Zwei- bis Dreijährige durchleben eine wichtige Autonomiephase
Alles fing so harmlos an: Pia und ihre Tochter Mathilda in der Spielwarenabteilung auf der Suche nach einem Geschenk für Kindergartenfreund Henri. Da erblickt Mathilda an einem Haken einen kleinen Rucksack. Wie für sie gemacht. Zielsicher greift sie nach dem Accessoire. „Den will ich haben“, bringt sie lautstark und mit großer Überzeugung vor, obwohl Mama ja gesagt hat, dass sie nur und ausschließlich für Henri einkaufen wollen. „Den will ich aber“, beharrt Mathilda. Zuerst versucht Mama es mit Argumenten, dann mit Drohungen, schließlich schleppt sie die heulende und zeternde Mathilda raus aus der Abteilung. Die wehrt sich mit Händen und Füßen und bleibt schließlich schluchzend auf dem Boden sitzen. Na prima. Mal wieder ein gelungener Einkauf!
Ob an der Supermarktkasse, beim Anziehen oder Essen – auf immer wiederkehrende Wutanfälle ist Verlass bei den Zwei- bis Dreijährigen. Autonomiephase oder „Autonomiebestreben beim Kleinkind“ heißt diese klassische Trotzphase in Fachkreisen. Sie beginnt etwa mit anderthalb Jahren und ist um den dritten Geburtstag meist überstanden.
5 Tipps und Tricks
- 1) Lass dein Kind mitentscheiden, wo es möglich ist. Wenn du mit ihm sprichst, dann begib dich auf Augenhöhe, und das ist wörtlich gemeint.
- 2) Klare Regeln und Absprachen ersparen dir Diskussionen: Setze Grenzen und bleib bei deinem Nein, aber dosiere es sinnvoll und lehne nicht kategorisch alles ab.
- 3) Zeig deinem Kind, dass es mit Wut und Geschrei nicht weiterkommt. Dass du aber durchaus bereit bist, dir seine Absichten anzuhören und seinen Willen ernst nimmst.
- 4) Ermutige dein Kind, seine Anliegen zu äußern, mit dir zu sprechen statt zu toben.
- 5) Sag klar, was dir missfällt, zum Beispiel die Lautstärke oder die Art, wie dein Kind etwas zu erreichen versucht.
- Auch wenn es noch so schwer fällt: Bleib so cool wie möglich. Geh mit gutem Beispiel voran.
Autonomie – darum geht es, denn in dieser Zeit entdeckt das Kind sich selbst, seinen Willen und seine Selbstwirksamkeit. Es wird sich bewusst, dass es ein eigenes Ich hat. Damit verlässt es den „abgesicherten Modus“. Ab jetzt will es sich selbst und seinen Fähigkeiten vertrauen.
Trotzphase: Kinder haben ihren eigenen Kopf
Trotz, das klingt nach Ungehorsam, Verweigerung, Renitenz. Doch bezweckt ein Kind mit seinem Verhalten etwas Positives, das es zu stärken gilt: Es entfaltet eine eigene Persönlichkeit. Ab dem zweiten Geburtstag wird sich ein Kind zunehmend seiner selbst bewusst: Ich, mir, meins sind jetzt wichtige Wörter, ebenso allein. Das „Alleinemachen“ rückt in den Vordergrund. Doch genau da liegt das Problem: Das Kind will etwas, kann es aber noch nicht.
Um seinen Willen zu äußern, fehlen ihm oft noch die richtigen Worte. Das führt zu Frust und Wut, die raus müssen. Sie äußern sich – meist mangels Ausdrucksmöglichkeiten – in Schreien, Um-sich-Schlagen, in Sitzstreiks und Tränenausbrüchen. Den Kindern geht es darum, selbstwirksam zu agieren, doch dabei stoßen sie immer wieder an ihre Grenzen.
Auf Trotz gelassen reagieren
Wenn-dann-Drohungen haben nicht den gewünschten Effekt. In den Arm nehmen, trösten, das hilft, um über die erste schlimme Phase der Wut hinwegzukommen, wenn Kinder von dem Gefühl der Ohnmacht überrollt werden.
Vielleicht dauert es länger, weil Anna partout noch eine Runde Trecker fahren muss, vielleicht fühlt sich Leo im Kindergarten doch nicht ganz so wohl, weil du ihm das Prinzessinnen-Kostüm nicht ausreden konntest. Aber das sind Erfahrungen, die beide Seiten aushalten müssen. Lass deinem Kind Entscheidungsspielraum, schaffe ihm Gelegenheiten, sich selbst auszuprobieren und plane ausreichend Zeit dafür ein.
Die Erfahrung, etwas zu wollen und es auch zu können, ist wichtig und bestärkt dein Kind. Deshalb ist diese Trotzphase auch so wichtig. Sie hat nichts mit Ungehorsam oder bösem Willen zu tun.
Auf dem Weg zum Individuum ist sie nun mal unerlässlich: Grenzen austesten und eigene Ziele erreichen. Das Kleinkind wird zu einem kleinen Menschen mit eigenem Köpfchen, der einen wichtigen Schritt getan hat, um sich nach und nach von den Eltern abzunabeln – wenn die Phase gemeistert ist, ist das ein Meilenstein in Richtung Schulkind.
Experten-Tipp
„Kinder werden mit allen sozialen und menschlichen Eigenschaften geboren. Um diese weiterzuentwickeln, brauchen sie nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich menschlich und sozial verhalten“, sagt der bekannte, kürzlich verstorbene dänische Familientherapeut Jesper Juul.
Dein Kind sagt „Ich kann das selber“ und reagiert auf deine Versuche, ihm etwas vorzuschreiben mit einem klaren „Nein!“? – Juul hat zwei konstruktive Vorschläge, damit die Situation nicht eskaliert:
- Lass deinen Sprössling so viel wie möglich selbst tun und ermutige ihn dazu. Freue dich über seine Selbstständigkeit und biete ihm deine Hilfe an, sollte er sie brauchen.
- Gib deinem Kind ein oder zwei Minuten. Mit diesem Freiraum kann es seine Meinung ändern – und das wird es tun. „Wenn Kinder nicht Nein sagen dürfen, dann bleibt ihnen nur übrig, Jawohl zu sagen, und so verlieren sie ihre Würde“, meint Juul.