So lebensfrisch und doch unendlich verletzlich - wenn das junge Leben in Gefahr ist, zählt jeder Handgriff.
„Es klingelt an der Tür, die Nachbarin steht mit einem blauen, nicht mehr atmenden Baby vor Ihnen mit den Worten: „Sie studieren doch Medizin, helfen Sie mir!“ oder es ist eben Ihr eigenes…“ (Fingerzeig auf meinen Bauch). Na bravo. Da hat die Dozentin ja mal richtig charmant in mein wachsendes Mutterherz getroffen. Aber viel Zeit zum Ausmalen dieser grausamen Situation bleibt mir gar nicht, denn schon soll reanimiert werden. An einer Puppe versteht sich, aber mit der schauspielerischen Leistung eines Hollywoodstars, naja zumindest der Schulspielgruppe. Ich bitte also die „Mutter“ einen Notruf abzusetzen, während ich mir das Kind auf dem Rücken zurecht lege, die Nase in „Schnüffelstellung“. Fünfmal initial beatmen, dann den Brustkorb mit zwei Fingern 15 Mal etwa vier Zentimeter tief eindrücken und wieder zweimal beatmen. Das Ganze wird wiederholt und soll das Tempo von „Stayin´ Alive“ der Bee Gees erreichen. Mindestens. Makaber, wer dazu noch singen kann.
So sehen also unsere Notfallwochen aus. Zwei Wochen voller erster Hilfe und lebensrettender Maßnahmen, vor Ort Versorgung von lebensbedrohlichen Situationen und Neugeborenen-, Säuglings- und Kinderreanimation. Und immer wieder dieser plötzliche Kindstod.
Wenn sich das Kind verschluckt, schlecht atmen kann oder sich anderweitig unwohl fühlt, dann machen Eltern oft instinktiv das Richtige, so die Lehrenden. Aber wenn das Baby kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, tritt Schockstarre ein. Es wäre so wichtig, dann adäquat und schnell zu handeln. Auch wenn die Aussicht auf Erfolg leider immer noch äußerst gering ist. Man weiß ja noch nicht einmal, was genau der Auslöser, der Mechanismus hinter dem SIDS (sudden infant death syndrom) sein könnte. Ein wahrlich gefürchtetes Thema, dem es wenigstens einiges entgegen zu halten gilt. Rauchen in Babys Nähe, ja alleine das Ausdünsten einer Raucherlunge im Schlaf zählt zu den Risikofaktoren. Genauso wie Überwärmung (Familienbett?), vielleicht eine verdrehte Kopfhaltung mit Abklemmung einer Vertebralarterie oder die Atemwegsverlegung durch Kissen, Decken etc. Nächtliches häufiges Stillen soll übrigens protektiv wirken, da die Babys dadurch einfach öfter und leichter aufwachen und es so wohl seltener zu einem Atemstillstand kommt.
Es ist die häufigste Todesursache von Babys in den ersten eineinhalb Lebensjahren und macht mir wirklich Angst. Aus medizinischer Sicht bin ich jetzt wenigstens theoretisch für eine oben genannte Situation mit den Maßnahmen vertraut. Aber beim eigenen Kind, als echte Mutter, plötzlich, nachts? Unvorstellbar grausam!
Lebensbejahend hingegen zeigte sich unser Kind beim Frauenarzt. Es wurde das erste CTG geschrieben. Entgegen all der Horrorstories empfanden wir drei (Sebastian, Baby und ich) es als nicht sehr störend. Die Arzthelferin stellte die Detektion der Herztöne sehr leise ein, klärte mich auf, dass ich nicht panisch werden solle, wenn diese auch einmal verschwinden würden, ließ die Gurte eher locker, sodass ich mit der Hand selbst noch ein bisschen nachhelfen durfte und gönnte uns dann eine halbe Stunde „Familienzeit“. Wir lauschten dem leisen „tock tock tock“, Sebastian laß mir aus verschiedenen Zeitschriften vor und ich lehnte mich entspannt zurück. Das Ergebnis sprach für sich: keine Auffälligkeiten. Entspannter Vater und entspannte Mutter ist entspanntes Kind, nicht wahr?
Des Weiteren fiel der Untersuchungstermin diesmal etwas großzügiger aus. Es wurde anschließend an die üblichen Fragen nach Veränderungen ein Abstrich und das Abtasten des Muttermundes vorgenommen. Danach wurde dieser auch transvaginal ausgemessen. Stolze sechs Zentimeter misst er noch. Das scheint wohl ganz vorbildlich zu sein. Danach war unser Baby dran. Der dritte und damit letzte große Ultraschall verlief planmäßig. Ein gutes Gewicht von 1300 g bringt sie nun etwa auf die Waage, Fruchtwasser und Plazenta sehen toll aus – interessant, worüber man sich so freuen kann. Jetzt hat sich mein Mutterpass gefüllt wie ein Stickeralbum, das „Stempelheft“ ist fast voll, der Endspurt beginnt. Das Bild allerdings erspare ich euch, denn es zeigt nur mit viel Fantasie eines ihrer bestimmt wunderschönen Augen. Mehr war nicht mehr möglich, da sie sich richtig schön zwischen linken Beckenknochen und Blase verbarrikadiert hatte und auch noch die Hände vor den Kopf hielt.
Die Hände vor den Kopf hielt sich auch die Ärztin als sie noch auf meine Nieren schaute. Das rechte Nierenbecken war aufgestaut. Das kann eine Momentaufnahme sein oder auch Dauerzustand. Es kann durchaus passieren, dass die so schön gedeihenden Feten auf den, bevorzugt rechten, Harnleiter drücken und dieser damit abgeklemmt wird. Man muss nun darauf achten, dass sich dort keine Bakterien ansammeln und eine Entzündung auslösen. Ich soll nachts links liegen und noch mehr trinken. Aye aye, Käpt´n!
Was bei mir wirklich von diesem Termin nachklingt, ist mein Gewicht. Ich habe nun, im achten Monat erst, mein Ausgangsgewicht wieder erreicht. Das heißt im Umkehrschluss ja, dass mein Körper seit Beginn der Schwangerschaft einfach nur meine Reserven in ein lebendiges Wesen umgewandelt hat. Dass mein Startgewicht nicht den Traummaßen entsprach war mir schon immer bewusst. Ein 50 kg-Püppchen muss zwangsläufig in einer Schwangerschaft sehr viel mehr zulegen, als ich mit meinen guten 70 kg. Aber trotzdem habe ich mich immer sehr wohl gefühlt, war zufrieden mit meinen Kurven. Zum einen bin ich wahnsinnig stolz auf meinen Körper, dass er ein neues Leben so mir nichts dir nichts wachsen lassen und versorgen kann, zum anderen macht mir das erst bewusst, wie viel „zu viel“ ich mit mir herumgetragen habe. Unnötiger Ballast, vielleicht auch ungesunder Ballast?
Kristin
Bild: privat