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Zweites Kind: Wie sich beim Familienzuwachs die Dynamik und Konstellationen in der Familie verändern

Endlich ist es soweit: Das zweite Kind ist unterwegs! Die Freude ist groß, doch nicht selten mischen sich auch Ängste in die freudige Erwartung hinein: Wie gelingt das Abenteuer als Vierer-Familie zeitlich, emotional und organisatorisch? Dass Zweifel normal, aber unnötig sind, zeigt uns das Beispiel zweier Familien zwischen Glück und Chaos.

In diesem Artikel:

Aus drei mach vier – Sich neu organisieren

Immer dann, wenn eine Familie wächst, müssen sich alle neu sortieren. Der kleine Erdenbürger nimmt Raum und Zeit ein, Beziehungen entstehen oder verändern sich. Die neue Familienkonstellation bringt damit eine andere Dynamik ins Leben aller. Das Geschwisterkind wird plötzlich zum Bruder oder zur Schwester. Die Eltern haben noch weniger Zeit füreinander, der Alltag muss umstrukturiert werden.

Klar, die größte Umstellung kommt mit dem ersten Kind: Wer bleibt zu Hause, wer nimmt wie lange Elternzeit, wie teilen sich Mutter und Vater Erziehungsarbeit und Haushalt? Und wie schaffen sie es neben dem Elternsein ein Paar zu bleiben? Während sich also das Leben beim ersten Kind grundlegend ändert, wissen Eltern beim zweiten Kind, auf was sie sich einlassen – oder?

Von Entthronung, Eifersucht und Zeitknappheit

„Wir dachten, wir wissen, wie der Hase läuft. Die erste Geburt war ja noch nicht lange her“, erzählt die zweifache Mutter Lena aus Wiesbaden. Und so war es dann auch – und doch auch wieder nicht. Sie selbst und ihr Mann haben sich nicht groß auf das zweite Kind vorbereitet. Es war ja alles da: Das Baby-Equipment wurde wieder hervorgekramt, das Beistellbett aufgebaut, das Kinderzimmer liebevoll eingerichtet. Ansonsten ließen sie die Ankunft ihres zweiten Kindes einfach auf sich zukommen.

Dass das Leben zu viert dann doch anders ist als der Alltag einer Ein-Kind-Familie, merkten Lena und ihr Mann recht bald. Ihr Fazit nach einem knappen halben Jahr: „Wir haben einfach noch weniger Zeit und Freiraum für uns selbst. Wir sind beide fast immer mit einem der beiden Kinder beschäftigt, und keiner kann sich mal eben zurückziehen.“ Das große Kind werde entthront, so Lena, und das könne durchaus zu Eifersüchteleien führen. „Da müssen wir Hände, Augen und Ohren am besten immer überall haben.“

Weniger Zeit fürs große Kind

Was Lena am meisten vermisst, ist die Zeit, die sie allein mit ihrer großer Tochter verbracht hat: „Der größte Unterschied im Alltag für mich ist, dass die Zeit fehlt, die ich mit dem ersten Kind noch hatte. Zum Beispiel, um sich morgens nach einer anstrengenden Nacht einfach noch einmal umzudrehen und mit dem Baby zu kuscheln. Das fällt jetzt aus, weil das große Kind ja versorgt werden muss.“ Beim ersten Kind konnte sie sich Hausarbeit, Einkäufe und Termine einteilen, wie es ihr passte. Für Spaziergänge, Sport oder Treffen mit anderen Müttern blieb ihr noch genug Zeit. „Dafür ist jetzt weniger Raum. All das muss nun vormittags passieren, denn nachmittags ist die Große zu Hause, und dann möchte ich für sie da sein.“ Momentan erledigt Lena fast alles doppelt: wickeln, waschen, anziehen. Immerhin: Beim Essen kommt ihre zweijährige Tochter schon gut allein klar, sie muss also nicht mehr gefüttert werden. Das ist schon mal eine kleine Erleichterung.

Den Kindern und sich selbst gerecht werden

Lena und ihrem Mann ist es wichtig, so viel wie möglich zu viert zu unternehmen. Dann hat jedes Kind einen Ansprechpartner und keines muss eifersüchtig sein, weil sich Mama oder Papa gerade um das Geschwisterkind kümmert. Wenn Lena mit ihren beiden Kindern allein ist, lässt es sich manchmal nicht vermeiden, dass eines weint, weil sie gerade mit dem anderen beschäftigt ist. Der Wiesbadener Psychologe und Familientherapeut Achim Königstein sieht darin aber kein Problem: „Wenn erkennbar keine Gefahr für das jüngere Kind besteht, darf Mutter oder Vater dieses auch mal schreien lassen und sich dem älteren widmen.“

Um den Familientrubel auch mal hinter sich zu lassen und etwas für sich zu tun, singt Lena in einem Chor. Das Thema Paarzeit ist indes eine schwierige Angelegenheit. „Wir sind schon froh, wenn wir es schaffen, mal abends eine Stunde in Ruhe für uns zu haben. Man muss dafür kämpfen, Zeit als Paar zu haben, um über sich selbst und die wichtigen Dinge zu reden. Nicht nur darüber, wer den Abwasch macht oder Windeln kauft.“ Die Restaurant- und Kinogutscheine inklusive Babysitting, die Lena und ihr Mann zu Weihnachten geschenkt bekommen haben, warten allerdings noch auf ihren Einsatz – auch weil sie ihr Neugeborenes noch nicht abgeben konnten und wollten. Doch auch das wird irgendwann kommen.

Zwei Kinder zu haben ist doppelte Lebensfreude

Katja und ihr Mann haben zwei Töchter nacheinander adoptiert. „Wir empfanden den Unterschied gar nicht so groß. Von null auf ein Kind war heftiger. Das hat alles auf den Kopf gestellt. Klar, mit zwei Kindern gilt es, mehr im Alltag zu organisieren, die Wäscheberge wachsen, und es geht insgesamt turbulenter zu, aber es zieht auch jede Menge mehr Lebensfreude ein.“ Schnell merkt Katja, dass man sich mit zwei Kindern um einiges straffer organisieren muss: „Wer geht mit welchem Kind zu welchem Termin, wer macht wann welchen Teil des Haushalts, wer geht einkaufen? Und wir haben tatsächlich ein größeres Auto gebraucht, in unser altes passte einfach zu wenig in den Kofferraum.“ Man könne noch viel über Wäscheberge, Geschirrflut, Schlafmangel und Kinderkrankheiten reden. Doch das lässt sie lieber sein.

Familienmitglieder in die Betreuung miteinbinden

Katjas Familie ist viel gemeinsam zu viert unterwegs, aber nicht nur. Ihre große Tochter hat freitags Oma-Tag und übernachtet auch dort, dann haben die Eltern Exklusivzeit für die Kleine. Familienmitglieder in die Betreuung miteinzubinden ist eine wichtige und gute Strategie meint Psychologe Achim Königstein. Noch wichtiger erscheint ihm, dass diese sich um das zweite Kind kümmern und dem ersten Kind so exklusive Zeit mit der Mutter oder dem Vater zur Verfügung steht: „Also: Die Tante kommt und kümmert sich um das Baby, die Erstgeborene hat in diesen Stunden die Mutter nur für sich.“ Katjas Töchter sind oft und gerne bei Oma und Opa. Das war Katja und ihrem Mann von Anfang an wichtig. Beide haben ein enges Verhältnis zu ihren Eltern. Hinzu kommt ein großes Netzwerk an Freunden mit und ohne Nachwuchs. „Das hilft im Alltag“, sagt Katja. Es ist ein Geben und Nehmen. Auch Katja nimmt gerne Kinder von Freunden aus dem Kindergarten mit oder greift Bekannten unter die Arme. „Es wäre doch furchtbar, alles alleine bewältigen zu müssen. Und auch so freudlos“, sagt sie. „Und wie heißt es doch so schön: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“

Was ändert sich beim zweiten Kind? – Erfahrungsberichte

Was hat sich bei euch mit der Geburt des zweiten Kind verändert?

Nicole, ein Sohn (10) und eine Tochter (6):

„Mit dem zweiten Kind ist das Leben noch lauter und wuseliger geworden. Man kommt weniger zur Ruhe, da immer ein Kind etwas von einem möchte. Aber missen möchte ich das Leben zu viert nicht! Nach der Geburt meiner Tochter hatte ich auch sofort das Gefühl, dass die Familie nun komplett ist und es so genau richtig ist. Der Nachteil ist allerdings, dass die Kinder sich gerne mal streiten und auch um meine Aufmerksamkeit buhlen. Das sorgt manchmal für Probleme untereinander.“

Kim-Svenja, eine Tochter (5) und ein Sohn (1):

„Irgendwie hat sich alles geändert – und doch nichts. Auf der einen Seite fand ich die Umstellung viel einfacher, da man seinen Tagesablauf ja ohnehin schon an ein Kind angepasst hatte und nicht mehr ganz von vorne anfangen musste. Ich denke, die größte Veränderung ist, dass man noch weniger Zeit für sich und auch für seinen Partner hat. Ich hoffe, das wird allmählich wieder besser. Ganz spannend ist, dass wir gefühlt jetzt jeder ein Kind haben: Unsere Tochter war von Anfang an ein richtiges Papakind und das hat sich durch die Geburt des Zweiten noch mal intensiviert. Der Kleine hingegen ist ein ausgemachtes Mamakind.“

Sabrina, zwei Söhne (8 und 2) und eine Tochter (6):

„Am Anfang hatte ich wegen des Stillens das Gefühl, weniger Zeit für meinen ersten Sohn zu haben. Doch das hat sich bald gelegt. Leichter fiel mir die Umstellung von zwei auf drei Kinder: Ich wusste einfach schon, was mich mit mehreren Kindern erwartet. Momentan sind wir alle sehr ausgelastet, zumal die beiden Großen ihre Hobbys haben – und ich habe meine. Für mein Lauftraining und das Geräteturnen nehme ich mir regelmäßig Zeit. Paarzeit haben wir zum Glück auch, da mein Mann im Nachtdienst arbeitet. Wenn er frei hat und die Kinder vormittags nicht daheim sind, haben wir Freiraum für uns.“

Unser Experte

Diplom-Psychologe und Systemischer Familientherapeut Achim Königstein arbeitet seit 2010 in seiner eigenen Wiesbadener Praxis.

Experten-Interview

Neue Familienkonstellation – neue Bündnisse

kidsgo: Was ändert sich im Familienleben, wenn ein zweites Kind kommt? Und wie können sich Eltern darauf vorbereiten?

Achim Königstein: Ein zweites Kind ändert viel: Platzverhältnisse, Zeiten füreinander, Zeiten für das erste Kind, Ressourcen allgemein wie Geld, Zeit, Energie. Es ist sicher gut, über all diese Dinge zu reden, bevor das zweite Kind auf die Welt kommt, aber: Zuallererst ist die Geburt etwas Schönes. Und die Freude über das zweite Kind und darüber, dass das erste Kind nun eine Schwester oder einen Bruder hat, gilt es zu leben und weiterzugeben.

Was sind die Hauptknackpunkte, wenn die Familie wächst?

Allgemein verändert sich eine Dreierkonstellation in eine von vier Menschen. Das gibt neue Koalitionen, Abgrenzungen, Bündnisse – das sollten Eltern wissen. Sie werden sich vielleicht mit dem einen oder mit dem anderen Kind verbünden, die Geschwister gehen gegen die Eltern Bündnisse ein und so weiter. Generell spielt bei Geschwistereifersucht das Alter eine Rolle, bei eher geringen Abständen sollten Eltern aufmerksam sein. Auch die Persönlichkeit des Kindes – ist es eher kontaktfreudig und selbstsicher oder eher schüchtern und vorsichtig – kann bedeutsam sein.

Was können Eltern tun, damit das ältere Kind sich nicht zurückgesetzt fühlt? 

Für das erstgeborene Kind ist das ein großer Umbruch. Aber es bekommt auch jede Menge neue Lernfelder, Entwicklungsmöglichkeiten, Möglichkeiten zur Selbstbehauptung und zur Vergewisserung, dass die Eltern es weiterhin lieben. Eltern können hierfür das ältere Kind durchaus selbst „Baby spielen“ lassen. Also Verständnis und Zuneigung zeigen, wenn auch das ältere Kind mal wieder Kleinkind sein will. Hilfreich ist auch, es in die Versorgung des Babys miteinzubeziehen oder die Rolle des Vaters oder der Mutter dabei mit einer Puppe mitspielen zu lassen. „Exklusive“ Zeiten für das ältere Kind zu reservieren, durchaus in Abgrenzung zum jüngeren. Außerdem lassen sich die Rechte des älteren Kindes betonen und auch praktizieren, etwa längeres Aufbleiben oder etwas anderes essen zu dürfen.

Buchtipp

Geschwister als Team - Ideen für eine starke Familie

Mit jedem Geschwisterchen steigt der Trubelfaktor in einer Familie exponentiell. Warum? Aus Sicht der Evolution sind Geschwister Rivalen, die um Nahrung und Sicherheit konkurrieren. „Ich will zuerst Apfelsaft! Nein, das ist mein Platz! Ich will vorne sitzen!“

Wenn Eltern dieses Buch gelesen haben, wissen sie, worum die Kinder wirklich streiten. Und auch, wie sie am besten reagieren, um sie beim Zusammenwachsen zu unterstützen. Nicola Schmidt zeigt genial einfache Wege, schlimmste Rivalen zu starken Teams werden zu lassen. So wird es leicht, konstruktiv zu reagieren, wenn alle Kinder gleichzeitig „Ich zuerst!“ schreien. 

Für die Zeit ab Geburt des ersten Geschwisterchens bis ins höhere Schulalter. Mit zahlreichen Tipps für alle Familienformen, auch alleinerziehende Eltern und Patchworkfamilien

Nicola Schmidt, Geschwister als Team – Ideen für eine starke Familie, Kösel-Verlag 2018, ISBN 978-3-466-31104-0, 18,00 Euro