Das Semester ist vorüber, die Sache mit dem ruhigen Schlaf irgendwie auch. Was mir aber bleibt, ist dieses wunderbare Stolzgefühl.
Es ist nachts zwei Uhr, ich bin putzmunter. Tagsüber könnte ich meinen Mittagsschlaf direkt ans morgendliche Aufwachen hängen (tue ich hin und wieder auch), so überkommt mich die Müdigkeit. Abends aber braucht es nur einen kleinen Tritt von der Madame und meine Gedanken kreisen. Nicht, dass ich mir unendliche Sorgen machen würde, dass mir Unerledigtes wieder ins Gedächtnis springt oder ich vor Aufregung über die Dinge, die da kommen werden, nicht in den Schlaf finde. Nein, ich bin einfach hellwach und zermartere mir das Hirn über den Einkauf am nächsten Tag, die Arbeit im Krankenhaus oder die letzten Klausuren.
Die sind jetzt aber auch schon geschafft, das Semester ist zu Ende. Aus, vorbei. Die Studienzeit mit Kugel gehört der Geschichte an. Wie traurig und gleichzeitig so stark. Was habe ich mir heimlich Gedanken gemacht, ob ich von den Dozenten schwanger akzeptiert werde, ob mir langes Stehen Probleme bereiten wird, ob ich all den Infektionsquellen und körperlich zehrenden Aufgaben widerstehen kann und darf. Werden die Klausuren zu meistern sein oder muss ich kurz vor dem Ziel kneifen?
Gerade gegen Ende war es schon eine Herausforderung, meinen Bauch zwischen Körper und Klapppult zu quetschen. Die Praktikumskleidung ist zwar weit und lässig, sicher aber nicht umstandsfreundlich. Die Seminarräume zur Psychiatrie befinden sich auf einem Berg und im dritten Stock. Und überall wütet diese fiese diagnostische Strahlung.
Aber unterm Strich: Volltreffer! Ich bin so erleichtert. Die Zeit bis hierher war super. Bestimmt bekam ich hie und da einen Bonus, ja, die Kommilitonen meines Gastroenterologietages können davon ein Lied singen, die mussten nämlich meine Arbeit mit erledigen – sehr unangenehm!, –und bestimmt gibt es Schwangere, denen Prüfungsvorbereitung und -stress so zusetzt, dass sie folgenschwer körperlich reagieren. Ich aber bin selten erfolgreich, selten so angespornt durch diesen Abschnitt gekommen und fühle mich stark und belastbar wie nie.
Das galt es auch zu belohnen. So einfach gestrickt bin ich nämlich: Für ein Zuckerchen vollführe ich Kunststücke und bringe Meisterleistungen. Und so gönnte ich mir eine neue Frisur und eine Kosmetikbehandlung. Beide Einrichtungen verließ ich mit der Drohung, nach dem Hormonchaos der Geburt und des Wochenbetts wieder zu kommen, um dann bitte liebevoll aufgepäppelt zu werden. Optisch zumindest. So nah ist er schon. Der Tag der Tage, der heilige Gral einer Schwangerschaft, der momentan noch sehr schwarze Tag für mich: der errechnete Entbindungstermin.
„Sie kann jetzt kommen!“ Zeitmanagementmäßig. „Sie darf jetzt schon auf keinen Fall kommen!“ Emotionsmäßig. Ich bin noch nicht bereit. Ich brauche die nächsten Wochen noch. Meine oberflächliche Priorität lag immer auf dem Studium. Es war die Ausrede, nicht weich und eben so richtig schwanger zu sein. Die ist jetzt aber weg. Einige Schichten im Klinikum habe ich noch angenommen, um mir wenigstens ein kleines Hintertürchen zu erhalten. Aber auch dafür werde ich bald einfach zu dick sein.
Jeder sagt einem, man solle genug vorschlafen - witzig, geht ja nicht mehr. Man solle sich Zeit für den Partner nehmen – der ist aber schon ganz aufgeregt und will seine Tochter doch auch endlich einmal richtig kennenlernen. Man solle sich noch mal verwöhnen - in Ordnung, das nehme ich an. Wir haben uns den März gewaltig vollgeschaufelt mit Unternehmungen, Feiern, kleinen Reisen und vor allem viel Wellness und Sauna. Und trotzdem steht dieser Entbindungstermin im Kalender. Dick und unverrückbar. Ich bekomme regelmäßig die Krise, die Puppe aus mir entlassen zu müssen. Den Gedanken kann ich gar nicht zulassen.
Und wenn ich dann nachts wach liege und auch mal neben „was koche ich morgen?“ und „habe ich mein Kreuz bei Frage 21 richtig gesetzt?“, neben „sollen wir den neuen Trockner selbst kaufen oder darf ich das Geschenkangebot meines Vaters annehmen?“ und „wo ist der Deinhard?“ über meinen Lebensentwurf nachdenke, lobe ich mich: richtiger Mann, richtige Zeit, richtige Einstellung. Wie schnell das dann alles geht, zwickt mich aber doch ein wenig.
Am Wochenende wird mein Sebastian geehrt für seine herausragende Trainertätigkeit im Nachwuchs, nachdem er seinen nächsten Schein auch so toll bestanden hat und nebenbei noch alle Klausuren. Das macht mich ultrastolz. Wir machen mich ultrastolz. Wir sind halt einfach Vorwärtsgänger. Mach dich locker, Kristin!
Kristin
Bild: privat