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Herzensbildung: Werte in der Erziehung machen unsere Kinder stark

Wir alle wollen, dass unsere Kinder zu guten Menschen werden. Warum die Herzensbildung dabei nicht fehlen darf und Werte Halt geben.

In diesem Artikel:

Damit Kinder an das Gute im Menschen glauben

Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt war noch nicht lange her, als ich mich mit meinem Siebenjährigen im Auto über Krieg und Terroranschläge unterhalte. Er fragt, ich antworte. So lange, bis er den Dialog mit einem einzigen Satz beendet: „Aber die meisten Menschen sind ja gut, Mama.“ Ich bin gerührt. Mein Sohn spricht aus, was mir immer wichtig war: Ja, es gibt das Unheil in der Welt, aber du darfst trotzdem Vertrauen in das Leben, in die Menschen haben.
Habe ich ihm diese Zuversicht „anerzogen“? Oder liegt es in seinem Wesen positiv zu denken?

Zwölf Werte vermitteln

Kinder orientieren sich an der Haltung und am Handeln ihrer Eltern – sie sind ihr Vorbild. Welche grundlegenden Werte Eltern für eine„Herzensbildung“ vermitteln sollten, verrät uns Buchautorin Christiane Kutik im Gespräch mit kidsgo.

  • Geborgenheit – Rückhalt für ein ganzes Leben
  • Selbstachtung – Nur wer sich auch selbst achtet, erscheint gegenwärtig und kann geachtet werden
  • Mitgefühl – Wir sind nicht allein in dieser Welt
  • Konfliktfähigkeit – Regeln und Absprachen schaffen Klarheit
  • Eigenständigkeit – Kinder wollen selber können
  • Wertschätzung – Achtung vor der Schöpfung kann vorgelebt werden
  • Ehrlichkeit – Kinder suchen Wahrhaftigkeit
  • Weltinteresse – Kinder sind Weltentdecker und teilen diese Leidenschaft gern
  • Seelennahrung – Gemeinsam singen, lesen, erzählen ist Proviant für die Seele
  • Humor und Heiterkeit – Lachen verbindet und macht das Leben leichter
  • Schönheitssinn – Etwas schön gestalten ist auch eine Wertschätzung
  • Naturverbundenheit – Kinder wollen raus

Mit dem Wort „Erziehung“ habe ich lange gefremdelt: Erziehung klang für mich stets nach „ziehen“, nach bevormunden. So, als wäre ein Kind eine Art Rohmaterial, das Erwachsene erst einmal zurechtbiegen müssen und veredeln.

Eltern brauchen mehr Mut, um die Erziehungsverantwortung zu übernehmen

Wie auch immer: Erziehung und Herzensbildung jedenfalls gingen in meiner Vorstellung immer recht schlecht zusammen. Vielleicht gehöre ich damit auch zu der Elterngeneration, über die die Erzieherin und Buchautorin Christiane Kutik sagt, dass sie zu wenig Mut aufbringe, Erziehungsverantwortung zu übernehmen. Eltern, die aus Verunsicherung und Angst, etwas falsch zu machen, zu wenig eigene Prinzipien verfolgen. Die vor einer klaren Richtungsweisung zurückscheuen, weil sie selbst nicht wissen, wo sie stehen.

Kinder wollen Orientierung

Andererseits war ich nie Wunsch-O-Mat meiner Söhne, der jeden Wunsch von den Augen abliest und auf Knopfdruck erfüllt. Und ich muss auch nicht ihre beste Freundin sein. Aber manchmal, das gebe ich zu, fällt es mir schwer, eine Richtung zu wissen und vorzugeben. Doch genau das ist es, was meine vier kleinen Lehrmeister mir permanent abverlangen. Und sei es nur, um dann zielstrebig erstmal in die andere Richtung loszumarschieren.

Eltern sein heißt, Entscheidungen zu treffen, auch solche, die man eigentlich gar nicht treffen will: Wie kann ich richtig entscheiden, ob mein Kind diese Impfung unbedingt benötigt oder nicht? Braucht es wirklich Frühförderung oder einfach nur mehr Zeit? Wie kann ich sicher wissen, welche Kita die richtige ist? Und wann ist der beste Zeitpunkt, mein Kind in die Schule zu schicken? Um über all das und natürlich noch viel mehr zu entscheiden, brauche ich selbst eine Orientierung. Eine innere Stimme, ein Bauchgefühl, Erfahrungen und schließlich Werte, anhand derer ich die Möglichkeiten abchecken kann.

Herzliche Begegnungen stärken Kinder

In ihrem Buch „Herzensbildung“ definiert Christiane Kutik zwölf Werte wie beispielsweise Geborgenheit, Selbstachtung und Mitgefühl, die sie Eltern ans Herz legt.

Buchtipp

kidsgo BuchtippChristiane Kutik: Herzensbildung – Von der Kraft der Werte im Alltag,

Verlag Freies Geistesleben, 3. Auflage, 2016, 18,90 Euro, ISBN 978-3-7725-2744-9

Kinder bringen bereits eine große soziale Kompetenz mit. Unsere Aufgabe als Eltern besteht darin, diese zu erkennen und zu fördern. Drei kleine Beispiele: Kleine Kinder lieben das Anlächel-Spiel, egal ob im Bus, an der Supermarktkasse oder im Wartezimmer. Auch der Apfel, von dem der Zweijährige Mama abbeißen lassen möchte oder die Bildchen, die die Dreijährige sorgsam für alle Familienmitglieder ausschneidet, kommen aus dem Herzensimpuls, geben zu wollen. „Jede dieser Begegnungen beglückt“, sagt Christiane Kutik, „und stärkt Kinder emotional. Jedes Kind sehnt sich danach zu spüren: Ich bin geliebt, gesehen und geborgen.“

Geborgenheit heißt auch Begrenzung

Das heißt aber nicht, dass Eltern alles mit einem beseelten Lächeln hinnehmen sollten. Geborgenheit ist immer auch Begrenzung, Kinder handeln in einem abgesteckten Rahmen. „Nein“ zu sagen ist wichtig, um die Grenzen anderer schützen, manchmal auch das Kind selbst. Und ja, eine klare Haltung zu haben und zu vertreten, braucht Mut. „Mut ist auch eine Herzenskraft, die vorgelebt werden sollte“,so Christiane Kutik. Oft erscheint es leicht, einfach „Ja“ zu sagen, um so einer potenziellen Auseinandersetzung auszuweichen.

Wenn es mir schwerfällt, meine Entscheidung auszuhalten, hilft es mir, mich daran zu erinnern, was ich intuitiv tue, wenn meine Kinder krank sind. Für meinen Jüngsten ist jeder Arztbesuch eine riesige Herausforderung. Das weiß ich. Ich weiß aber auch, dass es manchmal nicht anders geht. Also beschreibe ich ihm, wie Blut abnehmen funktioniert. Ich sage ihm auch, dass ich bei ihm bleibe und dass er es schafft. Ich schaue ihn an, nehme ihn in den Arm, bin da. Meinem Kind beizustehen und es in seiner Not nicht allein zu lassen, ist und bleibt für mich ein unverrückbarer Wert.

Kinder brauchen Eltern, die wahrhaftig sind

Meine Haltung fängt da an zu schwanken, wo ich mir über die Bewertung einer Situation nicht im Klaren bin: Ab welchem Alter muss mein Kind im eigenen Bett schlafen? Wie ernst nehme ich ein Handyverbot am Tisch? Welche Ausdrücke verbitte ich mir? Christiane Kutik appelliert noch einmal an die elterliche Vorbildfunktion. Kinder brauchen keine Eltern, die sklavisch einem Regelgerüst folgen, sondern solche, die sich selbst bemühen, glaubwürdig zu sein und zu eigenen Fehlern zu stehen.

Eine kleine Geschichte ...

Frohen Mutes macht sich die Familie auf den Weg, doch irgendwann werden es zu viel Wegweiser, und alle weisen in eine andere Richtung. Ratlos schauen die Eltern sich an. Die Kinder murren. Wollen nicht mehr mitmachen. Die gute Laune ist dahin. Reißt euch gefälligst zusammen, schimpfen die Eltern. Stunde um Stunde verbringt die Familie damit, im Kreis zu laufen. Am Ende sind alle erschöpft und schließlich wieder genau da, wo sie die Orientierung verloren haben.
 So oder ähnlich ist eine Erziehung ohne Ziel. Erziehung braucht ein Nachdenken darüber, wohin die Reise am Ende gehen soll. Was wünschst du deinen Kindern wirklich? Dass sie zu Wesen werden, die die Ideen anderer stets widerspruchslos hinnehmen und darum klaglos alles mitmachen? Oder dass aus ihnen liebevolle, selbstständig denkende, mitfühlende und kreative Erwachsene werden?

Ein großes Ziel hilft dir täglich, die Explosionskraft der kleinen Alltagssituation zu entschärfen und eine klarere Sicht auf das Wesentliche zu bekommen.

Es gibt dazu eine ganz wunderschöne Stelle in Astrid Lindgrens Geschichte „Lotta zieht aus“. Die kleine Lotta hat aus Wut ihren Wollpulli zerschnitten. Aus Angst vor der Reaktion ihrer Eltern zieht sie von zu Hause aus. Ihre Familie spielt das Spiel mit. Als sie am späten Abend doch zurückkehrt, möchte sie sich eigentlich entschuldigen, schafft es aber nicht. Erst als ihre Mutter zu ihr sagt „Und was ist, wenn ich zu dir sage: ‚Entschuldige bitte’?“, fällt Lotta ihr um den Hals und antwortet erleichtert: „Dann kann ich es auch.“

An den Herausforderungen wachsen

Wer einmal den Stolz in den Augen eines Kindes gesehen hat, das es nach wochenlangem Mühen endlich geschafft hat sich selbst aufzurichten, der weiß, welche Lebensfreude und Energie im Selberkönnen steckt. Ein Kind zu erziehen, es stark zu machen fürs Leben, heißt darum auch nicht, ihm jede Unbequemlichkeit aus dem Weg zu räumen. Es heißt nicht, aus Angst, es könnte den Anschluss an die globalisierte Bildungsgesellschaft verlieren, vorherzubestimmen, wie sein Weg zu sein hat.

Erziehungsverantwortung übernehmen meint, dem Kind ein Gegenüber zu sein. Ihm Raum und Richtung zu geben, damit es seine Fähigkeiten, mit sich und anderen gut umzugehen, entfaltet. Ihm Nähe zu schenken, wenn es Trost sucht, in den Momenten da zu sein, wenn es einen braucht.

Die Situation im Auto war ein solcher Moment: Die vielen Fragen meines Sohnes führten mir seine Angst und Unsicherheit vor Augen. Also half ich ihm bei der Einordnung der Geschehnisse in sein Weltbild. Und er? Er hat mit seinem Glauben an das Gute im Menschen, gezeigt, dass er  – und wir als Eltern – auf dem richtigen Weg sind.

Experten-Interview - Werte sind Wegweiser für unser Handeln

Expertin

Christiane Kutik, Mutter von zwei Kindern, arbeitet als Coach für Eltern und ist Buchautorin zahlreicher Elternratgeber. Als Referentin hält sie Vorträge und Seminare zu wichtigen Erziehungsfragen.

kidsgo: Was war der Anlass für Ihr Buch „Herzensbildung“, für die Diskussion über Werte?

Christiane Kutik: Kaum eine Elterngeneration stand unter einem höheren Stresslevel als heutige Mütter und Väter. Gleichzeitig beobachte ich, dass Eltern selbst immer weniger geerdet sind. Sie wollen nichts falsch machen und trauen sich dadurch nicht mehr, Entscheidungen zu treffen. Diese Unsicherheit übertragen sie auf ihr Kind. Das jedoch bräuchte etwas ganz anderes.

kidsgo: Was brauchen die Kinder?

Christiane Kutik:  Gerade in den ersten sieben Lebensjahren leben Kinder in der Nachahmung. Sie brauchen Eltern, die ihnen Halt bieten, indem diese ein bestimmtes Verhalten selbst vorleben. Zum Beispiel einen liebevollen Umgang miteinander, indem auch Eltern sich die Zeit nehmen, sich mit einer Umarmung oder einem Kuss zu begrüßen.  

kidsgo: Wie finde ich als Eltern die Werte, die ich vermitteln will?

Christiane Kutik: Indem ich mir selbst klar darüber werde, was mir im Alltag wichtig ist. Wenn meine innere Stimme ja sagt, dann kann ich mit meinem ganzen Wesen dahinterstehen. Darum ist es auch hilfreich, wenn Eltern einen gemeinsamen Nenner finden. Zum Beispiel können sie sich gemeinsam hinsetzen und jeder schreibt fünf Minuten lang auf, was sie oder er dem Kind unbedingt mitgeben möchte.

kidsgo: Welche Kraft wohnt den Werten inne?

Christiane Kutik: Werte sind ein großer Kraftimpuls für den Alltag. Grundlegend ist dabei die Fähigkeit zur eigenen Wertschätzung. Auch diese lernen Kinder im Wesentlichen von ihren Eltern.

kidsgo: Welche Anregung möchten Sie Eltern mit auf den Weg geben?

Christiane Kutik: Ich wünsche mir, dass Eltern verstehen, welche zentrale Bedeutung sie für ihre Kinder haben. Eltern sind die wichtigsten Lehrer für ihre Kinder. Das ist eine große Verantwortung, gleichzeitig aber auch ein Plädoyer für weniger Bespaßung. Kinder brauchen keine Hyperaktivierung. Ich muss also nicht ständig etwas tun. Eltern sollten aufhören, sich darin zu verausgaben, Äußerlichkeiten zu arrangieren. Vielmehr geht es darum, den Kindern einen Rahmen zu bieten, zu dem auch Werte gehören. Zum Beispiel, dass herumliegende Sachen aufgehoben werden. Aber genauso darf ich mein Kind auch einfach mal lassen, es beobachten, wie es seinem eigenen Forscherdrang nachgeht.
Eltern sollten ihrem Kind Zuwendung schenken. Wichtig ist, dass da jemand ist, der sie anlächelt, und ihnen zuhört.

kidsgo: Frau Kutik, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!