Kinder müssen Kommunikation erst lernen
Krach macht Spaß! Das weiß niemand so gut wie Vierjährige: Mit Rumms wird die Kiste mit den Lego-Duplos auf den Wohnzimmerboden geleert. Dann werden mit viel Radau die Holzbausteine dazugekippt. Und mittendrin kann man bunte Flummis zum wilden Herumhüpfen bringen – bis im nächsten Moment die Lust aufs Malen da ist. Oder aufs Puzzeln. Jedenfalls nicht aufs Aufräumen …
„Am Ende räume fast immer ich den Kram weg und habe dann schlechte Laune“, seufzt Mama Mareike. Natürlich bittet sie vorher ihren Sohn Ben, Ordnung zu schaffen. Dann erklärt sie ihm, dass das Chaos nervt. Und man nicht zum Sofa kommt, ohne in einen Spielstein reinzutreten, und das tut ganz schön weh. Und dass man seine Sachen einfach beim nächsten Mal schneller wiederfindet, wenn sie ihren festen Platz haben.
Manchmal, gibt Mareike zu, schimpft sie auch. Weil Ben in ihren Augen doch groß genug sei zum Aufräumen. Weil sie müde von der Arbeit ist oder andere Dinge zu erledigen hat. Manchmal ist sie streng, droht mit Fernsehverbot. Manchmal fragt sie ganz lieb, redet sich den Mund fusselig und bittet ihren Sohn um Unterstützung. Doch keine Strategie führt langfristig zum Erfolg. „Ist das denn so schwer zu verstehen? Ich frage mich öfter, ob ich Chinesisch spreche“, hadert die 41-Jährige mit der Situation. Damit liegt sie gar nicht so falsch …
Denn Kinder sind nun mal keine kleinen Erwachsenen, sie müssen die verbale Interaktion erst lernen. Mit den typisch erwachsenen Kommunikationsgepflogenheiten sind die Zwerge schlicht überfordert. „Häufig verwenden Erwachsene komplizierte Sätze und Erklärungen. Diese verwirren jedoch das Kind“, erklärt die Wiesbadener Familientherapeutin Sylvia Legenbauer.
3 wichtige Regeln
Verbinden – beschreiben – erklären
Sylvia Legenbauer erläutert die drei wichtigsten Regeln für eine gelungene Eltern-Kind-Kommunikation.
- Erwachsene sollten zunächst mit dem Kind über Mimik und Gestik Kontakt herstellen. Gerade bei aktiven Kindern sollten Eltern sich vergewissern, dass das Kind auch merkt, dass man mit ihm spricht. Hilfreich ist es, mit dem Kind auf Augenhöhe zu gehen, Blickkontakt aufzunehmen und es sanft bei den Händen zu nehmen oder an den Schultern zu berühren.
- Zielführend ist es, wenn Eltern viel beschreiben. Sie sollten ihrem Kind nicht nur erzählen, wie es ihnen selbst geht, sondern auch das beschreiben, was sie beim Kind selbst wahrnehmen. So lernt das Kind, sich auch selbst besser zu verstehen.
Die Art, wie Eltern sprechen, sollte dem Alter angemessen sein. Für eine gelungene Kommunikation ist es nicht nur wichtig, dass das Kind versteht, was die Eltern wollen, sondern auch das elterliche Verständnis dafür, was das Kind möchte und welches Bedürfnis hinter seinem Verhalten steht. - Wenn das Kind etwas lernen soll, dann braucht es auch eine Erklärung, was nicht gut lief und eine klare Ansage, was das nächste Mal besser sein sollte. Es geht nicht darum, stundenlang auf das Kind einzureden, manchmal braucht es auch einfach mal eine klare Konsequenz. Das heißt: Der Fernseher wird ausgeschaltet, wenn die Zeit um ist. Aber jede Handlung braucht mindestens eine Erklärung.
In der Folge wissen die Kinder oft nicht genau, was von ihnen erwartet wird und reagieren auf das Gesagte nicht, um nichts falsch zu machen. Das zeigt: Es steckt keine böse Absicht dahinter, sondern ein Verständnisproblem.
Kommunikation mit Kindern: Lautwerden ist keine Lösung
Auf die Großen wirkt dies, als ob das Kind nicht hören will, weshalb viele Erwachsene dazu neigen, lauter zu werden. Das ist zwar gerade in Stresssituationen verständlich, aber kontraproduktiv: „Anschreien und Schimpfen bewirken, dass sich das Kind zurückzieht. Ruhig und bestimmt zu bleiben erhöht die Sicherheit, dass beim Kind auch das ankommt, was man mitteilen will“, betont die Expertin. Eltern dürfen ihre eigenen Gefühle – zum Beispiel, wenn etwas sie traurig macht – durchaus ansprechen, jedoch ohne manipulativen Druck auszuüben.
Kommunikation in der Familie ist aber nie eine Einbahnstraße: Für ein liebevolles Miteinander sollte auch das Kind mit seinen Wünschen und Problemen ernst genommen werden. „Erwachsene sollten dem Kind bewusst zuhören, um das Gesagte und die Bedürfnisse zu verstehen“, rät Sylvia Legenbauer.
Sie empfiehlt, für Kinder verbale Situationen generell stets überschaubar zu halten. So überfordern beispielsweise auch Fragestellungen mit mehreren Handlungsoptionen insbesondere kleine Kinder leicht, betont die Fachfrau. „Die Folge ist, dass sie sich nicht entscheiden können, ihre Meinung ständig ändern. Besser ist es deshalb, das Angebot auf zwei Möglichkeiten zu reduzieren.“ Völlig außer Zweifel steht freilich, wie wichtig es ist, sich möglichst viel mit dem Nachwuchs auszutauschen. „Nicht mit dem Kind zu kommunizieren, ist vielleicht der größte Fehler, den Eltern machen können. Medien sind kein Ersatz für das elterliche Sprechen mit dem Kind. Ein Kind lernt Sprache nicht durch den Konsum von Fernseher oder Handy-Videos, sondern durch aktive Einbindung in zwischenmenschliche Kommunikation.“
Unsere Expertin
Sylvia Legenbauer (52) arbeitet als Familien- und Paartherapeutin in Wiesbaden und ist selbst Mutter zweier Söhne (sylvia-legenbauer.de).
Experten-Interview
„Erstmal eine Verbindung herstellen“
kidsgo: Wie schaffe ich es, dass mein Kind wirklich zuhört?
Sylvia Legenbauer: Indem Eltern eine Verbindung herstellen. Selten führt es zum Erfolg, dem Kind aus dem Nebenraum etwas zuzurufen. Gehen Sie mit ihm auf Augenhöhe, stellen Sie Blickkontakt her und sprechen Sie mit ihm von Angesicht zu Angesicht. Je jünger das Kind ist, desto einfacher und konkreter sollten Sie sich ausdrücken. Lassen Sie das Kind das Gesprochene wiederholen. So können Sie sicherstellen, dass das Kind Sie richtig verstanden hat.
Warum sollte man auf Schimpfen und Vorwürfe verzichten?
Kinder wissen oft nicht gleich, was sie statt des Fehlverhaltens tun könnten und brauchen eine klare Anweisung und Erinnerung an vorher besprochene Regeln. Wenn sie dann „normal“ weiterspielen, sollten Eltern das loben. So unterstützen sie das Verhalten, das sie sich wünschen – und nicht das Fehlverhalten. Wer nur schimpft, belohnt – ohne es zu wollen – unangemessenes Benehmen mit Aufmerksamkeit. Sinnvoll ist, das Kind aus der Situation zu holen und eine kurze logische Konsequenz auszusprechen. Anschließend muss das Kind aber auch wieder eine Chance haben, sich zu bewähren.
Wie wichtig ist nonverbale Kommunikation für Kinder?
Zentral ist nicht nur, was wir sagen, sondern viel mehr wie wir es sagen. Kinder nehmen bereits sehr viel über die Körpersprache oder die Stimmung wahr.
Die Giraffensprache
Wie eine gewaltfreie Kommunikation – auch Giraffensprache genannt – gelingt, erfährst du auf kidsgo.de/gfk.
Durch den verbalen und nonverbalen Dialog entschlüsselt das Kind wichtige Signale über die Situation und überprüft sie auf ihre Stimmigkeit. Für das Kind enthalten Stimmhöhe, Sprechtempo, Körperhaltung und Blick des Erwachsenen wesentliche Informationen. Erst allmählich – und vollständig dann ab dem fünften Lebensjahr – wird dem Kind die tatsächliche Bedeutung der Worte klar.
Und wie können Eltern mit ihren Babys kommunizieren?
Soll die Eigenaktivität und Selbstwirksamkeit des Kindes unterstützt werden, braucht es eine positive Rückmeldung auf seine Gefühle und sein Dasein. Aufgrund seiner Hilflosigkeit und Bedürftigkeit braucht das Baby Zuwendung und Körperkontakt. Deshalb ist es wichtig, beim Stillen, Füttern und bei sonstigen Pflegehandlungen immer ganz bei der Sache zu sein – zugewandt mit Blickkontakt, sicheren und zärtlichen Berührungen. Spiegelt das Gegenüber dem Baby: „Ich sehe, du bist traurig, ängstlich, ärgerlich oder auch freudig“, fühlt es sich in seinem Empfinden wahrgenommen.
Auch die Sprachentwicklung muss trainiert werden. Über das Hören von Sprache wird automatisch der Teil mitgeformt, der später für aktive Sprache zuständig ist. Dass ein Kind Sprache wahrnimmt, ist Grundvoraussetzung dafür, dass es richtig sprechen lernt. Neben dem Informationsaustausch geht es dabei natürlich auch um die soziale Interaktion.
Frau Legenbauer, vielen Dank für das Gespräch.
Buchtipp
Mama, nicht schreien!
Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Gefühlen.
Mit zahlreichen Übungen und Notfallhilfe
„Jetzt reicht’s mir aber!“ Kaum jemand macht Eltern so wütend wie die eigenen Kinder. Denn häufig bestimmen übermäßige Angst, Kränkbarkeit und andere Stressreaktionen den Familienalltag. Diese Emotionen führen schnell dazu, dass Eltern ganz anders reagieren, als sie es sich eigentlich wünschen.
Dieses Buch mit seinen vielen Reflexionsimpulsen hilft Eltern zu unterscheiden, wann sie erwachsen denken und wann sie mit ihrem Verhalten in automatische Muster fallen. So wird es möglich, den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, mit ihnen in Beziehung zu treten und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die für alle Beteiligten in Ordnung sind.
Jeannine Mik, Sandra Teml-Jetter, Mama, nicht schreien!, Kösel Verlag 2019, 5. Aufl., ISBN 978-3-466-31113-2, 16,00 Euro