Übelkeit in Schwangerschaft – Wie häufig tritt sie auf?
Von Übelkeit in der Schwangerschaft sind sehr viele Frauen betroffen: „Zwischen 50 und 80 Prozent aller Schwangeren leiden darunter,“ sagt Bettina Kuschel. Sie leitet die Sektion Geburtshilfe am Universitätsklinikum der technischen Universität München (TUM). Da die Übelkeit verstärkt am Morgen auftreten kann, spricht man oft auch von „Morgenübelkeit in der Schwangerschaft“. Dass Schwangerschaftsübelkeit abends auftritt, ist ebenfalls möglich. Viele Frauen leiden sogar unter ganztägiger Übelkeit in der Schwangerschaft mit oder ohne Erbrechen. In den meisten Fällen macht sich die Übelkeit nur zu Beginn der Schwangerschaft bemerkbar, etwa ab der fünften oder sechsten und bis zur 14ten oder 15ten Schwangerschaftswoche. Manchmal kann sie aber auch länger anhalten: Bei einigen Schwangerschaften treten bis zum Ende ganztägig Übelkeit und Erbrechen auf.
Grundsätzlich kann jede werdende Mutter eine milde oder stärkere Form von plötzlicher Übelkeit entwickeln. Das Risiko ist höher, wenn bereits in einer vorherigen Schwangerschaft Übelkeit auftrat. Zwischen 0,3 und 2 Prozent aller Schwangeren leiden laut Kuschel unter einer extrem schweren Form von Schwangerschaftserbrechen, die man Hyperemesis gravidarum nennt. Diese Frauen müssen sich oft mehr als fünfmal täglich übergeben.
Warum entstehen Schwangerschaftsübelkeit bzw. Morgenübelkeit? Ursachen, die bekannt sind.
Die Ursache für Schwangerschaftsübelkeit ist nicht abschließend geklärt. Wenn sich diese vor allem als Morgenübelkeit äußert, kann die Ursache womöglich der niedrige Blutzuckerspiegel nach dem Aufwachen sein. Es gab lange Zeit auch die Vermutung, die Beschwerden könnten mit dem Schwangerschaftshormon hCG (humanes Choriongonadotropin) zusammenhängen, das von der Plazenta gebildet wird. HCG selbst löst keine Übelkeit aus, stimuliert jedoch die Schilddrüse, was Übelkeit begünstigen könnte. „Das hCG allein kann die Schwangerschaftsübelkeit aber nicht erklären”, sagt Filiz Markfeld-Erol, Oberärztin für Frauenheilkunde im Universitätsklinikum Freiburg. Sie glaubt, dass die Gründe für die Übelkeit multifaktoriell sind, es also nicht eine, sondern mehrere Ursachen gibt: „Es gibt während der Schwangerschaft so viele Umstellungen im Körper und durch Hormone bedingte Veränderungen. Zudem stammt die Hälfte der genetischen Ausstattung des Embryos nicht von der Mutter.“ Einen gewissen Einfluss könne unter anderem das Hormon Progesteron haben. Es hemmt die Darmbewegungen, wodurch sich die Verdauung verlangsamt. Und hält die Übelkeit besonders lange an, hänge dies vielleicht auch mit dem seelischen Zustand zusammen, sagt Markfeld-Erol: „Wenn die Übelkeit nach dem ersten Trimenon fortbesteht, gibt es oft auch eine psychologische und psychosomatische Komponente.”
Zur schwersten Form der Schwangerschaftsübelkeit, der Hyperemesis gravidarum, gibt es zudem ein ganz neues Erklärungsmodell (s.u.).
Schwere Schwangerschaftsübelkeit könnte genetisch bedingt sein
Ein Team von Forschenden um die kalifornische Wissenschaftlerin Marlena Fejzo geht bei schwerer Schwangerschaftsübelkeit von genetischen Ursachen aus. Es hatte in einer Studie festgestellt, dass im Blut von Frauen mit Hyperemesis gravidarum der Spiegel der zwei Proteine GDF-15 und IGFBP-7 erhöht war. In der Schwangerschaftswoche zwölf war dieser deutlich höher als bei einer Vergleichsgruppe von Frauen mit normaler oder ohne Schwangerschaftsübelkeit. In der 24ten Schwangerschaftswoche hatten sich die Werte von GDF-15 und IGFBP-7 dann wieder normalisiert – und die Symptome der Hyperemesis waren ebenfalls zurückgegangen. In anderen Studien war zuvor bereits beobachtet worden, dass GDF-15 und IGFBP-7, die man auch als „Wachstumsfaktoren“ bezeichnet, den Appetit beeinflussen und Übelkeit auslösen können. Frauen, die genetisch bedingt mehr von diesen Proteinen produzieren, könnten demnach anfälliger für starke Schwangerschaftsübelkeit sein.
Welche Rolle spielt die Psyche bei Übelkeit in der Schwangerschaft?
Viele Frauenärzte und Frauenärztinnen vermuten, dass Schwangerschaftsübelkeit nicht nur organische Ursachen hat. „Es gibt auch einen psychologischen Anteil”, sagt Mandy Mangler, die Gynäkologie-Professorin ist an zwei Berliner Vivantes-Kliniken tätig. Die Übelkeit und Unwohlsein könnten zum Teil auch durch Stress-verursacht sein. „Darüber wird nicht viel gesprochen, da man die Betroffenen nicht dadurch abstempeln will. Aber Konflikte, die Frauen während der Schwangerschaft durchleben, können sich auch in der Schwangerschaftsübelkeit niederschlagen”, sagt Mangler.
Umgekehrt gilt: Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft sind oft eine starke psychische Belastung für die Betroffenen. Vor allem bei Frauen mit einer Hyperemesis gravidarum, der schweren Form der Schwangerschaftsübelkeit, ist das nachgewiesen. Forschende des Imperial College London hatten in einer Untersuchung festgestellt, dass diese eine achtmal höhere Wahrscheinlichkeit hatten, während der Schwangerschaft an einer Depression zu erkranken. Ihr Risiko, eine postnatale Depression zu entwickeln, war viermal höher.
Mangler weiß von Frauen, die aufgrund ihrer starken Schwangerschaftsübelkeit nicht noch einmal schwanger werden wollten oder sogar einen Abbruch vorgenommen haben. Zu so einem Schritt würden sich werdende Mütter zum Beispiel dann entscheiden, wenn sie ihren Alltag wegen der Hyperemesis nicht mehr meistern und andere Kinder, die sie bereits haben, nicht mehr versorgen könnten. Oder wenn sie die Erkrankung als ernsthafte Bedrohung empfinden.
Ratgeber Übelkeit in der Schwangerschaft
Diese Themen behandeln die Artikel unseres Ratgebers:
Welchen Sinn hat Schwangerschaftsübelkeit?
10 Tipps und Hausmittel, die helfen
Schwangerschaftsübelkeit und Medikamente
So können Partner und Umfeld helfen
Wichtige Begriffe die du kennen solltest
Der komplette Ratgeber zum Download
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Schwangerschaftsübelkeit: Was hilft?
„Wenn eine Frau stark unter Schwangerschaftsübelkeit leidet, sollte man sich zunächst die Lebensumstände und das Umfeld anschauen”, sagt die Gynäkologie-Professorin Bettina Kuschel. „Anstatt voll durchzuarbeiten kann es vielleicht besser sein, Stress zu reduzieren. Man sollte versuchen, den Tagesablauf zu ändern und Pausen einzubauen, in denen man sich zurückziehen kann.” Sie empfiehlt außerdem eine Ernährungsumstellung: „Am besten ist es, alle ein bis zwei Stunden kleinere Mengen zu essen, damit der Magen nie zu voll aber auch nie ganz leer ist. Kaffee, Süßes und Fettiges sollte man eher meiden und stattdessen proteinreich und salzig essen”
Um eine Dehydrierung zu vermeiden, sollten Frauen ausreichend und regelmäßig lauwarme Getränke trinken. „Manchen Frauen hilft ein Ingwertee mit Koriander, den man zehn bis zwanzig Minuten ziehen lässt”, empfiehlt Kuschel. Trinken sollte man dabei am besten zwischen den Mahlzeiten und nicht gleichzeitig zum Essen. Bei vielen Frauen trete schon allein durch solch eine Lebensstil-Umstellung eine Besserung ein, so Kuschel.
Eine Studie zum Thema „Lebensmittel und Schwangerschaftsübelkeit” findest du hier.
Gegen Übelkeit helfe ansonsten auch die Einnahme von Vitamin B6, Vitamin B1 und Vitamin B12. Falls dies nichts nützt, kann laut Kuschel die zusätzliche Einnahme des Medikaments Doxylamin helfen. Es gibt auch Kombipräparate mit Vitaminen und Doxylamin, die verschreibungspflichtig sind. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein Antiallergiemittel, bei dem aber seit Jahren bekannt ist, dass es auch die Übelkeit lindern kann. In seltenen schweren Fällen von Schwangerschaftsübelkeit kann die Therapie mit weiteren verschreibungspflichtigen Medikamenten und eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich werden (s.u.). Ein Kontakt mit einem Arzt wird dringend empfohlen, wenn die Beschwerden anhalten. Der Arzt kann die Symptome untersuchen und helfen, mögliche Ursachen wie Erbrechen aufgrund einer falschen Ernährung auszuschließen.
Ernährungsempfehlungen, die den Magen entlasten, sowie geeignete Medikamente können Linderung verschaffen. Für werdende Mütter ist eine schnelle und gezielte Hilfe entscheidend, um das Wohlbefinden und die Gesundheit von Mutter und Kind zu fördern.
Ist Übelkeit in der Schwangerschaft gefährlich?
„In den allermeisten Fällen sind Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft nicht gefährlich”, sagt Bettina Kuschel von der TUM. Bei einer Hyperemesis Gravidarum könne aber eine vorübergehende Behandlung im Krankenhaus erforderlich werden. Das sei vor allem dann der Fall, wenn Frauen stark an Gewicht verlieren oder eine Dehydrierung droht, weil sie Nahrungsmittel und Flüssigkeiten nicht bei sich behalten können. „Eine Dehydrierung ist für Schwangere besonders gefährlich, weil sie unter anderem das Risiko für Thrombosen erhöht”, sagt Kuschel. Im Krankenhaus könnten Flüssigkeit und Elektrolyte wie Natrium durch Infusionen zugeführt werden.
Wichtig sei auch einem Mangel an Vitamin B1 vorzubeugen, der unbehandelt gefährlich sein kann. Die Gesundheit des Babys könne vor allem durch starke Gewichtsverluste bei der Mutter bedroht werden. „Ab einem Gewichtsverlust von sieben Kilogramm bei der Mutter kann es zu Wachstumsstörungen kommen“, so Kuschel. Wenn eine Schwangere viel erbricht, aber trotzdem an Gewicht zu nimmt, schade dies dem Kind hingegen nicht.
Unbedingt empfehlenswert ist ein Besuch beim Arzt - insbesondere bei starken Beschwerden. Der Arzt kann nicht nur Symptome wie Erbrechen und Magenprobleme abklären, sondern auch Tipps zur richtigen Ernährung geben. Eine angepasste Ernährung hilft zusätzlich Nährstoffe besser aufzunehmen und die Symptome zu lindern. Medikamente, die gezielt gegen Übelkeit wirken und gleichzeitig für Mutter und Kind unbedenklich sind, können zusätzliche Vorteile bringen.
Regelmäßige Kontrolltermine helfen, den Verlauf der Beschwerden im Blick zu behalten und sicherzustellen, dass Mutter und Kind Tag für Tag gut versorgt sind.
Ist Schwangerschaftsübelkeit ein gutes Zeichen?
Morgenübelkeit und Übelkeit in der Schwangerschaft im Allgemeinen werden manchmal als „gutes Zeichen” für einen normalen Verlauf gewertet. 2016 wurde im Fachmagazin JAMA Internal Medicine eine Untersuchung dazu veröffentlicht. Für die Studie hatten 800 Frauen zwischen 18 und 40 Jahren, die bereits einmal eine Fehlgeburt hatten, ein Schwangerschaftstagebuch geführt. Darin hatten sie ihr Befinden und ihre Gewohnheiten in der Schwangerschaft geschildert. Als Forschende diese Tagebücher auswerteten, stellten sie fest: Das Risiko, erneut eine Fehlgeburt zu erleiden, war bei Frauen mit Schwangerschaftsübelkeit um 50 bis 75 Prozent niedriger als bei anderen Frauen.
Schützende Funktion
Tatsächlich wird angenommen, dass Übelkeit in der Schwangerschaft evolutionsbedingt eine schützende Funktion hatte. So sollte die Übelkeit und die Abneigung gegen bestimmte Nahrungsmittel und Gerüche werdende Mütter zu Urzeiten vermutlich davon abhalten, Schadstoffe oder Krankheitserreger mit bestimmten Lebensmitteln aufzunehmen. Eine weitere positive Folge der Schwangerschaftsübelkeit beschreibt Sandra in ihrem kidsgo Tagebuch.
Schwangerschaftsübelkeit sei keine Garantie für einen ansonsten komplikationsfreien Schwangerschaftsverlauf, sagt Gynäkologie-Professorin Kuschel. Aber auch sie empfiehlt Patientinnen manchmal, die Übelkeit zu Beginn positiv zu bewerten. „In der frühen Phase der Schwangerschaft, wo es häufiger noch zu Abgängen kommt, ist die Übelkeit zumindest ein Anzeichen dafür, dass die Schwangerschaft fortbesteht und dass die richtigen Hormone ausgeschüttet werden”, sagt Kuschel.