Mein Baby wird die Schwangerschaft nicht überleben.
Ich glaube, das sind die schwersten Zeilen, die ich je in meinem Leben schreiben werde. Mein Baby wird die Schwangerschaft nicht überleben. Baby ist übrigens ein Babygirl, am Dienstag kam endlich der Laborbefund zurück und zu dem Zeitpunkt waren alle Zeichen noch auf Hoffnung gestellt: Keine chromosomale Auffälligkeit wurde gefunden. Ich wusste von Anfang an, sie ist ein Mädchen, hatte es sogar in meine kidsgo-Bewerbung geschrieben.
Ich dachte seit der Nackentransparenzsmessung, wenn wir es bis zu diesem Punkt ohne schlechten Befund schaffen, dann ist es überstanden. Das Organscreening am Donnerstag hat mich meine Lektion gelehrt. Babygirls Brust- und Bauchraum ist gefüllt mit Wasser, besonders das Herz und die Lungen werden davon bedrängt. Unter der gesamten Haut war ebenfalls eine Schicht Wasser. Babygirl wirkte ruhig beim Ultraschall, ich weiss nicht, ob sie einfach müde war oder ob ihr der Gesundheitszustand bereits zusetzt. Ich habe fünf mal nachgefragt, noch leide sie nicht an den Symptomen.
Hydrops fetalis kann verschiedene Ursachen haben. Eine chromosomale Störung (bei mir bis auf das Noonan-Syndrom ausgeschlossen), eine Infektion zum Schwangerschaftsbeginn (wird jetzt getestet), eine Blutarmut (meine Werte sprechen dagegen), eine Rhesus-Inkompatibilität (wurde bei mir zu Beginn ausgeschlossen), ein Herzfehler (ihr Herz scheint vollkommen normal entwickelt). Ich weiss nicht, ob ich etwas vergessen habe. In vielen Fällen kann auch keine Ursache ermittelt werden, dann spricht man von einem Idiopathischen Hydrops und die Vermutung der Ärztin legt nahe, dass dies bei mir der Fall sein wird.
Wenig ist behandelbar und das wenige, das man behandeln kann, hat nicht besonders gute Aussichten. Man kann bei einer Blutarmut zum Beispiel mit Transfusionen versuchen, dass Baby zur Welt zu bringen, meist werden es Frühgeburten. Aber auch diese Kinder haben eine hohe Mortalität in den ersten Jahren, weil sie viele Organschäden mitbringen. Soweit mein bisheriger Informationsstand.
Die Prognose lautet, irgendwann wird Babygirls Herz nicht mehr gegen die Wasseransammlungen ankommen und aufhören zu schlagen. Dann muss eine stille Geburt eingeleitet werden.
In der nächsten Woche warte ich die Ergebnisse vom Noonan ab und von der Infektionsanalyse. Am Dienstag bin ich bei meiner Frauenärztin, am Donnerstag habe ich mich im Hamburger Universitätsklinikum für eine Zweitmeinung angemeldet. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ich nicht alles ausschöpfe. Ende des Monats geht es noch einmal zum Pränatalzentrum um zu schauen, wie sich die Wasseransammlungen entwickeln.
Und zu jedem Zeitpunkt vorher könnte Babygirls Herz aufhören zu schlagen.
Ich mache gerade so viele Seiten von Trauer durch, ich komme selbst kaum hinter her. Ich weine stundenlang, bis ich vollkommen leer bin. Dann bin ich ganz betäubt und die Stunden laufen dumpf an mir weiter. Ich kann mich kurz ablenken, aber das sind wenige Momente. Ich rede viel mit ihr in meinem Bauch, ich streichel sie und mache uns unser Lieblingsessen. Ich nenne sie liebevoll meinen kleinen Wasserklops und versuche ihr zu erklären, wie die Dinge gerade stehen. Denn noch ist sie da, noch schlägt ihr Herz und wahrscheinlich versteht sie nicht einmal, dass etwas mit ihr nicht stimmt.
Ich habe eine unendlich lange Liste von Vorwürfen an mich selbst und gegen die ganze Welt. Was ich falsches gegessen, nicht beachtet habe. Meine Autoimmunerkrankung. Ich habe zu Beginn der Schwangerschaft gesagt, dass ich nicht glauben kann, dass das Universum mir in meiner schwierigen Situation ein Baby gibt, dass ich annehme, um es mir dann wieder wegzunehmen. Einmal habe ich deshalb nicht auf Babys Gesundheit auf Holz geklopft. Muss mein Baby jetzt sterben, weil ich nicht auf Holz geklopft habe?
Ich bin tief wütend auf die Menschen, die zu mir meinten, dass ich sie lieber wegmachen soll. Meine gesamte Familie und ihr Vater, der sie nicht haben will. Ich frage mich, ob ihre Gedanken erhört wurden und sie mich deshalb wieder verlassen muss. Wenn sie stirbt und diese Menschen erleichtert sein sollten, meinen “es wäre bestimmt besser so”… ich kann diesen Satz nicht einmal zu Ende denken, da setzt mein Gehirn einfach aus.
Ich weiss, diese Dinge sind nicht rational. Meine Gefühle und Gedanken sind einfach nur verzweifelt und suchen nach irgend etwas, einem Grund, einer Antwort, einem Schuldigen. Manchmal auch nach einer Perspektive. Dann male ich mir aus, dass ich in zwei Jahren ein neues Baby haben werde, vielleicht ja mit dem Mann, der plötzlich wieder in meinem Leben aufgetaucht war. Und wenn ich so etwas denke, dann verabscheue ich mich selbst dafür.
Man sagt, in der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt. Ich finde, auf die Trauer trifft das auch zu. Deshalb versuche ich mir jeden wirren Gedanken zu verzeihen, egal wie hilfreich oder verwerflich ich ihn finde. Sie sind alle nur dafür da, um für kurze Augenblicke diesem Schmerz zu entkommen, dem ich gerade vollkommen machtlos ausgeliefert bin... und noch für eine längere Zeit sein werde.
In fassungsloser Traurigkeit,
Mira noch mit Babygirl im Bauch