Auch essen will gelernt sein
Es duftet nach Knoblauch, Tomaten und Rosmarin - Papa kocht. Das tut er leidenschaftlich, am liebsten für begeisterte Esser. Seine Tochter Elsa ist Puristin. Sie mag Nudeln, aber bitte keine Soße dazu. Kurt können Kartoffeln gestohlen bleiben. Eintöpfe sind ihm ein Gräuel, da ist ja alles durcheinander gemixt! Und diese unterschiedlichen Vorlieben und Abneigungen seiner Kinder, das Meckern und das Gut-Zureden verhageln Papa so langsam die Lust am Kochen.
Geschmack will auch gelernt sein
Kinder, vor allem Kleinkinder, lernen durch nachahmen. „Eltern sind wichtige Imitationsmodelle, sie prägen das Essverhalten des Kindes“, erklärt Diplom-Ökotrophologin Sonja Fahmy von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE). Wenn Mama und Papa also ein Faible für Salat und Gemüse haben, stehen die Chancen gut, dass sich auch die Kinder für Gemüse und Salat interessieren.
Die Gewöhnung an Geschmack beginnt schon mit dem Stillen: Die Geschmacksstoffe von Mamas Mahlzeiten und Snacks können in die Muttermilch übergehen. „Kinder mögen das, was sie kennen. Und das, was sie unter angenehmen Bedingungen ohne Zwang probieren dürfen“, erklärt Prof. Mathilde Kersting, stellvertretende Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund. Deshalb ist es beim gemeinsamen Essen so entscheidend, jeglichen Druck oder Zwang zu vermeiden.
Keine Extrawürste
Kinder sollten vom angebotenen Essen aber zumindest probieren, und das immer wieder. Alternativen untermauern die Verweigerungshaltung gegenüber bestimmten Lebensmitteln und hebeln das Gemeinsame am Essen aus. Meist ist für jeden zumindest eine Komponente der Mahlzeit dabei – zum Beispiel der Reis, und das genügt. Ein Rohkostteller mit Tomate, Gurke, Paprika werten die Beilage ernährungstechnisch auf.
Denn es ist ganz normal, dass Kinder ab einem bestimmten Alter Speisen ablehnen – sie kennen sie noch nicht. Das „Mögen“ bildet sich erst durch mehrmaliges Probieren. Unbekanntes wird zunächst einmal aus Angst vor Neuem abgelehnt. „Viele Eltern verzweifeln in dieser Phase und versuchen mit allen Überredungskünsten das Kind vom Essen zu überzeugen. An dieser Stelle ist Gelassenheit gefragt“, rät Fahmy. „Es ist wichtig, die Speisen bzw. Lebensmittel immer wieder anzubieten, sodass die Angst vor Neuem schwindet.
Entspannt bleiben
Was macht Essen schmackhaft? Das Drumherum! Eine angenehme Atmosphäre, ein schön gedeckter Tisch machen Appetit. Probleme und Streitigkeiten dürfen nicht Teil der gemeinsamen Mahlzeiten sein. Auch „Belohnungsstrategien, wie ‘Es gibt nur etwas Süßes, wenn der Teller leer gegessen wird‘, sind nicht sinnvoll“, warnt Fahmy. Essen sollte kein Instrument der Erziehung sein. „Nach Möglichkeit entspannt bleiben und das Essverhalten ohne ständige Ermahnungen beobachten“, rät sie.
Auch über Spatzenportionen müssen sich Eltern keine Sorgen machen, solange das Kind gesund ist und sich normal entwickelt. Junge Kinder haben einen angeborenen ausgeglichenen Hunger- und Sättigungsmechanismus. Achten müssen die Eltern darauf, dass Kinder ausreichend trinken und dass auch zu den Mahlzeiten immer Wasser bereitsteht. Prof. Kersting nennt als beste Voraussetzung für den Speiseplan die Optimierte Mischkost (siehe Broschüre, Literaturtipps). Reichlich gibt’s Getränke und pflanzliche Lebensmittel, nur mäßig Milch und andere tierische Lebensmittel. Sparsam verwendet werden fett- und zuckerreiche Lebensmittel.
Der Esstisch als Fixpunkt
„So oft wie möglich sollte die Familie gemeinsam am Tisch sitzen“, sagt Prof. Kersting. Wohlgemerkt: am Tisch, und nicht jeder mit einem Butterbrot vorm Fernseher. Denn die gemeinsame Mahlzeit ist mehr als reine Nahrungsaufnahme, sie ist immer auch Familienzeit. Tatsächlich zeigen Untersuchungen eines US-Forscherteams, dass feste symbolische Handlungen vor dem Essen die Lebensmittel köstlicher erscheinen lassen. „Rituale kehren immer wieder und bieten Kindern Halt, Vertrautheit, Sicherheit und Orientierung“, so Fahmy.
Ein Ritual kann sein, dass sich die Familie immer zum Abendessen am Tisch versammelt, gemeinsam beginnt, vielleicht sogar mit einem Tischspruch oder Lied, und das Essen gemeinsam beendet. Jeder findet genügend Raum, um von seinem Tag zu erzählen. Stress und Hektik sind außen vor. Allein das gemeinsame Sitzen an einem Tisch macht das Essen schon schmackhafter. Wie letztendlich die Rituale aussehen, bleibt jeder Familie alleine überlassen. Wichtig ist, dass es welche gibt.
Experten-Interview mit Oecotrophologin Monika Ziebart
kidsgo: Frau Ziebart, derzeit ist BLW (Baby-led-Weaning) sehr populär. Statt Brei zu löffeln darf das Baby am Familientisch mitessen. Ist das nur eine Modeerscheinung oder möglicherweise der Weg zu entspannteren Mahlzeiten?
Monika Ziebart: Entspannter ist es meist nicht. Es gibt aber viele Babys, die Brei komplett ablehnen: Oft sind das die Zweitgeborenen, hier bietet sich die „Mischkost" an, also Brei zum Löffeln für die Mutter und Fingerfood für das Baby in die Hand.
Experten-Interview
Monika Ziebart hat sich als Oecotrophologin auf Kinderernährung spezialisiert. Sie ist 5-fache Mama und arbeitet freiberuflich im Großraum München in der Elternberatung, hält Kurse und Vorträge zu allen Themen der Kinderernährung für Eltern und Kindergärten und arbeitet als Referentin für Multiplikatorenfortbildungen zu Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie Beikost und Kinderernährung. In Zusammenarbeit mit Kinderärzten berät sie bei Allergien, Lebensmittelunverträglichkeiten, kindlichem Übergewicht und Fütterstörungen.
kidsgo: Welche Vor- und Nachteile sehen Sie beim Baby-led-Weaning gegenüber dem Breifüttern?
Monika Ziebart: Ein Vorteil ist, dass die Kinder meist etwas früher am Tisch mitessen. Nachteile sind, dass sehr viele angelutschte Lebensmittel weggeschmissen werden müssen und dass die Mutter sich auf eine längere begleitende Stillzeit einstellen muss. Denn anfangs ersetzen die Mengen, die das Baby essen kann, noch keine Mahlzeiten. Mit Fingerfood kann das Baby auch nur wenig Fett zu sich nehmen, die Hauptquelle dafür bleibt also die Muttermilch. Dadurch muss die Mutter auch auf eine sehr gute und ausgewogene Ernährung für sich selbst achten!
kidsgo: Gibt es einzelne Schritte, die ich beim BLW beachten muss?
Monika Ziebart: Babys bekommen grundsätzlich in den ersten vier Monaten nur Milch. Dann achtet man auf die Reifezeichen: Kann das Baby seinen Kopf alleine gut halten und drehen? Kann es mit etwas Unterstützung aufrecht sitzen? Interessiert es sich für das, was die Eltern am Esstisch tun? Steckt es sich Gegenstände in den Mund? Erst wenn das Baby diese Signale gibt, sollte man mit jeglicher Kost anfangen, spätestens jedoch mit Beginn des siebten Lebensmonats.
Welche Lebensmittel können gefüttert werden?
kidsgo: Welche Lebensmittel kommen infrage?
Monika Ziebart: Alle Lebensmittel, die bröseln, eignen sich besonders gut: Vollkornbrot, -brötchen, -zwieback, -knäckebrot. Vollkorn in Verbindung mit Spucke bröselt, während Weißmehl mit der Spucke einen Klumpen bildet, den man ohne Backenzähne nicht klein kriegt. Alle Lebensmittel, die hart sind, sollten Sie immer unter Aufsicht in die Hand geben: Karotte, Apfel, Kohlrabi in großen Stücken zum Lutschen.
Alle Lebensmittel, die weich sind: Weiches, reifes Obst, Banane nicht öfter als 2-mal pro Woche, Trauben wegen der Verschluckgefahr immer durchschneiden, gekochtes Gemüse, gekochte Kartoffeln und Nudeln – am besten Spirelli, die lassen sich am besten essen und fassen noch viel Gemüsesoße in den Zwischenräumen.
Alle Lebensmittel sollte das Kind auch ohne Backenzähne zerkleinern können, denn nur gut gekaut wird gut verdaut! Eltern können das selbst testen, indem sie versuchen, diese Lebensmittel zwischen Zunge und Gaumen klein zu reiben. Mit Vollkornreis geht das zum Beispiel nicht.
kidsgo: Was ist streng vom Speiseplan des ersten Lebensjahres ausgeschlossen?
Monika Ziebart: Honig nicht vor dem ersten Geburtstag. Rohes Getreide (Frischkornbrei), rohe tierische Produkte wie Rohmilchkäse, rohe Wurst, Sushi, geräucherter Lachs sind laut Bundesamt für Risikobewertung (BfR) vor dem 5. Geburtstag bedenklich, das liegt an der möglichen bakteriellen Belastung und Infektionsgefahr. Ganze Nüsse scheiden aus, die können verschluckt werden. In gemahlener Form im Kuchen oder Plätzchen ist das kein Problem.
Kuhmilch sollten die Babys auf jeden Fall im ersten Lebensjahr bekommen, am besten im Milchgetreidebrei und am besten begleitend zur Stillzeit – das gehört zur Allergieprävention.
Was tun, wenn das Kind partout nicht essen will?
kidsgo: Was tue ich, wenn mein Kind trotzdem einfach nichts essen will?
Monika Ziebart: Oft ist es eine Frage der Konsistenz: Ist der selbst gekochte Brei zu fest, dann bereitet er Probleme beim Schlucken. Manche Kinder fühlen sich mit Brei ausgeschlossen und wollen gleich bei den Großen mitessen. Manche haben sich mit Fingerfood zu oft verschluckt und fühlen sich beim Trinken an der Brust wieder sicherer. Manchmal ist die Mutter beim Füttern selbst sehr verunsichert und verunsichert dadurch das Baby, das dann die neue Nahrung verweigert.
kidsgo: Wie sieht Ihre persönliche Empfehlung für die Beikost aus?
Monika Ziebart: Fangen Sie mit Brei an und wenn das über ein paar Wochen gut klappt, dann bieten Sie dem Baby zusätzlich zu den Familienmahlzeiten babygerechtes Fingerfood an. Hier empfiehlt es sich, erst das Fingerfood und anschließend den Brei zu geben: Das Baby hat Hunger und bemüht sich zu kauen und satt zu werden, anschließend kann der restliche Hunger mit Brei gestillt werden.
kidsgo: Frau Ziebart, wir danken Ihnen für das Gespräch.