Stress im Alltag: Wie eine Mutter-Kind-Kur helfen kann
Marion hat Rückenschmerzen, immer wieder, immer mehr. Trotzdem funktioniert sie irgendwie weiter. Ein 30-Stunden-Job in 45-Auto-Minuten-Entfernung, zwei kleine Kinder im Alter von fünf und zwei Jahren, die sie gern und viel getragen hat und die auch jetzt noch auf Mamas Arm Trost suchen, ein Mann, der jobbedingt meist nur am Wochenende nach Hause kommt. Marion hat einiges zu wuppen, nicht nur körperlich: Alles am Laufen zu halten, belastet auch Geist und Seele.
Als eine Frau, die Sport und Tanz studiert hat, weiß sie, dass Bewegung ihrem Rücken guttun würde, doch ihr fehlen Zeit und Energie. Immerhin meldet sie sich zu einem Rückenkurs an. Doch sie schafft es nicht, sich die Zeit dafür freizuschaufeln.
Dann ein Aha-Erlebnis: Als sie sich mit einer Freundin auf einen Kaffee trifft, wird im Gespräch immer klarer, dass es so nicht weitergehen kann. Schließlich gesteht sich Marion ein, körperlich am Ende zu sein. „Ich konnte ohne Schmerzen nicht einmal mehr eine Tasse heben.“ Ihre Freundin ist besorgt und rät ihr dringend, eine Kur zu machen.
Erschöpfungszustände und Burn-out nehmen zu
So wie Marion geht es vielen Frauen, die sich in die Kindererziehung einbringen und so die Mehrfachbelastung erleben. Und auch immer mehr Väter sind betroffen. Von allein spüren sie zwar, dass etwas nicht stimmt, dass es so nicht gut ist, aber sie funktionieren trotzdem weiter. Muss ja, geht schon irgendwie, die Phase geht vorüber, irgendwann wird alles besser, trösten sie sich. Sie warten so lange, bis gar nichts mehr geht. „Tatsächlich braucht es oft einen Impuls von außen“, weiß Julia Harmsen vom GesundheitsService der AWO.
Und ja – Schwere Erschöpfungszustände bis hin zum Burn-out nehmen zu. Familienalltag kann stressig sein. Vor allem dann, wenn ein Termin den nächsten jagt, Kinder in der Autonomiephase sind, der Partner verreisen muss oder Unvorhergesehenes wie beispielsweise eine Magen-Darm-Grippe oder Erkältung passiert. Oder die Waschmaschine ihren Dienst versagt.
Corona-Pandemie belastet die Eltern zusätzlich
„Schon vor Corona ist der Druck gestiegen“, sagt Yvonne Bovermann, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks.
„Aber seit der Pandemie sind die Mütter und Väter noch stärker belastet, haben mehr Gesundheitsprobleme als vorher.“ In
Expertin
Yvonne Bovermann, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks
Als Mutter von drei Kindern und gelernte Hebamme kennt sie die Belastungssituationen in den Familien genau. Die Gesundheit von Mutter und Kind stand für sie während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn immer im Vordergrund – ob als Hebamme, bei ihrer Tätigkeit beim Deutschen Hebammenverband e. V. (DHV) oder nun beim Müttergenesungswerk.
der Corona-Pandemie brachen die Kinderbetreuung und die Schule zeitweise völlig weg. Zusätzlich zu Haushalt und Job mussten Eltern ihre Kinder den ganzen Tag betreuen, sie beschäftigen und sich ums Homeschooling und Lernen kümmern. Unter diesen Umständen sind in vielen Familien die Ressourcen nach eindreiviertel Jahren unter Corona-Bedingungen völlig verbraucht. Es bleibt keine Zeit mehr, um Luft zu holen und tief durchzuatmen.
Obwohl alle Zeichen auf Überlastung stehen, gehört eine große Portion Mut dazu, vor sich und anderen zuzugeben, dass man einfach nicht mehr kann. Die Beantragung der Kur wird oftmals hinausgezögert, bis gar nichts mehr geht. Nur noch ein bisschen Durchhalten und die Familie nicht im Stich lassen. Doch wenn Mama oder Papa zusammenbrechen, betrifft es die ganze Familie. Umso wichtiger ist es, sich frühzeitig nach Hilfe und Unterstützung umzusehen.
Der erste Schritt: Beratungsgespräch
Marion hat schließlich eine der rund 1.000 Beratungsstellen im Müttergenesungswerk angerufen. „Eine gute Idee“, sagt sie rückblickend. Schon nach zehn Minuten am Telefon war klar: Eine Mutter-Kind-Kur ist eine echte Option. Das anschließende Beratungsgespräch hat ihr geholfen, ihre Ziele für eine Kur klarer zu formulieren und herauszufinden, was sie will und was ihr wichtig ist.
Eine weitere Option: Andere Mütter entscheiden sich für eine Mutter allein zur Kur fähr reine Mütter-Kur. Das heißt, die Frauen gehen ohne ihre Kinder in die Kur. Und auch für Väter gibt es verschiedene Angebote – sowohl mit als auch ohne Kind(er).
Wichtig zu wissen: Der Elternteil, der mit den Kindern zu Hause bleibt, hat in dieser Zeit Anspruch auf eine Haushaltshilfe, sodass die Belastung etwas sinkt.
Der zweite Schritt: Arztbesuch und Attest sind Voraussetzung
Um eine Kur zu beantragen, brauchen Mütter oder Väter ein Attest von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin. Das Attest bescheinigt, welche Gesundheitsstörungen vorliegen. Dazu zählen unter anderem Schlafstörungen, Erschöpfungszustände bis hin zum Burn-out, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Rückenschmerzen oder Herz-Kreislauf-Beschwerden. Es wird zudem festgestellt, ob eine Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme in Frage kommen könnte.
Der dritte Schritt: Kurantrag bei der Krankenkasse einreichen
Die Beratungsstellen helfen bei der Antragsstellung: Dabei geht es um das Ausfüllen des Selbstauskunftsbogens, um die Auswahl einer geeigneten Klinik und das Zusammenstellen der Unterlagen, die bei der Krankenversicherung einzureichen sind.
Die Kuren für Mütter und Väter sind Pflichtleistungen der Krankenkassen. Dennoch lehnen Krankenkassen immer wieder Anträge ab. Auch dann unterstützt die Beratungsstelle, und das meist erfolgreich. „In den meisten Fällen wird die Kur nach einem Widerspruch doch noch bewilligt“, berichtet Geschäftsführerin Yvonne Bovermann.
Gesetzlich oder privat versichert?
Wenn du in einer Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert bist, übernimmt deine Krankenkasse den Großteil der Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Behandlung in den Kureinrichtungen des Müttergenesungswerks oder gleichartigen Einrichtungen. Mit diesen besteht ein Versorgungsvertrag nach § 111 des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V).
Wenn du dir eine Klinik aussuchst, frage zuvor, ob diese von der GKV als Vorsorgeeinrichtung anerkannt ist. Neben den Beratungsstellen des Müttergenesungswerks oder anderen gemeinnützigen Einrichtungen, wie beispielsweise der Caritas oder Arbeiterwohlfahrt (AWO), bieten die auch einzelne Kliniken Beratungsgespräche sowie Hilfe beim Beantragen an (s. nächste Seite). Wichtig zu wissen: Deine Krankenkasse übernimmt deine Kurkosten nur nach Genehemigung des Kurantrags.
Du bist privat versichert? Dann kommt es bei der Erstattung der Kosten darauf an, welchen Tarif du bei deiner Krankenversicherung abgeschlossen hast. Daskannst du in einem Gespräch erfragen und dein Anliegen erklären.
Die richtige Kurklinik finden
Die passende Klinik ist der Schlüssel zur erfolgreichen Kur. Viele der mehr als 70 Kliniken des Müttergenesungswerks sind spezialisiert. Sie haben unterschiedliche Schwerpunkte – abgestimmt auf die individuellen gesundheitlichen Bedürfnisse der Kurteilnehmenden. Daher lohnt es sich, bei der Auswahl der Kliniken auf das Wunsch- und Wahlrecht der Mütter und Väter zu achten. In allen Kliniken des Müttergenesungswerkes sind die Kuren genderspezifisch: Mütter und Väter erhalten jeweils individuelle Angebote: Eine Mütter-Kur muss eben für Mütter passen und eine Väter-Kur für Väter.
Mutter-Kind-Kur: Das sagen Kurteilnehmerinnen
„Meine wichtigste Erkenntnis aus der Kur: Ich darf auch ‚Nein‘ sagen – ohne schlechtes Gewissen.“
(Mutter, anonym)
„Die Beratung war eine tolle Unterstützung von Beginn an. Insbesondere der Einspruch gegen die erste Ablehnung. Das hätte ich alleine wahrscheinlich nicht mehr geschafft.“
(Mutter, anonym)
„Zu wissen, dass auch andere Mütter sich manchmal überfordert fühlen und keine perfekt ist, hat mich sehr beruhigt.“
(Annika, alleinerziehend, 1 Sohn)
Ein Kuraufenthalt ist kein Wellnessurlaub
Marion wollte unbedingt auf eine Insel. Ein bisschen Meer zwischen sich und den Alltag bringen. Die Wahl fiel auf eine Klinik auf Wangerooge mit Schwerpunkt Sport. Abstand war hier garantiert: kein Fernsehen, kein Radio, keine Luxusherberge. „Aber das war mir von vornherein klar“, erzählt Marion. Eine Kur ist kein Wellnessurlaub, sondern eine medizinische und sozialtherapeutische Maßnahme. Es geht nicht nur darum, möglichst bequem alle viere von sich zu strecken und jeden Wunsch von den Augen abgelesen zu bekommen, sondern Mütter und Väter sollen auch selbst daran mitwirken, ihre Lebenssituation für sich nachhaltig positiv zu ändern.
Mutter-Kind-Kur: Wichtige Erkenntnisse für den Alltag
Was Marion für sich aus der Kur mitnehmen konnte? Ein Stück Insel. Eine gewisse Leichtigkeit. „Ich war einfach mal wieder die Frau ohne Haus, ohne den Berg von Verpflichtungen, und hab gemerkt, es gibt sie noch.“ Was schwierig war? Ihre jüngere Tochter ist mit der Kur-Situation nicht so gut klargekommen. Sie hat viel geweint und geklammert. Das ist wohl kein Einzelfall und ein Grund dafür, dass eine Reihe von Kliniken Kinder erst ab drei Jahren aufnehmen. Jedoch auch kein Ausschlusskriterium für eine Mutter-Kind-Kur.
Was sie anderen Müttern und Vätern rät? Eigene Wünsche äußern – vor der Kur aber auch währenddessen. „Wenn ich merke, dass eine der verordneten Maßnahmen mir nicht guttut, darf ich das Gespräch mit der Klinikleitung suchen, denn letztendlich soll die Kur ja mir dienen.“
Mutter-Kind-Kur während der Corona-Pandemie?
Die vielen Monate der Corona-Pandemie waren – und sind es immer noch – für die meisten Mütter und Väter eine Katastrophe. Dass die Krise in vielerlei Hinsicht auf den Rücken der Eltern bzw. Familien ausgetragen wurde, sich viele Mütter und Väter allein gelassen fühl(t)en, ist inzwischen unumstritten. Sie jonglieren zwischen Homeschooling, Job, Homeoffice, Haushalt, Kinder-bei-Laune-Halten und, und, und …
Die eigenen Bedürfnisse mussten und müssen noch weiter hintanstehen als sonst. Körperlich und psychisch mehr als belastend – dazu die Angst, vielleicht selbst zu erkranken oder jemanden anzustecken. Und natürlich auch die Sorge um den Nachwuchs: Was macht das Ganze – speziell die eigenen Ängste und die Einschränkungen im Alltag – psychisch und auch physisch mit unseren Kindern?
Obwohl Eltern jetzt umso dringender Erholung bräuchten, nahmen im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2019 rund 35 Prozent weniger Mütter und Kinder an den Kurmaßnahmen teil und etwa 22 Prozent weniger Väter. Viele haben abgewartet und aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus oder aus Rücksichtnahme auf die Schulzeiten der Kinder eine Kur hinausgezögert – bis es nicht mehr ging.
Corona: Erschöpfte Erwachsene, überreizte Kinder
Die Folgen zeigen sich jetzt. Die Kliniken stellten fest, dass Frauen und Männer viel belasteter in den Kliniken ankämen als zuvor, sagt Yvonne Bovermann. Viele Mütter und Väter sind nicht mehr nur erschöpft, sondern haben ein deutlich erkennbares Burn-Out-Syndrom. Und auch den Kindern merkt man an, dass ihre Lebensumstände sich verändert haben. „Die Mitarbeitenden der Kliniken berichten, dass die Kinder nervöser anreisen, überreizter sind. Sie brauchen länger, um mit den gleichaltrigen Kindern Kontakt zu knüpfen, die Betreuung muss intensiver sein“, fasst Yvonne Bovermann zusammen.
Sie erwartet eine deutlich erhöhte Nachfrage, sobald sich die Situation normalisiert. „Aber wir sind nicht sicher, ob alle Kliniken die Corona-Situation durchstehen. Im schlimmsten Fall werden wir weniger Klinikplätze haben, und mehr Mütter und Väter, die dringend einen Platz brauchen.“
Erschöpfungssyndrom oder Burn-out?
Über 80 Prozent aller Mütter und Väter, die 2020 an einer Kurmaßnahme in einer vom Müttergenesungswerk anerkannten Klinik teilnahmen, litten an einem Erschöpfungssyndrom bis hin zum Burn-out.
Es sind immer noch vor allem Mütter, die den Großteil der Familienarbeit schultern und Job, Kinder, Haushalt unter einen Hut bringen müssen. Das kostet viel Energie und Zeit. Bleibt die Mutter im Alltag selbst auf der Strecke, kann das zu einem Burnout führen. Vätern, die sich aktiv in die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder einbringen, geht es ähnlich.
„Häufig werden die ersten Anzeichen für gesundheitliche Störungen ignoriert“, weiß Yvonne Bovermann, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks in Berlin. „Mütter und auch Väter wollen für ihre Familie weiter funktionieren und an sie gestellte Anforderungen erfüllen.
Viele Mütter kommen erst in die Kurmaßnahmen, wenn die Probleme massiv sind. Und für Väter scheint es oft noch nicht selbstverständlich, eine Kurmaßnahme in Anspruch zu nehmen.“ Wichtig sei es, sich frühzeitig Hilfe zu suchen.
REIF FÜR DIE KUR?
Ein anonymer Online-Kurtest verrät dir, ob eine Mutter-Kind-Kur für dich sinnvoll wäre.
Wichtig ist aber vor allem das Gespräch mit Fachleuten!
Diese Beratungsstellen helfen gerne weiter:
Für Privatkliniken:
Das Müttergenesungswerk im Einsatz für die Gesundheit
Das Müttergenesungswerk ist eine gemeinnützige Stiftung und Spendenorganisation, die sich seit über 70 Jahren für Mütter und seit 2013 auch für Väter und pflegende Angehörige einsetzt. Rund 1.000 Beratungsstellen im Müttergenesungswerk beraten jährlich mehr als 110.000 Mütter und Väter kostenlos zu allen Fragen rund um Kurmaßnahmen. Mehr als 70 Kliniken bieten Mutter-Kind-Kuren, reine Mütterkuren, Vater-Kind- und Väterkuren sowie Kuren für pflegende Angehörige an.
Kur trotz geringerem Einkommen
Das Müttergenesungswerk unterstützt einkommensschwache Mütter oder Väter mit einem finanziellen Zuschuss zur Kur: Zwar übernehmen die Krankenkassen die Kosten der Kur, aber es bleibt ein finanzieller Eigenanteil von 10 Euro pro Tag. Hinzu kommen die Kosten für die Anreise, ein Taschengeld für die Kinder oder wetterfeste Kleidung. Das können sich nicht alle leisten. Möglich macht dies das Müttergenesungswerk durch Spendengelder engagierter Menschen, die die Arbeit der gemeinnützigen Stiftung unterstützen.
Schwerpunktkuren: Kuren für besondere Lebenslagen
Manchmal steht bei Müttern ein bestimmtes Thema im Vordergrund. Dann kann eine sogenannte Schwerpunktkur sinnvoll sein. Diese gibt es zum Beispiel für Schwangere oder Mütter mit Frühchen. Eine Schwerpunktkur ermöglicht es, leichter in den Austausch mit anderen Frauen zu kommen, die in einer ähnlichen Lebenssituation stecken. Zugleich wissen sich die Mütter in einer Klinik gut aufgehoben, die auf typische Besonderheiten gut vorbereitet ist.
Für an Brustkrebs erkrankte Mütter
Rund 65.000 Frauen erhalten jährlich die Diagnose Brustkrebs. Viele von ihnen sind Mütter auch kleiner Kinder. Die Rexrodt von Fircks Stiftung bietet Schwerpunktkuren für an Krebs erkrankte Mütter mit ihren Kindern in der Klinik Ostseedeich in Grömitz an.
Mit Kindern über den Krebs reden
Um es Eltern und Kindern leichter zu machen, gemeinsam über die Krankheit sprechen zu können, hat der Verein „Hilfe für Kinder krebskranker Eltern“ die kostenlose App „Zauberbaum“ entwickelt.
Schwerpunktkuren
Mutter-Kind-Kuren nach Krebserkrankungen: