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Familie und Beruf - Interview mit Ursula von der Leyen

Nachgefragt bei Ursula von der Leyen:

In diesem Artikel:

Kinder und Karriere - Wie lässt sich das organisieren?

Nie war das Thema Kinderbetreuung so brisant wie heute. Und nie haben so viele Betreuungsplätze für die Kleinsten gefehlt. kidsgo sprach 2008 mit Ursula von der Leyen, damals Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie plante eine Vervielfachung der Krippenplätze für unter 3-Jährige bis zum Jahr 2014. Um bessere Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu schaffen. Die siebenfache Mutter gilt als Vorzeigefrau für die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere. Wie ist ihr das gelungen? kidsgo hat die 43-Jährige CDU-Abgeordnete zu persönlichen und politischen Rahmen- bedingungen bestmöglicher Kinderbetreuung befragt.

kidsgo: Oma, Au Pair, Krippe, Kindergarten, private Kinderfrau – die Betreuungsangebote für Kinder sind vielfältig. Welche Betreuungsform haben Sie für Ihre Kinder gewählt? Was war das stärkste Argument für Ihre Wahl?

Von der Leyen: Ich habe immer wieder beruflich ausgesetzt und bin insgesamt sieben Jahre zu Hause geblieben, um für unsere Kinder da sein zu können. Die Kinder sind natürlich auch in den Kindergarten gegangen – ich weiß daher aus eigener Erfahrung, wie schwer es oft ist, einen Platz zu finden. Zusätzlich haben wir eine liebevolle Tagesmutter, an der die Kinder auch sehr hängen, die uns unterstützt und für die Kinder sorgt, wenn mein Mann und ich nicht zu Hause sind. Welche Betreuungsform Eltern für ihre Kinder wählen, bleibt natürlich ihnen selbst überlassen. Eltern sind am besten dann zugewandte Eltern, wenn sie eine gute Lebensperspektive haben und zufrieden mit ihrer jeweiligen Situation sind.

kidsgo: Finanzschwache und/oder allein Erziehende haben häufig nicht die Möglichkeit, die beste Form der Kinderbetreuung zu finanzieren. Zum Beispiel eine Tagesmutter statt eines Krippenplatzes für das Baby. Können Sie sich vorstellen einen Betreuungskostenzuschuss einzuführen, um die freie Wahl der Betreuungsform aus entwicklungsphysiologischer Sicht zu garantieren?

Von der Leyen: Zunächst einmal: Es gibt nicht die „beste“ Betreuung – je nach Situation sind unterschiedliche Betreuungsformen geeignet. Kinder brauchen andere Kinder und andere Erwachsene für ihre Entwicklung. Sie haben viel Spaß daran, mit anderen Kindern zu spielen, gemeinsam das Leben zu entdecken. Was die Kosten der Kinderbetreuung angeht, so sind sie in Kindergärten und -krippen fast immer nach dem Einkommen der Eltern gestaffelt. Zudem haben wir die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten stark verbessert, worüber ich sehr froh bin. Der nächste Schritt ist nun der verstärkte Ausbau der Kinderbetreuung bis 2013 – dann haben die Eltern die volle Wahlfreiheit und können wirklich entscheiden, wie sie ihr Kind betreuen.

kidsgo: Nicht nur die Erweiterung der Krippenplatzangebote ist notwendig, vielmehr muss sich das veraltete Rollenbild in den Köpfen der Menschen ändern. Kinderbetreuung und arbeitende Mütter müssen selbstverständlicher werden, wie zum Beispiel bei unseren skandinavischen Nachbarn. In Schweden beispielsweise ist flexible Kinderbetreuung selbstverständlich, unter anderem deshalb, weil Kinder einen anderen, offensichtlich viel höheren Stellenwert in der Gesellschaft einnehmen. „Kinder sind Zukunft“ – Ihr Wahlmotto. Wie wollen Sie das Denken der Menschen diesbezüglich verändern?

Von der Leyen: Sie haben Recht, Deutschland ist in vielen Bereichen noch kein kinderfreundliches Land. Aber es bewegt sich viel! Die Bundesregierung hat ja schon Entscheidendes in die Wege geleitet, denken Sie nur an das Elterngeld, das ganz wichtig ist, weil es einen Schonraum schafft, in dem sich die Eltern ganz dem Kind widmen können, ohne finanzielle Sorgen zu haben. Dass über Familie und Kinder derzeit so diskutiert wird, zeigt ja auch, dass die Bedeutung des Themas immer mehr erkannt wird. Es wird noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten sein, aber die Erkenntnis, dass wir es den Familien einfacher machen müssen, hat sich inzwischen durchgesetzt.

kidsgo: Immer wieder belegen Beispiele von Unternehmen, die in Kinderbetreuung investieren, dass sich diese Investition auszahlt. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Unternehmen und Politik sich noch immer so schwer tun, familienfreundliche Leistungen anzubieten? Welche Anreize können geschaffen werden?

Von der Leyen: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steckt in Deutschland nach wie vor in den Kinderschuhen. Allerdings lernen viele Unternehmen inzwischen, dass sie auch im eigenen Interesse handeln müssen. Das zeigt auch der Erfolg unseres Programms „Erfolgsfaktor Familie“. Den Unternehmen wird zunehmend klar, dass es zu ihrem eigenen Vorteil ist, wenn sie ihren Mitarbeitern ermöglichen, eine Balance von Kindern und Beruf zu leben. Denn die Bindung an den Betrieb steigt, Kompetenzen gehen nicht verloren, die Fluktuation und der Krankenstand in der Belegschaft sinken. Vor wenigen Jahren haben nur 42 Prozent der Unternehmen das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf für wichtig gehalten, inzwischen sind es 72 Prozent. Allerdings fehlt oft noch immer der Schritt von der Erkenntnis zur Umsetzung: Zum Beispiel bieten nur 3,5 Prozent der Unternehmen in Deutschland eine Kinderbetreuung an. Wir bereiten deshalb ein Förderprogramm vor, mit dem wir das Engagement bei der betrieblichen Kinderbetreuung unterstützen. Außerdem haben wir zusammen mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag ein Unternehmensnetzwerk gegründet, dem inzwischen 450 Firmen angehören. Das Interesse an dem Thema in der Wirtschaft ist da – jetzt müssen die Erkenntnisse in die Tat umgesetzt werden.

kidsgo: Vielen Dank für das Gespräch.