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Jungs-Mütter: Mama von Jungs sein

Dass Jungs-Mamas zu bemitleiden sind, scheint eine weit verbreitete Meinung zu sein. Unsere Autorin Julia Fiedler hat vier Söhne und sieht das aber ganz anders ...

In diesem Artikel:

Mama von Jungs sein: Eine besondere Erfahrung

Es sind Ferien und die Jungs müssen raus – zumindest meinem Empfinden nach. Nachdem sie in der Wohnung Fangen gespielt, sich gerauft und auch gestritten haben, schlage ich vor in den Wald zu gehen. Und, Gott sei Dank, sie sind sofort dabei. Vorausgesetzt sie dürfen richtig in die Matsche. Okay, abgemacht. Draußen ist so manches leichter, vieles entzerrt sich, dafür nehme ich dreckige Kinder und Klamotten gerne in Kauf.

Zehn Minuten später stehen sie mit Gummistiefeln im Bach, ihre Gesichter glücklich, ihre Jacken im Nu braun gesprenkelt. Im Geiste danke ich dem Erfinder der Waschmaschine ... während ich auf Baumstämmen balanciere. Ich finde ein verlassenes Vogelnest und eine dicke Made im Astloch. Und die Jungs? Sie finden Stöcke, Messer und ein Basislager für ihre Waffen und Werkzeuge. Sie spielen Räuber und Gendarm.

Ich bin vierfache Jungs-Mama, habe das Muttersein also ausschließlich aus dieser Perspektive kennengelernt. Ich weiß nicht, wie mein Leben mit Töchtern verlaufen wäre. Vielleicht gar nicht so viel anders – sicherlich aber mit weniger Mitleid.
Bedauernde Blicke sind das, was man als Jungs-Mama hierzulande am häufigsten bekommt und vermutlich am wenigsten braucht. Mein dritter Sohn war uns von der Gynäkologin als Mädchen angekündigt worden. Als er geboren war, durfte ich mir endlose Male anhören, ob ich denn jetzt nicht maßlos enttäuscht sei. Nein, war ich nicht. Ich wäre neugierig darauf gewesen, zu erfahren, wie es ist, eine Tochter zu haben, aber ich hatte ein drittes Kind gewollt, kein maßgeschneidertes Kleid. Mein kleiner Junge war das Schönste und Liebste, was ich im Arm halten konnte.

Klar, hätte ich auch gerne mal Mädchensachen gekauft, ich mag Rosa, in Maßen zumindest, hab nichts gegen Barbiepuppen und Haarspangen. Aber wirklich wichtig war das nie – weder für mich noch für meinen Mann. Jetzt ist meine Zahnbürste die einzige in Pink. Und ich kann mir sicher sein, dass sich niemand daran vergreift ...

Jungs-Mamas: Egal ob Junge oder Mädchen?

„Mach dich auf was gefasst!“ ­ ein typischer Satz, den Jungs-Mamas zur Genüge kennen und der ihnen so gar nicht hilft. Auf was genau soll ich mich denn gefasst machen? „Ein Junge wird dich Nerven kosten.“ Sicher. Ein Mädchen doch aber auch, oder? Ein Kind ist keine Bestellung, die man irgendwann aufgegeben hat. Es ist nicht da, um meine Erwartungen zu erfüllen. Gelassen sein ist darum generell die nützlichste Eigenschaft auf dem Weg der Kinder in das Erwachsenenleben.

„Kinder und alles andere gleichzeitig haben zu wollen, funktioniert nicht. Mit einem Kind wird sich das Leben für mindestens einige Jahre komplett umstellen – auch in unerwarteter Weise“, sagt die Autorin, Pädagogin und dreifache Jungs-Mama Heidemarie Brosche. Ballverrückte Jungs und ein gepflegter Garten passen schlecht zusammen. Aber ist es wirklich so schlimm, ein paar Jahre auf den Englischen Rasen zu verzichten?

Jungs und Mädchen sind verschieden

Jungen und Mädchen sind verschieden, und das zeigt sich bereits im Mutterleib. Schon hier sind männliche Föten beispielsweise bewegungsfreudiger als weibliche. Sie besitzen schon dann mehr Muskeln, die trainiert werden wollen.

Diese Unterschiede zu kennen hilft, zu verstehen, warum mein Sohn jetzt nicht so reagiert, wie ich es vielleicht gerne hätte oder aus meinem weiblichen Erfahrungshintergrund erwarten würde. Jungs interessieren sich verstärkt für Dinge, mit denen man etwas bewegen oder ins Tun kommen kann: Schubladen, die sich auf und zu machen lassen, der Lichtschalter, die Kühlschranktür, der Rasenmäher. Während kleine Mädchen mit winzig kleinen Figürchen in komplizierter Choreografie ganze Spielszenerien aufbauen können, sind kleine Jungs mehrheitlich grobmotorischer in ihren Bewegungen. Ihre feinmotorische Phase folgt oft erst später. Werfen, Fangen, Zielen, Schießen – viele kleine Jungs lieben das, weil sie damit ihre Kräfte messen können. Höher, schneller, weiter, Jungs wollen sich selbst einschätzen lernen, ihre Selbstwirksamkeit testen, schauen, wo sie stehen. Schon direkt nach der Geburt orientieren sie sich stärker im Raum und im Außen als neugeborene Mädchen. Sie scheinen oft mehr in sich zu ruhen.

Natürlich gilt das nie pauschal für jeden Jungen und jedes Mädchen. Aber mehrheitlich sind Jungen stärker an Rivalität interessiert. Aus mütterlicher Sicht sind die ständigen Rangeleien unter Jungen oft einfach nur nervig. Doch diese zu verbieten bringt wenig. Besser tief durchatmen und mit den Jungen ein paar einfache und klare Fairness-Regeln vereinbaren.

Besondere Mutter-Sohn-Beziehung

Dass mit Mutter und Sohn zwei Geschlechter aufeinander treffen, macht die Beziehung besonders spannend. „Es gab Momente“, erzählt Heidemarie Brosche, „da habe ich mich zwischen meinen drei Jungs einen Tick fremd gefühlt, aber das war dann auch immer der Anstoß, mich einfach mal zurückzuziehen und das zu machen, worauf ich gerade Lust hatte.“ Loslassen – das ist die Lektion, die alle Eltern permanent immer wieder lernen müssen. Ich kann mich meinem Kind sehr verbunden und nahe fühlen. Bei einem Sohn ist klar: Da ist ein Punkt, da bin ich nicht wie er. Unser Geschlecht trennt uns in gewisser Weise voneinander: Ich weiß nicht, wie sich Pubertät als Junge anfühlt, weil ich es nie erlebt habe.

Gleichzeitig kann ich ihm aber dennoch eine gute Gesprächspartnerin beim ersten Liebeskummer sein, weil er natürlich mein geliebter Sohn ist, weil ich es schon am eigenen Leib erfahren habe und weil ich die weibliche Perspektive kenne.

Sich als Jungs-Mama mit Schulstatistiken zu beschäftigen, macht keinen Spaß. In jeder Grundschulklasse sind es mehrheitlich die Mädchen, die hübschere Buchstaben aufs Papier bringen, weniger herumhampeln und bessere Noten bekommen. Schule in Deutschland hat gerade für Jungen noch Verbesserungspotenzial. „Ich bin damals mit sehr viel Idealismus Lehrerin geworden“, meint Heidemarie Brosche, „aber erst meine eigenen Buben haben mich gelehrt, wie Jungen sich im Unterricht oft fühlen. Es macht einen großen Unterschied, ob ich einem Jungen sage, dass er stört und ihm so vermittle, falsch zu sein. Oder ob ich ihm sage, es ist toll, dass du so lebhaft bist, deine Freunde werden dich dafür lieben, aber in der Schule – wie sie sich meist präsentiert – passt das nicht immer.“

Dem Kind zu zeigen „Ich sehe dich in deinem Wesen und nicht nur darin, wie gut du deine Funktion im System erfüllst“, ist etwas sehr Wesentliches, das Eltern ihren Kindern auch für ihre Schulzeit schenken können.

Was Jungs brauchen

Auch folgendes Vorurteil musste ich mir anhören: „Mit Jungs kann man nicht kuscheln, und später wirst du von ihnen sowieso nichts erfahren.“ Ich halte dagegen: Meine vier Jungs waren alle sehr kuschelig und haben noch sehr lange in unsicheren Momenten meine Hand oder eine Umarmung gesucht. Zärtliche Berührungen setzen das Hormon Oxytocin frei, das baut Stress ab und stärkt die zwischenmenschliche Bindung. Das gilt für Jungen und Mädchen gleichermaßen, logisch. Selbstverständlich gibt es Phasen in der Pubertät, in denen meine Söhne mir nicht mehr alles offenbaren, was sie beschäftigt. Doch das gilt genauso für das andere Geschlecht.

Zu Grundschulzeiten hatte ich einen regen Briefwechsel mit meinem Zweitgeborenen. Seine drängenden Fragen über die Welt bekam ich heimlich per Zettelchen zugesteckt und habe sie ihm auf demselben Weg beantwortet. Oft folgte abends darauf noch ein langes Gespräch an der Bettkante oder kuschelnd im Bett.

So wild sie daherkommen können, so sehr seien es aber gleichzeitig gerade die kleinen Jungen, die oft stärkeren Halt suchen und brauchen, meint Hirnforscher Gerald Hüther. „Nah und klar“, so drückt Pädagoge Dr. Reinhard Winter aus, was Jungs von ihren Eltern brauchen. Jungen sind in der Entwicklung ihrer Impulskontrolle den Mädchen oft ein wenig hinterher. Gerade darum brauchen sie Eltern, die ihnen eine klare Haltung vermitteln. Mitten im schönsten Kämpfchen nützen die besten Argumente oft wenig. Um dann in Jungs-Ohren Gehör zu finden, ist ein Maximal-Sieben-Wort-Satz effektiver als lange Erklärungen.

Wichtig dabei: Klar, nicht grob. Auch Jungen, gerade Jungen, brauchen ein liebvolles, ihnen zugewandtes Gegenüber. Erziehung ist Beziehung und jedes Kind ist – egal welchen Geschlechts – zu allererst Mensch und ein einzigartiges Wesen. Eltern von mehreren Kindern wissen das. Geschwister können so unterschiedlich sein in ihren Interessen, in ihren Eigenheiten, in dem, wie sie in die Welt schreiten. Bewertungen und Vergleiche sollten tabu sein.

Nein, Jungs-Mamas wollen nicht bedauert werden. Allein unter Männern kann so wunderbar sein! Auch und gerade mit Söhnen lässt sich ein liebevolles, inniges und erfülltes Muttersein erleben. Nicht besser als mit Töchtern, mitunter sicherlich anders, aber auch ganz bestimmt nicht schlechter. 

Expertin

Heidemarie BroscheHeidemarie Brosche ist Lehrerin in Augsburg und erfolgreiche Autorin von Kinder-, Jugend- und Sachbüchern. Sie hat drei Söhne und lebt mit ihrem Mann in Bayern.

Experten-Interview

Das beglückende Gefühl weitergeben

kidsgo: Was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über Jungs-Mütter  zu schreiben – und das zu einem Zeitpunkt, als Ihre Söhne bereits erwachsen waren?

Heidemarie Brosche: Ausschlaggebend für mich war ein ganz beglückendes Gefühl, dass über mich gekommen ist, wenn ich heute meine Söhne vor mir sehe und denke, wie schön es ist, diese erwachsenen Söhne zu haben. Das wollte ich gern weitergeben an Mütter, die noch ganz am Anfang ihres Mutterseins stehen. Mich haben damals nämlich die Erzählungen der Mütter, die schon Erfahrung hatten, die schon einige Höhen und Tiefen überstanden hatten, immer stärker berührt als der Rat anderer Frauen, die im Grunde genau dort standen, wo ich auch stand. Ich wollte ein Buch schreiben, dass man Müttern schenken kann und keines, das ihnen sagt, was sie alles müssen, damit es ja nicht schiefgeht. 

Welches Vorurteil oder welche Zukunftsvision, mit der Sie als Jungs-Mama konfrontiert wurden, hat Sie am meisten geärgert oder gekränkt?

Als ich meinen dritten Sohn erwartete, meinte eine Nachbarin zu mir: „Frau Brosche, Ihnen bleibt aber auch gar nichts erspart.“ Doch damit konnte ich umgehen, das hat mich nicht weiter getroffen. Wirklich schlimm fand ich die Schreckenszenarien, die mir für die Zukunft mit Söhnen prophezeit wurden und die alle dahin gingen, dass ich zu meinen Buben niemals ein so enges Verhältnis haben würde, wie ich es zu Töchtern hätte haben können.
Real hat sich das für mich auch nicht bestätigt. Meine Jungs rufen mich nicht jeden Tag an, aber wenn wir uns sehen oder sprechen, haben wir gute, inhaltsvolle und vertraute Gespräche.

Gibt es etwas, auf das Jungs-Mamas gefasst sein sollten?

Sie sollte sich darauf einstellen, dass es ein bisschen anders wird, als sie es kennt. Jeder Junge ist ein Individuum, und natürlich ist nicht jeder ein Rabauke. In der Regel aber sind kleine Jungs etwas lebhafter als Mädchen. Es gab schon Momente, in denen mir ihre Rangeleien fremd vorkamen. Das kannte ich einfach nicht. Andererseits haben meine Jungs mich gezwungen, mich auf Erlebnisse einzulassen, die ich von mir aus niemals gesucht hätte, an denen ich aber enorm wachsen konnte. Zum Beispiel war ich immer ein Angstmensch. Von mir aus hätte ich nie das Abenteuer gesucht. Mit meinen geliebten Jungs aber, die das brauchten, konnte ich mich überwinden.

Warum ist es in Ihren Augen großartig, Söhne zu haben?

Meine Jungs waren sich immer gute Spielkameraden, vielleicht mehr als Bruder und Schwester es sich hätten sein können. Ich musste nicht stundenlang mit ihnen Shoppen gehen, mir sind Zickenkriege erspart geblieben. Ich habe starke Männer im Haus für all das, was ich allein nicht schaffe und zuletzt das Allerwichtigste: Dass ich von meinen Söhnen lernen durfte, war mitunter eine große Herausforderung, aber für mich das beste Lernfeld, das ich bekommen konnte.

Liebe Frau Brosche, danke für dieses Gespräch!

Buchtipp

Jungs Mamas BuchJungs-Mamas
Jede Menge Anregungen für ein schönes Leben mit Söhnen

Jungs-Mamas stellen sich viele Fragen: Wie werde ich die Schulzeit mit meinen wilden Kerlen überstehen? Wie werde ich mich fühlen, wenn aus den Kleinen richtige Männer werden? Heidemarie Brosche, Mutter von drei erwachsenen Söhnen, zeigt, dass aus ersten möglichen Ängsten schnell positive Erfahrungen werden können, die nur Jungs-Mamas erleben.

Heidemarie Brosche kennt die wichtigsten Jungs-Themen: von Abenteuerlust bis zu Technikinteresse, von Wettkämpfen bis zu speziellem Jungs-Humor und nicht zuletzt vom Zocken bis zu Schulproblemen. In ihrem Buch erklärt die erfahrene Lehrerin, was die großen Pluspunkte des Lebens als Jungs-Mama sind.

Eigene Beispiele und Erfahrungsberichte anderer Mütter zeigen, dass aus erster Enttäuschung und Sorge Alltagserfahrungen mit unerwartet positiven Aspekten erwachsen können. Dank zahlreicher Denkanstöße und Tipps werden aus möglichen Unsicherheiten schöne Erfahrungen, die nur Jungs-Mamas erleben.

Jungs-Mamas, Heidemarie Brosche,
Kösel-Verlag 2019, 17,00 Euro,
ISBN 978-3-466-34720-9