Vom Rat suchen und Rat geben
Es kracht, die Tür fliegt zu. Zwar herrscht im Gegensatz zu der eben noch hörbaren, lautstarken Auseinandersetzung nun Ruhe, aber in meinem Innern rumort es jetzt umso stärker. Wie soll ich meinem Dreijährigen vermitteln, dass das Bügeleisen, mit dem er spielen will, fürwahr kein Spielzeug ist? Vor allem dann nicht, wenn ich gerade eben noch damit gebügelt habe, es heiß ist und somit gefährlich für ihn? Nicht immer schafft man es als Rolleninhaber „Mutter“ bzw. „Vater“, gelassen, großzügig und souverän in Erziehungsfragen zu reagieren. Manchmal fühlt man sich gar ein wenig ohnmächtig und ist auf der Suche nach dem ultimativen Rat.
Wer greift dann nicht leicht verzweifelt zum Telefon und ruft die eigene Mutter an? Oder die Freundin? Wer hat noch nicht mit dem Gedanken gespielt, die Erzieherin anzusprechen, was sie denn eigentlich tut, wenn der Max auf dem Boden liegt und nur noch wütend schreit? Oder einfach brüllend und Türen schmeißend davon rennt – wie eingangs geschildert?
Die Antworten, die wir als Ratsuchende erhalten, sind nicht immer die, die wir gerne hören. Manchmal helfen sie, manchmal stören sie. Woran liegt es, dass wir so unterschiedlich auf Ratschläge reagieren? Welches sind die Themen, die uns Eltern verunsichern und an denen sich immer wieder Konflikte entzünden? Und warum gibt es eigentlich so viele, oft wildfremde Menschen, die Einfluss auf unsere Erziehungsarbeit nehmen?
Einmischer und Mitmischer - Die Kunst des Ratgebens und Ratnehmens
Hand aufs Herz, wer kennt das nicht: Mit dem Bauchumfang in der Schwangerschaft scheinen die Fragen zu wachsen, die man als (werdende) Erst-Mutter plötzlich beantworten muss. Zum Beispiel, wenn es ums Stillen geht: Möchte man das Baby stillen, kann man das Baby stillen, wie oft muss das Baby gestillt werden, an einer oder an beiden Brüsten, was, wenn es nicht satt wird, woran merke ich, dass es satt ist? ....um nur einige wenige zu nennen. Kaum eine Schwangere oder junge Mutter ist in diesen – den Alltag bestimmenden Fragen – absolut sicher und sorgenfrei. Dasselbe gilt für Jung-Väter. Deshalb sind es vornehmlich die ersten Jahre mit dem (ersten) Kind - in denen die Rolle der Mutter beziehungsweise des Vaters neu gefüllt werden muss - und wir alle verfügbaren Menschen in unserer Nähe nach Rat fragen. Manche von ihnen geben uns wertvolle Unterstützung durch ihre Ratschläge, sie sind die Mitmischer. Es gibt aber auch die Einmischer, deren Ratschläge uns im wahrsten Sinne des Wortes oft wie Schläge treffen. Entscheide selbst, ob sie die Ratgeber in deiner Familie zu den Einmischern oder Mitmischern zählen.
Tipps stressfreien Umgang
Tipps zum stressfreien Umgang miteinander
Das richtige Maß
Gut ist es, wenn die eigene Mutter erkennt, dass ihre Hilfe gefragt ist, – allerdings nur in dem Maß, wie die Tochter es sich wünscht. Dass – wie in vielen Dingen zuvor – auch jetzt die Tochter ihren eigenen Weg gehen und sich abgrenzen muss.
Gut ist es auch, wenn die Tochter erkennt, dass die Mutter sich darüber freut, gebraucht zu werden und darüber, dass ihre Kompetenz als Erzieherin gefragt ist. In welcher Form man die Erfahrung der Mutter für sich umsetzt, entscheidet man am Ende schließlich selbst.
Standortwechsel und diplomatisches Geschick
Gut ist es, wenn es dir gelingt, deinen geistigen Standort zu wechseln und deine Schwiegereltern aus einer anderen Perspektive zu betrachtst: Haben die beiden als Eltern nicht auch vieles richtig gemacht?
Schließlich hättest du doch sonst nicht einen so tollen Mann und dein Kind einen super Vater, oder?
Gut ist es auch, wenn es Schwiegereltern gelingt zu akzeptieren, dass sich die Zeiten ändern, die Klimakatastrophe dafür sorgt, dass die Winter nicht mehr so sibirisch kalt sind, dass dem Kind die Ohren abfrieren und Kinder samt Schwiegerkinder gern ihre eigenen Fehler machen möchten. Und das auch dürfen. Wie sollten sie sonst feststellen, dass nicht alles falsch ist, was die Älteren ihnen raten?
Reflektieren und den eigenen Weg akzeptieren
Gut ist es, einfach ungefilterte emotionale Unterstützung zu bekommen, und nach der Loyalitätsbekundung (die Schwiegermutter ist einfach gemein, weil sie die Freundin zum Weinen gebracht hat) durch die Schilderung eigener Erfahrungen den Druck aus der angespannten Situation zu nehmen und positive Prognosen zu formulieren.
Gut ist es auch, sich daran zu erinnern, dass jede Medaille zwei Seiten hat und nicht jeder gleich „tickt“. Loyalitätsbekundungen stärken das Selbstwertgefühl und geben Vertrauen. Auseinandersetzungen mit der Freundin bieten die Möglichkeit, das eigene Verhalten zu überdenken und im Sinne des Kindes beim nächsten Mal anders zu handeln.
Die Mutter – eine Institution
„Das Kind braucht einen Rhythmus ...“ (Mutter)
Sie hat uns geboren, erzogen, hat an unserem Bett gesessen, als wir mit Fieber lagen, hat uns ausgeschimpft, wenn wir frech waren, kurz: Sie ist die erste Anlaufstelle in Fragen zur Kindererziehung. Viele von uns erinnern sich an die erste Zeit der Unsicherheit mit dem Neugeborenen, als sie froh waren, wenn die eigene Mutter Tipps gab.
Sie erinnern sich aber auch oft daran, wie diese Situationen kippten. Wie der gut gemeinte Ratschlag zum Bumerang wurde und plötzlich die eigentlich gute Beziehung zur Mutter belastete.
Schwiegereltern – die kritischen Beobachter
„Meinst du nicht, dass es besser wäre, Mäxchen eine Mütze aufzusetzen, dein Mann hatte es als Kind auch immer mit den Ohren...“ (Schwiegermutter)
Ganz klar, jeder möchte das Beste für das Kind, Schwiegereltern gleich zweifach: Für ihr eigenes Kind und für das Enkelkind erst recht. Und da sie älter sind, haben sie eine Generation lang mehr Erfahrung in der Kindererziehung. Was die Sache oft nicht leichter macht.
Freundin – die Seelenverwandte
„Wirst sehen, beim zweiten Kind bist du viel gelassener ...“(Freundin)
Sie ist die erste, die von dem Ärger mit der Schwiegermutter erfährt und die einzige, der man ohne Sorge seine Schwäche und Unsicherheit eingestehen kann. Sie sendet auf der gleichen Wellenlänge und kennt vieles aus eigener Erfahrung.
Kinder – die Besserwisser
„Bei Oma und Opa darf ich aber...!“(Kind)
Kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes sagte Melanies Chef zu ihr: „Sie werden sehen, es gibt keinen größeren Egozentriker als ein kleines Kind!“ Damals fand sie das unverschämt, heute, drei Jahre später, weiß sie, was ihr Boss damit meinte. Niemand ist besser darin, das Beste aus allem heraus zu holen, als ein Kind. Darf es bei Mama den Tierfilm nicht sehen, wird es damit argumentieren, dass es bei Papa oder Oma und Opa aber immer den Film sehen darf.
Ebenso, wie es dort alle Süßigkeiten dieser Welt bekommt, morgens ausschließlich Nutella aufs Brot streichen darf und abends nie direkt nach dem Sandmännchen ins Bett muss.
Autoren – die Theoretiker
„Im Alter von vier Monaten sollte Ihr Kind in der Lage sein, einem regelmäßigen Schlafrhythmus zu folgen ...“(Autor)
Schlafen, Essen, Stillen ... beim ersten Kind fragt man sich als Mutter oft, welcher Rhythmus und welches Maß für das eigene Kind wohl richtig sind. Erziehungsratgeber sind in jeder Buchhandlung erhältlich und versprechen schnelle Antworten auf alle Fragen. Einziges Problem: So groß die Auswahl an Ratgebern ist, so unterschiedlich sind auch die pädagogischen Ansätze, mit denen die unterschiedlichen Themen behandelt werden.
Was letztlich zählt
Jeder Ratschlag hat auch seine „Kehrseite“. Will ich überhaupt, dass mir jemand reinredet? Will ich mich auseinandersetzen? Denn natürlich birgt die Nachfrage: „Mensch, was kann ich denn bloß machen?“ auch immer das Risiko einer Antwort, die ich nicht hören möchte. Meinungskonflikte können entstehen – allerdings mit einem nicht zu unterschätzenden Potential. Schon so manche Freundschaft oder familiäre Beziehung ist in die Brüche gegangen, weil nicht ausreichend Distanz und Toleranz gewahrt wurden. Sicher, grundsätzlich ist es leichter, von Freunden, Bekannten oder Nachbarn Rat anzunehmen. Keine verwandtschaftliche (und damit über Jahre geprägte) Beziehung verstellt den Blick aufs Thema, doch auch hier gilt es Diplomatie walten zu lassen. Wer lässt sich schon gerne klipp und klar und unverblümt sagen, dass er das eigene Kind verzieht? Dass er zu oft nachgibt oder zu streng ist?
Für Ratgeber und Ratsuchende gilt deshalb gleichermaßen: Ratschläge sollten lediglich höflich formulierte Vorschläge sein. Und jeder von uns muss das Recht haben, trotz der sicher gut gemeinten Ratschläge für sich und sein Kind anders zu entscheiden.
Gerade in dieser Wahlmöglichkeit liegt ja die große Chance des Ratschlags: Ich überdenke mein eigenes Handeln, überlege, was das Beste für meine Familie ist und versuche, die richtige Entscheidung für mich zu treffen. Gudrun von der Ohe, Laktationsberaterin der La Leche Liga, und selbst zweifache Mutter, rät: „Lassen Sie jeden Ratschlag durch ihren Bauch filtern. Nur das, was für Sie selbst passt, sollte zugelassen werden. Was sich falsch anfühlt, passt nicht für die eigene Situation, so gut der Ratschlag auch gemeint sein mag.“