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Eltern - Wie sie als Vorbilder die Elternrolle ausfüllen

Was braucht ein Kind, damit es offen, neugierig und tatkräftig ins Leben ziehen kann? Ein Zweijähriger erklärt, wie Eltern ihm Sicherheit und Halt geben können. Am Beispiel eines ganz gewöhnlichen Tages wird deutlich, was er versteht, woran er scheitert, was er lernt.

In diesem Artikel:

Familie - Mama, Papa und ich

„Mama!“ habe ich gerade gerufen, nun beugt sich ein großes Gesicht über mein Kinderbett: „Guten Morgen, du Langschläfer“, sagt Mama, schaut mich liebevoll an, lacht und streicht mir über den Kopf. Ja, davon lebe ich, von Liebe und Zuneigung. Ihr Lächeln, ihre Stimme und ihre Geste zeigen mir ganz genau, dass sie sich freut, dass ich da bin. Und ich, ich freue mich auch! 

Meine gute Laune vergeht, als Papa mich heute auf den Wickeltisch setzt. „Max will das gar nicht“, rufe ich entsetzt. „Max will Katze spielen!“ Zum Glück hat Papa einen Vorschlag: „Wir spielen jetzt: Du bist eine Katze, die eine frische Windel braucht!“ Na gut. Noch weiß ich nicht, was das Wort ‚Kompromiss‘ bedeutet, aber wenn Menschen mit mir oft auf diese Weise umgehen, lerne ich auf Dauer schon, wie sich Konflikte lösen lassen.

Mama und Papa sind meine Vorbilder

Beim Frühstück unterhalten sich Mama und Papa. Ich bin stolz, zu ihnen zu gehören. Sie brauchen mir nicht zu erklären, wie ich essen soll. Ich werde es mit der Zeit lernen, weil ich alles können möchte, was sie auch schon können. ‚Lernen am Modell‘, nennen das die Experten. Klar, dass ich auch ein bisschen matschen will. Ich will ja ‚be-greifen‘, was ich esse. Aber ich weiß auch, dass Mama und Papa es nicht toll finden, dass ich die Tasse vom Tisch werfe. Eine Regel lautet bei uns: Wird eine Tasse absichtlich herunter geworfen, ist sie weg! Ach ja, hatte ich ganz vergessen. Aber für die nächsten Male merke ich mir das! 

Plötzlich ruft Mama: „Herrje, wir müssen schon in fünf Minuten los! Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen uns beeilen.“ Was meint sie bloß damit? Keine Zeit – ich habe doch Zeit! Ich lebe doch voll und ganz im Augenblick! Wie lang (oder kurz) zehn Minuten sind, kann ich noch nicht wissen. Wir Kinder beginnen erst im Grundschulalter, die Dauer unterschiedlicher Zeitabschnitte zu erkennen und Zeitintervalle miteinander vergleichen zu können.

Ich bin doch keine Puppe

Jedenfalls will Mama mich jetzt schnell anziehen. Ich bin doch keine Puppe! Und außerdem bin ich schon groß! Findet Mama das etwa nicht? “Selber!“ schreie ich wütend. Ich will Mama beweisen, dass ich die Gummistiefel schon alleine anziehen kann. Das dauert aber. Mama stopft schließlich meine Füße einfach in die Stiefel hinein. Ich finde Mama jetzt echt böse – das verunsichert mich. Ich brauche doch liebe Eltern, die mir zur Seite stehen. Ohne die bin ich doch verloren! Und ich wünsche mir, dass meine Eltern den Alltag in der Regel so planen, dass so eine Hektik unnötig wird! Sie sollen mich selbst probieren lassen! 

In der Kita sagt Mama: "Max, ich gehe jetzt, ich muss zur Arbeit." Ich ziehe einen weinerlichen Flunsch. "Keine Mama hab ich!" murmele ich traurig und hoffe, sie damit zum Bleiben zu veranlassen. Zum Glück lässt sich Mama davon gar nicht beeindrucken. Mit ihrer klaren Haltung vermittelt sie mir: Ich traue Dir zu, in der Kita ohne mich klar zu kommen. Wenn Mama so eine klare Haltung hat, fühle ich mich meist wunderbar getröstet, auch wenn ich anderer Meinung bin. Ihre Haltung gibt mir Halt! Dennoch lässt sie mich nicht einfach allein, sondern nimmt meinen Abschiedsschmerz ernst. Mama fragt nämlich die Erzieherin Claudia, ob ich ihr auf deren Arm am Fenster hinterher winken darf. Das geht.

Meine Wut ist meine Sache

Als Papa mich abholt, bin ich so müde! Kein Wunder, dass ich anfange zu weinen, nur weil Papa beim Rausgehen auf den Türöffner gedrückt hat – er wusste nicht, dass ich das selber machen wollte. Doch selbst wenn ich es hätte tun dürfen: Ich hätte einen anderen Anlass zum Weinen gefunden. Kita ist nämlich anstrengend, und wo soll ich mich fallen lassen, wenn nicht bei meinem Papa? So bleibe ich tobend auf dem Bürgersteig sitzen. Trösten lasse ich mich nicht. Nein, ich will noch mal auf den Türöffner drücken! Da macht Papa aber nicht mit. Er wartet, bis mein Anfall vorüber ist, und schaut so lange in ein Schaufenster. Ach ja, jetzt weiß ich wieder: Meine Gefühle gehören mir. Wut darf ich haben, aber sie ist meine Sache, solange ich keinem weh tue. Na gut, jetzt sind alle Tränen draußen, Papa knuddelt mich und wir fahren nach Haus. Im Auto schlafe ich direkt ein. 

Am Nachmittag balanciere ich auf dem Weg zum Spielplatz auf einer hohen Mauer. Papa ist dabei. Er braucht mir nicht zu helfen: ‚Leine kann, groß ist! Kann ich son!“ Zum Glück lässt mich Papa vieles ausprobieren, obwohl ich mir dabei kleinere Verletzungen zufügen könnte. Wie sollte ich auch sonst lernen, Gefahren selbst einzuschätzen? „Ein blauer Fleck, ein zerschrammtes Knie – das schadet Kindern nicht“, sagt Papa. Nur wenn schwere Unfälle drohen oder Lebensgefahr besteht, müssen Eltern Kinder vor Schaden bewahren. Ich habe jedenfalls schon viel Vertrauen in das, was ich kann! 

Ich finde es toll, viel draußen zu sein – hier finde ich genau das, was ich brauche: Freiheit, Spiel, Selbstbestimmung, andere Kinder – kurzum: Erfüllung. Draußen sein und mit Papa etwas zusammen machen – das ist das Tollste: Papa buddelt mit mir ein tiefes Loch.

Ich brauche klare Ansagen

Da sehe ich einen roten Traktor im Sand. Den will ich ausprobieren. Papa behauptet, ich dürfe ihn nicht einfach nehmen. Eine andere Mama aber erklärt freundlich, ich dürfte doch. Papa guckt unsicher. Plötzlich weint ein Kind und versucht, mir den Traktor aus der Hand zu reißen. Ich halte ihn aber ganz fest. Kann mir mal jemand sagen, was hier abgeht? Mit fehlt eine klare Ansage! Jetzt weine ich auch. 

Schließlich muss ich den Traktor doch abgeben. Mein größter Wunsch ist in diesem Augenblick, dass Papa mir auch so einen kauft. Aber Papa hält das ganz klar für keine gute Idee. „Du hast zu Hause auch einen Traktor, den nehmen wir beim nächsten Mal mit“, sagt er bestimmt. Ich merke sofort, dass weiteres Betteln nutzlos ist. Jetzt weiß ich wieder, woran ich bin, und fühle mich besser. 

Nach dem Abendessen vertiefe ich mich ganz in das Spiel mit meinen Autos. Gut, dass Mama mich nicht grob aus dem Spiel herausreißt, nur weil ich ins Bett muss! Beim Spielen mache ich mir nämlich die Welt vertraut, erkenne Zusammenhänge, lerne Eigenschaften von Dingen kennen, verbessere meine Motorik. Und: Werde ich nicht dauernd beim Spielen gestört, lerne ich, mich lange zu konzentrieren.

Leider habe ich keine Lust, mir die Zähne putzen zu lassen. Schnell renne ich weg. Aus Papas Mund kommen ganz viele Worte über Karius und Baktus. Das habe ich schon oft gehört und nicht verstanden. Ich höre gar nicht mehr zu. Dann sagt Papa: „Wenn Du Dir die Zähne putzen lässt, darfst Du noch das Sandmännchen im Fernsehen sehen.“ Aha. Es geht also gar nicht darum, dass ich das Zähneputzen ernst nehmen soll. Ich soll das Sandmännchen ernst nehmen! Ist es wirklich das, was Papa mir vermitteln will?

Rituale geben Sicherheit

Sicherheit finde ich wieder bei unserem Ins-Bett-Geh-Ritual. Ich spiele nämlich immer „Katze“ und dann muss Papa im Kinderzimmer sagen: „Komm her, Katze!“ Wenn Papa die Katze gestreichelt hat, legt er sie ins Bett. Danach lautet der richtige Text: "Wir haben ja was vergessen!" Und ich rufe: "Strümpfe!" Er muss mir unbedingt zuerst den linken Strumpf ausziehen – sonst ist das falsch. Und er macht das richtig – wie schön! Schlafen will ich aber trotzdem nicht. Vor allem soll Mama mir noch mal ‚Gute Nacht‘ sagen. Mama kommt tatsächlich ein Mal, und ich weiß aus Erfahrung: Dann nicht mehr, egal, wie viel ich bettele. Papa bleibt noch ein bisschen und passt auf mich auf. Er erzählt noch eine kleine Geschichte, bevor er aus dem Zimmer geht. Ja, alles ist, wie es sein soll – der nächste Morgen kann kommen!

Experten-Interview: „Kinder brauchen Liebe, Sicherheit und Aufmerksamkeit“

kidsgo: Frau Dr. Brandi, was brauchen Kinder im Wesentlichen, damit sie selbstbewusst und vertrauensvoll in das Leben hineinwachsen?

Dr. Brandi: Bis zu einem Alter von drei Jahren sind Kinder in jeder Hinsicht vollständig abhängig von der feinfühligen Interaktion mit ihren Eltern. In dieser Zeit brauchen sie vor allem eines: Liebe, denn Liebe macht seelisch robust. 

Experten-Interview

Experten-Interview - Leben mit KindDie Kinderärztin Dr. med. Dagmar Brandi ist tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin für Kinder und Erwachsene, Mitglied der ‚Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit‘ (GAIMH) und Mentorin des Elterntrainings ‚Safe‘.

kidsgo: Wie können Eltern diese Liebe zeigen? 

Dr. Brandi: Eltern müssen ein sicherer Hafen sein. Sicherheit entsteht unter anderem durch Zuverlässigkeit. Erfolgt auf ein bestimmtes Ereignis mal die eine, dann die andere Reaktion, werden Kinder tief verunsichert. Sie verlieren ihre Orientierung. 

kidsgo: Zuverlässigkeit ist für Kinder also wichtig …

Dr. Brandi: Ja, genauso wie Aufmerksamkeit. Kinder wollen gemeinsam mit ihren Eltern aktiv sein: zum Beispiel einen Turm aus Holzbausteinen bauen oder ein Loch graben.

kidsgo: Kinder fordern viel Aufmerksamkeit, oft mehr, als Eltern ihnen zeitlich schenken können …

Dr. Brandi: Sicher, Eltern können und sollen sich mit ihren Kindern nicht ununterbrochen beschäftigen, aber wenn sie es tun, dann sollten sich die Kinder die Aufmerksamkeit nicht mit dem Handy oder dem Fernseher teilen müssen. Kinder, vor allem kleine Kinder, brauchen viel Blickkontakt. Sie sind Experten für Gesichtsausdrücke und orientieren sich an der Mimik.

kidsgo: Was brauchen Kinder nicht?

Dr. Brandi: Erstens: zu viele kommerzielle Dinge, denn Kinder brauchen kein vollgestopftes Zimmer, sondern Natur- und Sinnes-Erfahrungen. Zweitens: Zeitdruck, denn kleine Kinder leben vollkommen im Hier und Jetzt. Drittens: zu viele Worte, denn Eltern, die Kinder vollquasseln, überfordern, verunsichern und langweilen. Besser als Worte leiten Überzeugungen: Eltern, die davon überzeugt sind, was einem Kind gut tut, brauchen kaum Worte, um Wege zu weisen. Diese innere Haltung müssen sich Eltern erarbeiten.