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Null Promille, null Risiko: Alkohol ist in der Schwangerschaft tabu

Mit der Schwangerschaft beginnt die Zeit des Verzichts auf Alkohol und Nikotin – dem Baby zuliebe. Vor allem Trinkexzesse in den ersten Schwangerschaftswochen können zu einem Fetalen Alkoholsyndrom mit schlimmen Folgen für das Ungeborene führen. Deshalb solltest du erste Anzeichen einer Schwangerschaft ernstnehmen und überprüfen, ob du wirklich schwanger bist.

In diesem Artikel:

Fetales Alkoholsyndrom

Sandra ist acht Jahre alt. Ein hübsches Mädchen mit blonden schulterlangen Haaren. Wer es nicht weiß, merkt nicht auf Anhieb, dass mit Sandra etwas nicht stimmt. Sandra braucht jeden Morgen sehr lange, um sich anzuziehen. Manchmal hält sie ihre Zahnbürste in der Hand und weiß nicht, was sie damit anfangen soll. Jeden Tag, bevor der Bus zur Förderschule kommt, frühstückt Sandra Cornflakes. Doch an einem Tag war das Paket leer, Sandra bekam einen Tobsuchtsanfall.
Jede Veränderung verwirrt sie, macht sie traurig oder aggressiv. Sich auf eine Sache zu konzentrieren, fällt der Achtjährigen besonders schwer. Schon beim Addieren einfacher Zahlen hat sie Probleme.

Alarmierende Zahlen

  • Etwa 30 % aller Frauen konsumieren während der Schwangerschaft Alkohol.
  • Fälschlicherweise halten 18 % der Bundesbürger ein Gläschen Alkohol hin und wieder in der Schwangerschaft für vertretbar.
  • Bei etwa 4.000 Kindern in Deutschland wird pro Jahr die Diagnose Fetales Alkoholsyndrom gestellt.
  • 15.000 bis 20.000 Kinder kommen aufgrund von Alkohol laut Schätzungen zwar ohne körperliche Fehlbildung, dafür aber mit geistigen Defiziten und Verhaltensstörungen zur Welt.

Sandra leidet am Fetalen Alkoholsyndrom, kurz FAS. Ihre leibliche Mutter hat während der Schwangerschaft Alkohol getrunken, und das nicht nur einmal. Ihr Baby trank regelmäßig mit. Sandras Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen sind die Folgen des durch Alkohol geschädigten zentralen Nervensystems.
Seit sieben Jahren lebt das Mädchen bei seinen Pflegeeltern, jeder Tag stellt für sie und ihre Familie eine große Herausforderung dar. FAS-Kinder wie Sandra kämpfen ein Leben lang mit vielen besonders schweren Problemen.

Mit Babybauch gibt es keine tolerable Grenze für Alkohol

„Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren“ lautet hierzulande ein gängiges Sprichwort. Trotz des gesundheitlichen Risikos für das ungeborene Kind hält knapp ein Fünftel der Deutschen ein „gelegentliches Gläschen Bier oder Sekt“ während der Schwangerschaft für vertretbar. So lautet das Ergebnis einer Umfrage, die vom Meinungsforschungsinstitut INSA im Auftrag des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV) im vergangenen Jahr durchgeführt wurde. Gleichzeitig zeigt die Umfrage aber auch einen positiven Trend: Die Akzeptanz von Alkohol in der Schwangerschaft ist bei Jüngeren deutlich geringer als bei älteren Menschen. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen tolerieren nur 4 % der Befragten kleine Mengen Alkohol. Ob am Geburtstag, bei der Jubiläums- oder Hochzeitsfeier: Beim Feiern mit Babybauch heißt es, der Versuchung, und oft auch der Verführung, zu widerstehen – aus Verantwortung und aus Liebe zum Baby. Auch mit alkoholfreien Getränken lässt sich anstoßen und so den Event ohne schlechtes Gewissen genießen.

Für Volker Leienbach gibt es da keinen Spielraum für Diskussionen. „In der Schwangerschaft gilt ohne Wenn und Aber – null Komma null Alkohol", lautet das klare Statement des PKV-Verbandsdirektors zu den Ergebnissen. Aus seiner Sicht können schon kleine Mengen Alkohol das Kind im Mutterleib schädigen und seine Gesundheit stark gefährden – bis hin zu körperlichen und geistigen Behinderungen. Gerade in der Frühschwangerschaft steigt das Risiko einer Fehlgeburt.

Erfreulich sei, dass insbesondere junge Leute den Alkoholkonsum kritisch sehen: „Wir werden die Aufklärungskampagne gegen Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen deshalb weiterhin unterstützen.“

IRIS – Hilfe aus dem Internet

IRIS ist ein 12-wöchiges Online-Programm speziell für Frauen zur Unterstützung beim Alkohol- oder Tabakverzicht in der Schwangerschaft.

www.iris-plattform.de

  • Die Teilnahme ist anonym und kostenlos.
  • Die Plattform ist unabhängig von Tageszeit und Ort nutzbar.
  • Sie bietet wöchentlich neue Hintergrundinformationen – nicht nur zum Thema Rauchen oder Alkohol, sondern auch zu Entspannung, Ernährung und wohltuenden Aktivitäten.
  • Mit Hilfe der interaktiven Online-Übungen kann man sich aktiv mit individuellen Bedürfnissen und Lösungsstrategien auseinanderzusetzen.
  • Ein persönlicher Bereich dient dazu, Fortschritte zu verfolgen.

Ein Vollrausch hat fatale Folgen

Experten schätzen, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 4.000 Kinder mit einem Fetalen Alkoholsyndrom zur Welt kommen. Die Zahl der Kinder, die ohne körperliche Fehlbildung, dafür aber mit geistigen Defiziten und Verhaltensstörungen zur Welt kommen, wird sogar auf 15.000 bis 20.000 geschätzt.

Oft wird die Krankheit nicht erkannt

„So viele Kinder mit FAS werden überhaupt nicht diagnostiziert", sagte auch Mirjam Landgraf gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Die Kinderärztin und Psychologin leitet im Haunerschen Kinderspital München eine Spezialambulanz für Kinder, die in der Schwangerschaft Giftstoffen ausgesetzt waren. Ungefähr 30 % aller Frauen, sagt sie, würden während der Schwangerschaft Alkohol konsumieren, „manche nur ein bisschen, andere bis zum Vollrausch." Gerade Trinkexzesse schädigen das Ungeborene besonders stark; die großen Alkoholmengen gelangen ungehindert über die Plazenta zum Kind. Da seine Leber noch nicht vollständig entwickelt ist, bleibt der zellschädigende Alkohol länger in seinem Körper und richtet irreparable Schäden an.

Hilfe und Infos

Hier findest du weitere Informationen und Hilfe

Beratungsstelle für fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD). Website mit Basisinformationen über eine der häufigsten angeborenen Behinderungen.

www.fasd-beratung.de

Verantwortung von Anfang an! Hier findest du wertvolle Tipps zum Verzicht auf alkoholhaltige Getränke während Schwangerschaft und Stillzeit.

www.verantwortung-von-anfang-an.de

Alkohol – Kenn dein Limit! Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:

www.kenn-dein-limit.de

Alkohol trotz unbemerkter Schwangerschaft: Und jetzt?

Auch der ehemalige Leiter einer Kinderklinik, Kinderarzt Dr. Rainer Uhlig aus Lippstadt, ist für ein striktes Alkoholverbot in der Schwangerschaft. Doch was, wenn die Mutter Alkohol getrunken hat, als sie noch gar nicht wusste, dass sie schwanger ist? „Hier möchte ich auf jeden Fall vor Panik warnen. Wenn beispielsweise eine im zweiten Monat schwangere Frau in der Silvesternacht ein Glas Sekt getrunken hat, liegt die Gefahr bei nahezu ,Null’“, sagt der erfahrene Pädiater. Würde sich die werdende Mutter nun mit Angst und Sorge belasten, wäre das aus seiner Sicht eher ungünstig für den Verlauf der bestehenden Schwangerschaft. Und wenn das gesunde Kind später mal nicht so gut in der Schule sei, hätte das mit Sicherheit auch andere Ursachen.

„Alle Kenntnisse zu schwachen Schädigungssymptomen und gravierenden Folgen wurden bei alkoholkranken Frauen verschiedener Schweregrade gewonnen. Es ging nicht um Mütter, die bei noch nicht bekannter, aber schon bestehender Schwangerschaft mal ein bisschen Alkohol zu sich genommen haben.“

Das soll beruhigen, aber keinesfalls ein Freibrief für das berühmte „Gläschen in Ehren“ sein. Grundsätzlich sollten Frauen Alkohol in der Schwangerschaft meiden. „Niemand weiß letztlich genau, bei welch niedrigen Alkoholmengen auch nur geringe Schäden beim Ungeborenen zu befürchten sind.“

Experte

Experten-Interview Alkohol und SchwangerschaftWarum Alkohol in der Schwangerschaft tabu sein sollte, erklärt uns Kinderarzt Dr. Rainer Uhlig aus Lippstadt

Experteninterview: Schwanger - Ohne Wenn und Aber auf Alkohol verzichten

kidsgo: Welches sind die auffälligsten äußeren Anzeichen für das Fetale Alkoholsyndrom (FAS)?

Die Symptome sind variabel. Auffällig sind der Minderwuchs und ein kleiner Kopf bereits bei Geburt. Weitere Merkmale sind schmale Lippen und ein hoher Abstand von der Oberlippe zur Nase. Hinzu kommen ausgeprägte Handtellerfurchen. Dabei dürfen diese Merkmale aber nicht für sich allein, sondern nur in Zusammenhang mit weiteren Auffälligkeiten betrachtet werden. Die Kinder bleiben auch später deutlich im Wachstum zurück. Es besteht eine Behinderung in der motorischen und geistigen Entwicklung mit verminderter Intelligenz, Verhaltensstörungen und häufig auch ADHS, dem sogenannten Aufmerksamkeits-, Defizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom.

Sollten Frauen Alkohol in der Schwangerschaft grundsätzlich meiden?

Ohne Wenn und Aber ja. Wenn die Schwangere aber Alkohol konsumiert hat, ohne zu wissen, dass sie ein Kind erwartet, sollte sie sich nicht verrückt machen. Die Angst würde Mutter und Kind vermutlich mehr schaden, als der tatsächliche Alkoholkonsum. Wer ein Kind plant, sollte allerdings schon in dieser Phase komplett auf Alkohol und auch Nikotin verzichten.

Was ist mit Alkohol in der Stillzeit?

Das ist nicht zu empfehlen. Zwar erreicht der von der Mutter konsumierte Alkohol das Kind nur in verringerter Menge, aber die Leber des Säuglings ist noch nicht voll ausgereift. Der Alkohol wird nur sehr langsam abgebaut und kann den kleinen Organismus schädigen. Untersuchungen belegen, dass Alkohol in der Muttermilch auch das Schlafverhalten der Babys negativ beeinflusst. Bei der Mutter kann sich die Milchbildung verringern.

Herr Dr. Uhlig, vielen Dank für das Gespräch!