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Erziehung - Wie Eltern sinnvoll Grenzen ziehen und feste Regeln definieren

„Ich will aber einen Schokoriegel!“, tönt es schrill aus der Warteschlange an der Supermarktkasse. Wer kennt sie nicht, diese Situation, wenn Eltern mit ihren Kindern an der Quengelzone vorbei müssen. Aufmerksam verfolgen die Wartenden den „Kampf“: Wird der Vater nachgeben? Oder bleibt er bei seinem „Nein“?

In diesem Artikel:

Erziehung - Kinder brauchen klare Regeln

Auch wenn dies nur ein kleines, alltägliches Beispiel ist, stellen sich Eltern oft die Frage, ob und wie sie Grenzen in der Erziehung setzen sollen. Wie nachgiebig darf ich sein? Oder andersherum: Muss ich immer konsequent sein? Machen Ausnahmen meine Erziehungsarbeit zunichte?

Als Erziehungs- und Familienberater beschäftigt sich Andreas Engel mit solchen Fragen. „Kinder brauchen Grenzen, damit sie sich orientieren können. Nur wenn Eltern klare Regeln aufstellen und diese auch klar ansagen, findet sich ein Kind in unserer Gesellschaft zurecht.“ Regeln geben nicht nur Sicherheit und Schutz, sondern auch Halt und Orientierung, weiß Engel. Für Eltern ist es nicht immer leicht konsequent zu bleiben.

Zum einen liegt es daran, dass sie den Frust der Kinder, wenn sie ein „Nein!“ oder „Stopp!“ hören, kaum ertragen. Zum anderen kostet die Auseinandersetzung viel Kraft –, dann scheint ein „Ja!“ der leichtere Weg zu sein. Aber das rächt sich, weiß Psychologe Andreas Engel: “Notorische Inkonsequenz führt dazu, dass das Kind irgendwann gar keine Regel mehr ernst nimmt.“

Grenzen können sich aber auch negativ auswirken

Dann wenn sie keinen Sinn machen oder die kindliche Erkundungsfreude stark einschränken, hemmen sie das Kind in seiner Entwicklung. Der Psychologe rät Eltern, ihre eigenen Überzeugungen kritisch zu hinterfragen und sich zu überlegen, ob die Grenzsetzung das Kind schützt oder fördert.

Und wie sieht es nun mit dem Schokoriegel aus? Natürlich kennt der Psychologe solche Szenen, und er weiß auch, dass viele Eltern das im Alltagsstress nur schwer aushalten. Ausnahmen sagt er, seien aber durchaus in Ordnung, solange sie eben nicht zur Regel werden.

Andreas EngelExperten-Interview „Grenzen bieten Schutz und Orientierung“

Diplom-Psychologe Andreas Engel aus Hof arbeitet als Erziehungs- und Familienberater. In der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung ist er zuständig für das Qualitätssiegel für Erziehungsberatungsstellen.

kidsgo: Herr Engel, warum brauchen Kinder Grenzen?

Andreas Engel: Die einfache Antwort lautet: damit sie sich orientieren können. Nur wenn Eltern klare Regeln aufstellen und diese auch klar ansagen, findet sich das Kind in unserer Gesellschaft zurecht und kann gute Beziehungen zu anderen Menschen – sei es nun der Freund aus der Kita oder die Nachbarin – aufbauen. Grenzen bieten aber auch Schutz: Gerade für Kinder mit großem Forscherdrang ist das wichtig, denn oft fehlt ihnen das Bewusstsein für mögliche Risiken und Gefahren. Indem wir Grenzen setzen, bieten wir unseren Kindern also Schutz, aber auch Halt und Orientierung.

Gibt es negative Grenzen?

Ja, durchaus. Wenn Grenzen die Erkundungsfreude des Kindes zu stark beeinträchtigen oder keinen Sinn machen, hemmen sie das Kind in seiner Entwicklung.

Wie sollten Eltern Grenzen ziehen?

Auch wenn es nicht immer leicht ist: überlegt, ruhig, sicher und bestimmt. Aber auch mit Liebe und dem Bewusstsein dafür, dass Kinder häufig die Notwendigkeit der konkreten Grenze noch nicht direkt erkennen können. Ein Tipp: Hinterfragen Sie Ihre eigenen Überzeugungen und überlegen Sie, ob die Grenzsetzung Ihr Kind schützt oder fördert.

Die Freiheit des einen endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Wie verhalten sich Kinder, die keine Grenzen kennen?

Sie überschreiten sehr oft die persönlichen Grenzen der anderen. Ein Beispiel: Der Spielkamerad, der auf dem Elternbett Trampolin springt. Oder der Nachbarjunge, der ohne zu fragen Ihren Kühlschrank plündert. Das nervt und verstimmt, das merken die Kinder auch. Aber sie können es weder einschätzen noch von allein ändern. In der Folge bleiben diese Kinder lange fordernd, gleichzeitig aber auch unsicher. Soziale Fähigkeiten wie beispielsweise Einfühlungsvermögen oder Rücksicht entwickeln sie erst spät.

Als Eltern fällt es uns ja nicht immer leicht, die gesetzten Grenzen auch selbst konsequent einzuhalten. Warum ist das so

Für Kinder ist es frustrierend, wenn sie ein „Stopp!“ hören. Das lassen sie raus: Der Trotzanfall in der Quengelzone des Supermarkts ist ein typischer Fall. Viele Eltern halten das im Alltagsstress nur schwer aus. Nicht selten wird dann nachgegeben und das Kind bekommt die Gummibärchen oder den Schokoriegel. Das ist als Ausnahme in Ordnung. Notorische Inkonsequenz führt aber dazu, dass das Kind irgendwann keine Regel mehr ernst nimmt.

Inwieweit dürfen Kinder bei der Grenzziehung mitbestimmen?

Häufig bieten sich Kompromisse an – darüber zu sprechen, ist ein guter Anfang.

Sollten Eltern auf die Einhaltung der Grenzen auch bei anderen Bezugspersonen pochen?

Es macht Sinn, dass auch andere wichtige Bezugspersonen die Erziehungsgrundregeln kennen. Bei den Großeltern, Tanten und Paten dürfen die Grenzen aber auch mal andere sein als in der Kernfamilie.

Herr Engel, vielen Dank für das Gespräch.