Resilienz steigern mit ganz viel Liebe
Wie schaffen es Kinder sich auch unter schwierigen Lebensbedingungen gesund zu entwickeln? Resilienz ist das Zauberwort, und meint nichts anderes als psychische Widerstandskraft. Sie hilft Kindern, Krisen zu meistern, nicht aufzugeben und wieder aufzustehen.
Lange Zeit nahm man an, dass diese innere Stärke angeboren sei. Dank der Resilienzforschung wissen wir heute, dass die genetische Veranlagung dazu nur 30 bis maximal 50 Prozent ausmacht. Kinder können also lernen, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. „Resilienz kann man trainieren und zwar bis ins hohe Alter“, sagt Psychologin Dr. Isabella Helmreich vom Deutschen Resilienz Zentrum Mainz. Sie erklärt, welche Faktoren diese Fähigkeit positiv beeinflussen: „Einerseits sind es individuelle Eigenschaften wie beispielsweise ein positives Temperament, hohe Sozialkompetenz, ein aktives Bewältigungsverhalten; andererseits aber auch äußere Faktoren wie eine enge emotionale Bindung zu einer wichtigen Bezugsperson und ein unterstützendes soziales Umfeld außerhalb der Familie.“
Und was ist aus ihrer Sicht das Wichtigste, das Eltern ihren Kindern auf dem Weg zu einer starken Persönlichkeit mitgeben können? „Das Allerwichtigste ist Liebe“, so die Erkenntnis der Psychologin. „Kinder müssen merken, dass sie von ihren Eltern geliebt werden – egal, was sie anstellen.“
Was macht Kinder stark? – Wir fragen nach bei …
… Maja von Vogel, Buchautorin der Reihe „Die Drei !!!“
Bild: privat
Gute Freunde
Als Kind habe ich es geliebt, mich in Geschichten zu verlieren. Nervige Hausaufgaben? Erst mal eine Runde mit Ronja Räubertochter durch den Wald streifen. Streit mit der besten Freundin? Wie gut, dass es Hanni und Nanni gibt! Diese kleinen Auszeiten haben mir Kraft gegeben für die Herausforderungen des echten Lebens.
Als Autorin versuche ich, Bücher zu schreiben, die Kindern genau dies bieten: eine Pause vom Alltag und neue Energie zu tanken. Ganz „nebenbei“ geht es in den „Die drei !!!“-Büchern auch immer um Identität und Freundschaft. Die drei Hauptfiguren Kim, Franzi und Marie sind gute Freundinnen, obwohl sie völlig verschieden sind. Jede hat ihre Stärken und Schwächen. Kim zum Beispiel ist nicht nur Kopf des Detektivclubs, sie ist auch ziemlich schüchtern, steht nicht gern im Mittelpunkt. Trotzdem – oder gerade deswegen – wird sie von ihren Freundinnen akzeptiert und anerkannt.
Die Botschaft dahinter: Nicht nur Bücher, auch gute Freunde machen stark fürs Leben!
… Dr. Isabella Helmreich, Wissenschaftlerin der Resilienz Zentrum GmbH Mainz
Bild: privat
Rollenvorbild sein
Resilienz ist ein lebenslanger Lernprozess, sowohl für Eltern als auch Kinder. Eltern können die Resilienz ihrer Kinder als Rollenvorbild stärken, indem sie ihnen gute Konfliktlösestrategien vorleben, sie zu Eigenaktivität und Verantwortungsübernahme anleiten und ihre Selbstwirksamkeit stärken. Hierzu gehört, ihnen Dinge zuzutrauen und eigene Aufgaben zu übertragen. Sie sollten ihren Kindern nicht alle Schwierigkeiten des Lebens aus dem Weg räumen.
Studien haben gezeigt, dass es eine Art „Stressimpfung“ gibt: Wenn wir lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen und auch mal zu scheitern, sind wir für zukünftigen Stress besser ausgerüstet. Und wann kann man das besser als in der Kindheit, wo Eltern und Erzieher einem mit Liebe und Trost zur Seite stehen können.
Ein weiterer Schutzschild gegen Belastungen ist ein gutes soziales Netzwerk und positive Emotionen. Resiliente Menschen haben sich den Blick für die schönen kleinen Dinge des Lebens bewahrt – zum Beispiel eine Blume am Wegesrand. Wenn Eltern solche Momente genießen und sie mit ihren Kindern teilen, dann ist schon viel gewonnen.
… Nicola Schmidt, Gründerin „Artgerecht Projekt“ und Autorin
Bild: ©David Carlsson
Die ersten tausend Tage
Letzten Freitag auf den Straßen Bonns: 6.000 Kinder, die heute nicht zur Schule gehen. Sie demonstrieren für mehr Klimaschutz, singen Lieder und rufen „Climate Justice – Now!“
Eltern haben eine große Macht: Wir können die Zukunft verändern, wenn wir uns gut um unsere Kinder kümmern. Und das ist das Ziel meines Artgerecht-Projekts – starke Kinder, die sich ernst genommen fühlen und die wissen, dass wir immer für sie da sind. Die Wissenschaft weiß: Dafür zählen die ersten tausend Tage im Leben der Kinder ganz besonders. Und es ist so einfach! Babys brauchen vor allem Körperkontakt und jemanden, der sie immer tröstet, der sie nie – auch nicht nachts – alleine lässt. Kleinkinder brauchen Raum, die Welt zu erforschen und Menschen, die sie auf Augenhöhe und mit liebevoller Ruhe durch die Autonomiephase begleiten.
Und Schulkinder? Wie wäre es mit Eltern, die sagen: „Klar, geh’ zu den Fridays for Future-Demos, wir stehen hinter dir!“ Tun wir einfach so, als würde alles, was wir tun, einen Unterschied machen – denn es macht einen Unterschied. Tag für Tag, Baby für Baby, Familie für Familie.
… Bilke Hausam, angehende Waldorflehrerin
Bild: privat
Den Kindern vertrauen
Eigentlich ist es ganz einfach: Kinder brauchen Vertrauen. Kinder können stark werden, wenn sie in einer vertrauensvollen Umgebung aufwachsen. In der Waldorfpädagogik gilt für die ersten sieben Lebensjahre: „Die Welt ist gut.“ Ein gewohnter Tagesablauf, feste Rituale und verlässliche Strukturen helfen Kindern, sich ihr angeborenes bedingungsloses Vertrauen in die Welt zu bewahren. Und weil sie in diesen frühen Lebensjahren alles durch Nachahmung lernen, sind wir als Eltern ihre Vorbilder, von denen sie sich nicht nur abschauen, wie bestimmte Tätigkeiten ausgeführt werden, sondern – und hier ist es vielleicht schon nicht mehr so leicht, wie es anfangs klingt – deren innere Haltung sie spüren und, so habe ich es oft empfunden, auch annehmen. Unsere Kinder brauchen also unser Vertrauen, dass sie alle Fähigkeiten haben, ihren eigenen Weg zu gehen.
Noch mehr: Stark können sie werden, wenn wir als Eltern Vertrauen in uns selber haben und beständig daran arbeiten uns weiterzuentwickeln – wenn wir also selber versuchen, stärker zu werden.
… Dr. Herbert Renz-Polster, Kinderarzt und Autor
Bild: ©Kösel-Verlag
Wache Augen
Die menschliche Entwicklung – allen Respekt! Menschen verändern ja fortlaufend die Welt, und für die Kinder bedeutet das: Sie müssen sich auf eine Zukunft vorbereiten, die nicht einmal ihre Eltern kennen. Wer weiß, was die Kinder in 20, 30 Jahren erwartet?
Für dieses Unschärfeproblem sind Kinder gewappnet, wenn sie in einem tiefen Sinn gebildet sind: wenn sie Rückgrat haben, Selbstbewusstsein und Mut. Wenn sie sich in andere hineinversetzen können. Wache Augen – ja, das ist das Bild, das mir da in den Sinn kommt.
Wie sich das bildet? Der Weg ist beschrieben, und doch nicht einfach. Deshalb will ich ihn als Fragen des Kindes formulieren. Als Fragen, die wir mit ihm im alltäglichen Miteinander verhandeln, ob in der Familie oder in den Einrichtungen: Bin ich okay? Schützen die Großen mich, wenn ich in Not bin? Oder lassen sie mich allein? Kann ich mit gestalten oder muss ich immer tun, was andere mir vorgeben? Bin ich der Welt gewachsen, oder bin ich beständig überfordert und gestresst? An den Antworten, die Kinder auf diese Fragen bekommen, baut sich ihr Rückgrat auf. An ihnen entwickeln sie ihren Sinn für die anderen. An ihnen öffnen sich ihre Augen.
... Malou, dreizehnjährige Schülerin
Bei mir bleiben
Meine Mutter hat mir beigebracht, das zu sagen, was ich fühle und das zu machen, was ich möchte, und nicht das, was andere von mir verlangen. Sie ist Schauspielerin, und ich durfte von klein auf immer mit ihr ans Set fahren. Ich fand es immer sehr spannend, Leute zu beobachten und habe dort viel gelernt. Ein Regisseur zum Beispiel muss im Moment entscheiden, was er für richtig hält, und es dann dementsprechend umsetzen. Sonst wäre am Set ein riesiges Durcheinander, und der Film würde wohl niemals fertig werden.
Und dann gibt es da noch meinen Bruder: Er ist Klavierkomponist. Durch ihn habe ich auch viel gelernt, weil er sich traut, Sachen auszuprobieren. Und wenn es mal nicht klappt, dann versucht er es eben noch mal. Das ist für mich Stärke. Ich mache viel Sport, und wenn ich beim Turnen einen Handstandüberschlag schaffe, macht mich das glücklich – körperlich und seelisch. Dadurch fühle ich mich groß und stark.
… Tanja Meurer, Leiterin eines Waldkindergartens
Bild: privat
Natürliche „Frei-Räume“
Kinder sind zarte und starke Wesen zugleich. Ihr Blick richtet sich aufs Hier und Jetzt. Sie spüren, was gute und schlechte Gefühle verursacht. Aber was braucht ein Kind eigentlich? Mein Berufsalltag zeigt mir immer wieder: Es sind die einfachen Dinge.
Es braucht Zeit, um mit allen Sinnen das Leben zu spüren. Fühlen, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken. Und Frei-Räume. Die Natur bietet diesen Frei-Raum. Hier werden die Sinne vielfältig eingesetzt. Wie riecht die Erde? Wie fühlt sich Lehm auf der Haut an? Wie hört sich der Mistkäfer an, wenn er über den Boden krabbelt? Die Kinder setzen sich mit elementaren Dingen auseinander.
Der Regen schenkt Pflanzen und Tieren Wasser. Das Feuer wärmt. Der Wind bewegt die Samen und verbreitet Leben. Die Kinder gestalten ihre Zeit mit dem, was da ist. Sie erleben Wiederkehrendes und Zusammenhänge. Was kann schöner sein, als diese Erfahrungen zu machen?