Gesicht und ihre Finger gestreichelt. Ihre Füße angesehen und entdeckt, dass ihre Beine auch jetzt im Schneidersitz waren. Vielleicht muss sie in der Position bereits eine Weile in meiner Fruchtblase verstorben gewesen sein, so dass die Haltung selbst die Geburt überstanden hat.
Wenn mir vorher jemand erzählt hätte, dass Frauen noch tagelang ihr totes Baby sehen wollen, hätte ich daran gezweifelt, warum sie sich das antun. Ich kann euch nicht beschreiben, was das für eine beruhigende, beinahe Endorphine freisetzende Wirkung auf mich hatte.
Nur neben ihr zu liegen, mit einem Arm um ihr kleines, eingewickeltes Wesen herum. Mein Herz, mein Körper, alles konnte atmen. Jetzt war sie wieder bei mir und alles andere ist nicht richtig.
Das ganze Wochenende habe ich überlegt, ob ich sie wieder sehen will. Aber ihren Körper ständig einzufrieren und wieder aufzutauen kommt mir nicht richtig vor. Sie hat schon genug mit ihm durch gemacht.
Den Namen Delaila habe ich ihr bereits in der 6. SSW gegeben, lange bevor ich wusste, ob sie überhaupt ein Mädchen ist. Aber mein Gefühl war sich sicher. So sicher, dass ich sie in der 7. SSW in einer Kita in meinem Stadtteil für den Sommer 2019 angemeldet hatte. Mit richtiger Geschlechtsangabe und ihrem Namen.
Das wird nicht mehr sein. Vieles ist nicht mehr. Mein Bauch weiß nicht, warum er plötzlich leer ist. Mein ausgeprägter Geschmacks- und Geruchssinn ist weg. Mein Herz pumpt nicht mehr wie wild, um uns beide zu versorgen.
Ich weiß nicht, warum das Universum mir ein Kind geschenkt hat, um sie mir wieder wegzunehmen. Beziehungsweise ich kenne Antworten, aber nichts davon war ihren Verlust wert.
Ich hoffe, sie weiß, dass sie immer von meiner ganzen Liebe beschützt wird. Und dass es ihr gut geht und sie mich nicht vergisst, wo auch immer sie jetzt ist.
Ihr Körper selbst ist gerade in der Rechtsmedizin. Im Laufe der kommenden Tage wird sie vom Bestattungsunternehmen abgeholt. Dann tritt sie ihre Reise Richtung Seebestattung an, wo ich ihr wieder begegnen werde.
An dieser Stelle möchte ich noch einen Wunsch aussprechen, auch wenn es mir nicht einfach fällt. Ein Freund von mir hat mir die Recherche von Bestattungsanbietern abgenommen und bei dem netten Unternehmen Titze ein Angebot über 1250 €ausgemacht. Wie ein paar Leserinnen vielleicht wissen, ist Geld nicht gerade das, was mir zur Verfügung steht. Ich konnte mir die Summe von diesem Freund leihen und dafür bin ich sehr dankbar.
Meine Frage an Euch ist, ob die ein oder andere Leserin sich vorstellen könnte, mir einen € oder mehr dazu zu legen. Wie eine Spende. Bitte glaubt mir, dass ich es unangenehm finde zu fragen. Und es vollständig in Ordnung finde, wenn nichts eintrifft. Ich habe von kidsgo dennoch das Go bekommen, diese Frage stellen zu dürfen. Und hoffe darauf, auf diesem Weg etwas finanzielle Entlastung zu finden.
Auch wenn ich wünschte, Geld würde in so einem Moment keine Rolle spielen.
Unabhängig davon möchte ich Euch allen zuletzt einen tiefen, besonderen Dank für alles bisher aussprechen. Ihr habt mitgelesen, meine Hoffnung mitgetragen und mir gute Ratschläge gegeben. Mir neue, weniger selbstkritische Sichtweisen erlaubt. Die mitfühlenden Kommentare der letzten Zeit haben mich jedesmal da getroffen, wo es weh tut. Auch das war ein Funken Halt auf diesem schweren Weg und hat mir viel bedeutet.
Auch dem wundervollen kidsgo-Verlag danke ich für die Chance, hier schreiben zu dürfen - trotz des "Ausgangs". Die helfenden Hände und lieben Worte, die mir Unterstützung angeboten haben, werde ich immer zu schätzen wissen.
Ich verspreche euch allen, dass ich gut auf mich aufpassen werde. Den Gefallen müsst Ihr mir auch tun. Und melde mich in einem Monat mit einem Nachbericht.
Voller Trauer,
Eure verwaiste Mama Mira
Zum Spendenkonto:
Bestattungsunternehmen Titze
IBAN DE51810700240263582901
BIC DEUTDEDBMAG
Referenz "Delailas Seebestattung"
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Liebe Leserinnen und Leser,
wir haben uns in der Redaktion in diesem besonderen Fall entschlossen, Mira zu unterstützen und ihre Bitte zu veröffentlichen.
Wir weisen darauf hin, dass wir von kidsgo keine Garantie und keine Nachweise über die Verwendung des gespendeten Geldes geben können.
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