Es gibt viele Arzttermine, wenig Hoffnung und das Warten geht weiter.
Es gibt keine guten Nachrichten. Und ich muss mich anstrengen, mich an die letzte Woche zu erinnern.
Ich war am Dienstag beim Frauenarzt. Sie hatte mich bereits Freitag angerufen, nachdem sie den Befund vom Pränatalzentrum erhalten hatte mit der Hydrops Diagnose. Zweimal hat sie ungefragt gesagt, dass ich die Schwangerschaft abbrechen “sollte” oder “könnte”. Das hat mir nicht gefallen.
Ich war sehr angespannt vor dem Termin. Fand sie unsensibel und hatte vorher überlegt, ob ich jetzt noch schnell den Frauenarzt wechseln soll. Ein Teil in mir wollte nicht wegrennen, wollte sich der Situation lieber stellen. Im Wartezimmer spielte ein ganz aufgewecktes Babymädchen glücklich und gesund vor sich hin und meine Tränen liefen. Das tun sie ständig und überall, Mascara trage ich überhaupt nicht mehr auf.
Bei meiner Frauenärztin habe ich ein wenig bestimmter, als es normalerweise meine Art wäre, meine Fragen am Anfang geklärt. Als es wieder um das Thema Abbruch ging, hat sie angefangen zu weinen. Und mir die Geschichte von ihrer Nichte erzählt, die mit einer Behinderung zur Welt kam, wie schwer das für alle war. Sie ist vor kurzem verstorben.
So traurig das ist, es hat mich erleichtert. Ich weiss jetzt, dass ihre doch recht kalte Art, seit der Nackentransparenzmessung auf Abbruch hinzu pochen, viel mehr mit ihrer eigenen Erfahrung und Gefühlswelt zu tun hat, als mit meiner Situation, meinem Mädchen oder mir. So kann ich mich besser von ihrer Meinung abgrenzen, sogar ein wenig Verständnis für ihre Härte aufbringen.
Medizinisch überschreitet die Diagnose ihren Horizont und sie kann mir zum Ultraschall nicht viel sagen. Also haben wir erledigt, was es an Routine zu erledigen gab und ich wusste: Das Herz von meinem Mädchen schlägt noch tapfer. Gleichzeitig kam vom Pränatalzentrum das Ergebnis der Infektionsanalyse: kein auffälliger Befund. Eine Ursache mehr ausgeschlossen.
Donnerstag ging es zum Universitätsklinikum, der Termin, der eine Wende hätte bringen können… aber nicht hat. Die Ärztin konnte mir nichts an die Hand geben, dass sich nach Hoffnung anfühlte. Sie hat alles, was ich über Hydrops wusste, bestätigt. Sie hat mir Blut abgenommen, um einige Tests (besonders die Infektionsanalyse) zu wiederholen. Sie hat sich mein Mädchen ganz genau im Ultraschall angesehen. Seit einer Woche werde ich vor jedem Ultraschall gewarnt, dass ihr Herz schon aufgehört haben kann zu klopfen. Durchatmen, es schlägt. Wie ich schon wusste, handelt es sich um einen sehr schweren Fall von Hydrops, also viel Wasser zu einem frühen Zeitpunkt. Auch sie konnte organisch keine Probleme feststellen: Gehirn, Herz, Magen, Skelett, etc. - alles scheint normal entwickelt zu sein.
Ich habe mein Mädchen ganz genau beobachtet. Ich musste ein Gefühl dafür kriegen, wie es ihr wohl geht. Sie hatte die Hand im Mund, am Gesicht. Sie hat sich die ganze Zeit viel bewegt und wirkte lebendig. Zum ersten mal seit der bösen Nackentransparenzmessung habe ich auch wieder ein paar Bilder von ihr mitnehmen können. Bei den anderen Terminen war das vor lauter Schock vollkommen unter gegangen. Und wisst ihr was? Ich sehe sie mit den Augen einer Mutter: Sie ist zwar ein Wasserklops, aber für mich ist sie der schönste Wasserklops auf der Welt.
Es folgte der grausamste Teil: Die Aufklärung über einen möglichen Abbruch. Bis zur 22. SSW kann man die Wehen direkt einleiten. Dann kann es ein bis drei Tage dauern, sie zu gebären. Ich muss sie auf natürlichem Wege gebären, da führt kein Weg dran vorbei. Noch ist sie nicht lebensfähig und würde bei der Geburt sterben. Im Anschluss wird noch in meiner Gebärmutter ausgeschabt.
Sollte man die Grenze der 22. SSW überschreiten, müsste man im Falle eines Abbruchs vor der Weheneinleitung einen Fetozid im Bauch vornehmen. Eine Kaliumlösung würde in ihr Herz gespritzt werden, um sie umzubringen. Zum Standardprozedere gehört, dass eine Ethikkommission das Vorgehen genehmigt. Die Prognose vom Klinikum lautet, sie glaubt nicht, dass mein Mädchen es in eine lebensfähige Woche schafft.
Direkt im Anschluss musste ich zum Pränatalzentrum, zur Humangenetikerin. Insgesamt war ich den Tag sechs Stunden am Stück bei Ärzten und meine Arme und Hände sind ganz blau zerstochen vom ständigen Blutabnehmen. Die Humangenetikerin hat die Suche nach der Ursache noch nicht aufgegeben. Sie wartet auf das Laborergebnis vom Noonan-Snydrom, lässt eine Thassalämie untersuchen, hat mit einer Spezialklinik in München telefoniert, die noch einmal molekulargenetisch spezielle Untersuchungen durchführen kann, welche die Krankenkassen schon gar nicht mehr gerne bezahlen.
Ihr Rat war es, noch ein bis zwei Wochen abzuwarten, was die Ergebnisse sagen. Da sie findet, dass sich mit einer Ursache eine bessere Entscheidung treffen lässt als ohne. Viel Hoffnung wollte allerdings auch sie mir nicht machen, da nichts, was noch als Ursache in Frage kommt, behandelbar ist.
Also warte ich. Auf das Klinikum, weil die Ärztin nochmal mit ihrem Chef sprechen und mich anrufen wollte. Auf die Wiederholung der Infektionsanalyse. Auf Noonan und Thalassämie. Auf ein Wunder oder auf nichts.
Vielleicht auch nur darauf, dass mein Mädchen selbst entscheidet, wann sie gehen möchte. Denn ich bin im Augenblick nicht fähig dazu, ihre Lebenszeit aktiv zu verkürzen. Besonders solange sie nicht unter den Symptomen leidet, es warm und kuschelig in meinem Bauch hat. Ich habe mir wieder mehrmals von allen Seiten bestätigen lassen, dass sie nicht leidet.
Und solange es ihr gut geht, gehört mein Bauch ihr. Ich streichel sie, ich freue mich, wenn ich essen und trinken kann, weil ich dann immer denke, ich tue ihr etwas Gutes. Ich singe für den Bauch oder frage sie, wie es ihr geht und ob ihr Herz noch schlägt. Was ich tun soll, aber sie antwortet mir nie.
Ich habe ihr auch mal erzählt, warum das Leben hier draußen ganz schön anstrengend ist. Dass es gar nicht immer warm ist wie im Bauch und man sich selber Futter besorgen soll. Ich dachte, vielleicht tröstet sie das. Oder mich.
Mehr kann ich aktuell nicht berichten. Alles andere ist Hintergrundrauschen, ich existiere vor mich hin und warte die nächste Woche ab.
Trotzdem würde ich an dieser Stelle gerne noch ein wenig Dank zum Ausdruck bringen. Einmal im Besonderen an Anke und Barbara von kidsgo, die mir ihre helfenden Hände reichen <3 An Judith, meine Tagebuchkollegin, die an uns denkt. Und an die Leserinnen: Jana - Danke dass du mein Unverständnis darüber teilst, warum das gerade passiert. Vanessa - Für das Teilen deiner (auch schmerzhaften) Geschichte. Die Selbstvorwürfe sind eine Qual, aber zum Glück habe ich gute Trauerbegleitung und fühle mich von der Seite gestützt. Christine - Was du durchgemacht hast, tut mir leid. Die Internetquellen sehe ich mir an und ich empfinde genauso wie du, jede Lebenszeit ist kostbar. Stephanie - Danke für die stille Umarmung. Anke - Auch deine Umarmung hat mich erreicht. Ich glaube ebenfalls, dass nur Gefühle zulassen in so einer Situation helfen kann. Friederike - Danke für dein Mitgefühl. Tina - Von den Sternenkindern habe ich gehört, habe mir die Seite auch angeguckt. Und an Brygida - Du verstehst mein Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung gut. Ich hoffe auch auf eine bessere (nahe oder ferne) Zukunft!
Eure traurige Mira mit Babygirl im Bauch