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Sex nach der Geburt: Sexualmediziner Dr. Signerski-Krieger erklärt, wie ihr eure Lust wiederfindet

Sex muss spontan sein, nur dann ist er gut – das ist einer der hartnäckigsten Mythen über Sexualität. Doch wenn ein Kind da ist, kann von Spontaneität nicht mehr die Rede sein. Wie es dennoch klappt mit dem Sex, darüber sprach kidsgo mit Sexualmediziner Dr. med. Jörg Signerski-Krieger der Uniklinik Göttingen.

In diesem Artikel:

Sexflaute nach der Geburt ist völlig normal

kidsgo: Welche Veränderungen in der Sexualität machen Paare in und nach der Schwangerschaft durch?

Dr. med.  Signerski-Krieger: In die Ambulanz für Sexualtherapie kommen Paare in der Regel erst lange nach der Geburt. Einige hatten über mehrere Jahre, ein Paar sogar acht Jahre lang, keinen Sexualkontakt mehr.

Wie lange dauert eine solche Phase durchschnittlich?

Dr. med.  Signerski-Krieger: Dass ein Paar nach der Geburt ein halbes Jahr oder ein Jahr lang keine oder kaum sexuelle Kontakte hat, halte ich für normal. Wenn es länger dauert, kann mehr dahinter stecken als die Gewöhnung an die neue Lebenssituation.

Unser Experte

Bild: Fotografin: Kerstin Barth

Dr. med Jörg Signerski-Krieger (Jg. 1974) ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Als  Sexualmediziner und  Sexualtherapeut leitete er die Ambulanz für Sexualtherapie an der UMG. Er ist Supervisor und Dozent der DGfS (Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung)

Nur noch Vater- und Mutterrolle? 

Was sind die wesentlichen Ursachen?

Dr. med.  Signerski-Krieger: Mit einem Kind ändert sich die gesamte Lebenssituation, aus dem Paar wird ein Dreiergespann, das Kind steht im Mittelpunkt. Damit ändern sich auch die Rollen von Mann und Frau. Paare, die lange keinen Sexualkontakt mehr hatten, leben oft nicht mehr das Rollenbild „Mann – Frau“ sondern nur noch das Rollenbild „Mutter – Vater“. Sie sind voll darin aufgegangen, beruflich voranzukommen und die Kinder zu versorgen. Aber sie nehmen sich selbst nicht mehr als Paar wahr.

Was wirkt neben der Rollenveränderung noch negativ auf die Sexualität?

Dr. med.  Signerski-Krieger: Es gibt immer noch viele Mythen über Sexualität, die wirksam werden, wenn sich das Paar in einer Krise befindet – und Schwangerschaft, Geburt und Etablierung der neuen Familie ist eine Krise, die viel Kraft erfordert. Viele Paare haben schon während der Hochphase der Schwangerschaft keinen Sex mehr. Da gibt es den Mythos, der Geschlechtsverkehr würde dem Kind schaden. Was so natürlich völliger Quatsch ist. Oder dass man im Wochenbett keinen Sex haben soll. Was, wenn die Frau will und ein Kondom benutzt wird, aber kein Problem ist.

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Was können die Paare tun, um wieder zu einer befriedigenden Sexualität zu gelangen?

Dr. med.  Signerski-Krieger: Es geht darum, wieder zu einer Routine der Zweisamkeit und der Sexualität zu kommen. Wenn das Paar lange keinen Sex hatte, haben sie vielleicht ein großes Bedürfnis danach, aber der Akt selbst ist irgendwie verkrampft. Ein Irrglaube, der das begünstigt, ist: Sexualität muss spontan sein. Für alle anderen schönen Dinge im Alltag gilt das aber nicht. Wenn ich Bayern – Dortmund im Stadion sehen möchte, kaufe ich Monate vorher die Karten, organisiere die Fahrt, freue mich schon lange vorher darauf. Das ist ganz sicher keine spontane Aktion. Oder wenn ich ein gutes Essen kochen will, dann plane ich das vom Einkauf bis zur Zeit, in der ich das Gemüse schneide und wann der Herd angestellt wird. Zu allen Freizeitaktivitäten gehört Planung. Das stört auch nicht, das Essen schmeckt trotzdem und das Fußballspiel ist trotzdem super spannend. Nur der Sex soll spontan sein. Davon muss man sich lösen und die Zweisamkeit planen. Das heißt nicht „wir planen Sex“, sondern „wir planen etwas miteinander“. Daraus kann sich Sex ergeben, muss aber nicht.

 

Babys Pause für Zweisamkeit nutzen

Das war in der ersten Zeit der Verliebtheit ja auch so ...

Dr. med.  Signerski-Krieger: Genau. Die ersten Dates sind alle geplant. Und laufen trotzdem komplett unverkrampft. In der schwierigen Situation, dass ich ein Baby habe, das alle drei oder vier Stunden schreit – da soll ich dann ganz spontan sein? Das geht nicht.

Was kann man tun, wenn das Kind die Zweisamkeit stört?

Dr. med.  Signerski-Krieger: Man kann das Baby nicht abstellen. Also muss man sich klar machen, dass es stören wird. Das hängt natürlich vom Alter des Kindes ab. Aber als Elternteil weiß ich ja, wann das Kind schläft, wann es Mittagspause macht. Diese Zeit kann ich für Zweisamkeit nutzen. Auch dem Paar tut ja ein gemeinsamer Mittagsschlaf am Wochenende mal ganz gut. Das Kind ist in der ersten Zeit der Taktgeber. Darauf kann und muss man sich einstellen, damit man als Paar nicht auf der Strecke bleibt.

Bedürfnis nach Sex aussprechen

Was mache ich mit meiner Lust, wenn sie so lange Zeit nicht befriedigt wird?

Dr. med.  Signerski-Krieger: Lust – das sind Bedürfnisse und Wünsche. Die muss ich erst einmal wahrnehmen. Das ist schon viel, wenn man als junge Eltern unter ständigem Schlafmangel leidet, als Vater in Vollzeit arbeitet und seinen Beitrag zur Versorgung des Kindes leisten will. Das nächste ist, den Wunsch anzumelden. Man muss also miteinander reden. Nicht vorwurfsvoll oder ärgerlich, sondern als Darstellung eines Bedürfnisses. Denn ein Wunsch ist ein Wunsch, es gibt keinen Anspruch auf Befriedigung, schon gar nicht zu einer bestimmten Zeit.

Es gibt sicher auch Ängste, Wünsche anzumelden?

Dr. med.  Signerski-Krieger: Selbstverständlich. Man muss den richtigen Zeitpunkt erwischen – und der ist sicher nicht, wenn gerade das Gläschen mit dem Brei aufgewärmt wird. Aber das ist ja nichts Neues, auch die ersten Dates wurden ja vorbereitet. Man hat sich gefragt, wie zeige ich ihr, dass ich sie toll finde, sie scharf finde, mit ihr ins Bett will? Aber Patentrezepte gibt es nicht. Es gibt immer das Risiko der Ablehnung.

Ein Nein ist keine Ablehnung deiner Person!

Die beim Thema Sexualität sehr tief treffen kann.

Dr. med.  Signerski-Krieger: Ja. Denn Sexualität und Persönlichkeit sind eng miteinander verbunden. Deshalb sind Vertrautheit und Vertrauen so wichtig: dass ich weiß, wenn mein Wunsch abgelehnt wird, werde ich nicht als Person abgelehnt. Je öfter ich Vertrautheit und Zuwendung spüre, desto stärker fühle ich mich als Person wertgeschätzt. Und umso leichter fällt es mir, Wünsche anzumelden. Deshalb ist es so wichtig, Zeit zu zweit von Anfang an einzuplanen.

Herr Signerski-Krieger, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!