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Mehrsprachigkeit: Sollte man Kinder mehrsprachig erziehen?

Wenn mehrsprachig aufwachsende Kinder vor sich hin plappern, verliert man als Außenstehender leicht den Faden. Da fallen Sätze wie: „Baby nicht grand, ich sehr grand“ oder „Papa livre batiser“. Für Mama und Papa ist die Entschlüsselung meist kein Problem.

In diesem Artikel:

Bilingualität von Geburt an!

Mama ist Französin, Papa kommt aus Norddeutschland. Beide möchten, dass ihre Tochter Mila beide Sprachen von klein auf versteht und spricht. Am besten gelingt das mit einer zweisprachigen Erziehung von Geburt an. Im Idealfall spricht jeder ausschließlich in seiner Muttersprache mit dem Baby. Das erfordert einiges an Disziplin.

„Wichtig ist, dass beide Elternteile die jeweilige Sprache konsequent durchhalten, bis das Kind etwa drei bis vier Jahre alt ist“, sagt Céline Bouinio-Hanke, Sprachlehrerin und Leiterin der französischen Sprachschule Charabia in Köln. Damit keine Verwirrung entsteht, ist es wichtig, nicht einmal deutsch, einmal französisch zu antworten. Wenn Mila aus dem Kindergarten kommt und erzählt, was alles los war, kommentiert ihre Mutter die Geschichte auf Französisch. „Zwischen zwei und drei Jahren benutzen die Kinder in ihren Sätzen immer wieder Wörter beider Sprachen, aber das ist kein Grund zur Besorgnis“, so Bouinio-Hanke.

Zur Sprache eine emotionale Bindung aufbauen

Tochter Mia, drei Jahre alt, und ihre einjährige Schwester Sophia wachsen dreisprachig auf. Mias Mama Juan kommt aus China und erzieht ihre Töchter in ihrer Muttersprache. Papa Thomas ist Deutschfranzose. Mit Mia und Sophia unterhält er sich ausschließlich auf Französisch. In der Kita hingegen steht Deutsch auf der Tagesordnung.

Bereits mit drei Jahren drei Sprachen sprechen – ein Geschenk für Kinder, die in einer globalisierten Welt aufwachsen. Hinter einer mehrsprachigen Erziehung sollte jedoch mehr stehen als nur der Ehrgeiz der Eltern. „Die mehrsprachige Erziehung funktioniert nur dann, wenn das Kind eine emotionale Bindung zu der Sprache aufbauen kann“, erklärt die Psychologin Nicola Küpelikilinc. Daher sei es wichtig, dass sich Eltern in der gesprochenen Sprache sicher und wohl fühlen. 

Zwei Muttersprachen

Laut aktuellen Studien lernen Kinder bis zum sechsten Lebensjahr am spielerischsten eine weitere Muttersprache. Danach wird eine weitere Sprache als „Fremdsprache“ gelernt, wobei dann andere Hirnregionen beim Lernen aktiv sind.

Mehrsprachigkeit ist bei klaren Regeln unproblematisch

Um ein Sprachchaos beim Kind zu vermeiden, sollten Eltern die Sprache nach klaren Regeln verwenden. Eine Möglichkeit: Jedes Elternteil spricht jeweils nur eine Sprache mit seinem Kind. Juan und Thomas haben sich für diese Regelung entschieden.

Doch auch andere Regelungen sind möglich. Hier können sich Eltern ein eigenes System überlegen, wer wann welche Sprache spricht. Viele Eltern haben dennoch Angst, ihr Kind mit zu vielen Sprachen zu überfordern. Sprachforscher sehen jedoch kein Problem in der mehrsprachigen Erziehung. Zwar besitzen mehrsprachig erzogene Kinder in den einzelnen Sprachen einen kleineren Wortschatz, dieser gleicht sich jedoch bis zum Ende der Grundschule an.

Mix-Phase 

„Wenn ein Kind den Satzbau einer Sprache in der jeweils anderen Sprache einsetzt, zeigt das, dass es dieses erste grammatikalische System gut gelernt hat.“ Diese Mix-Phase geht rasch vorbei. Dann können die Kinder die beiden Sprachen unterscheiden und richtig anwenden.

Multilinguale Erziehung: mehr Vorteile als Nachteile

„Multilingual erzogene Kinde erlernen später auch andere Fremdsprachen leichter, weil sie schon früh ein Gefühl für die Systematik hinter einer Sprache entwickeln“, so Psychologin Küpelikilinc. Ihr Rat: Eltern sollten ihr Kind beim Lernen nicht unter Druck setzen. 

Interview: „Die Dreisprachigkeit ist kein Problem“

Familie Neumann aus Hamburg erzieht ihre beiden Töchter dreisprachig. Sie beantwortete kidsgo einige Fragen zum Leben als mehrsprachige Familie und die Besonderheiten der Erziehung.

kidsgo: Welche Sprachen sprechen eure Kinder und wie kommt es dazu??

Familie Neumann: Unsere Familie besteht aus zwei Erwachsenen und zwei Töchtern (1 und 3). Ich bin Halbfranzose und Halbdeutscher. Meine Frau ist in China geboren. Wir haben uns während des Studiums kennengelernt und haben uns dazu entschieden, uns ein Leben in Deutschland aufzubauen. Wir sprechen zwar untereinander deutsch, mit den Kindern aber ausschließlich französisch und chinesisch. Bei der Kleinen kann man noch nicht viel sagen, aber die Große versteht schon alle drei Sprachen sehr gut und spricht eine Mischung aus allen Sprachen plus Fantasiewörtern. Deutsch ist durch die Kita zwar dominant, aber mit Mama wechselt sie auch viele chinesische und mit Papa viele französische Worte.

kidsgo: Habt ihr euch vorher Gedanken gemacht, wann wer welche Sprache spricht? Gibt es ein System, das ihr verfolgt?

Familie Neumann: Wir haben bereits in der Schwangerschaft beschlossen, dass wir versuchen, konsequent die jeweils „eigene” Sprache zu vermitteln. Das heißt, wir sprechen unsere Kinder nur auf Chinesisch oder Französisch an und mischen auch nicht mit anderen Sprachen. Ausnahmen gibt es nur manchmal, wenn Freunde der Kinder da sind und wir beide ansprechen wollen, dann wechseln wir kurz zum Deutschen. Dass wir Erwachsenen untereinander deutsch sprechen, lässt sich nicht vermeiden, stört aber nicht besonders da das Kind in der Regel weiß, dass wir es nicht ansprechen. Später müssen wir eventuell noch eine Ausnahme für Hausaufgaben etc. machen, so weit sind wir aber noch nicht. Insgesamt kann die Große dadurch schon sehr gut unterscheiden, welches Wort in welche Sprache gehört und hat sich für viele Sachen auch schon alle drei Begriffe gemerkt. Ein Beispiel: “Papa sagt lait, Mama sagt niu nai, Kita sagt Milch."

kidsgo: Kamen euch schon einmal Zweifel, ob eure Kinder mit drei Sprachen überfordert sein könnten?

Familie Neumann: Insgesamt haben wir bei Mia, der Großen, schon den Eindruck, dass die Sprachentwicklung langsamer ist als bei Gleichaltrigen. Andere einsprachige Kinder konnten schon früher längere Sätze bilden und hatten einen größeren Wortschatz. Wir geben uns daher viel Mühe, ihre Sprachentwicklung zu fördern, indem wir viel vorlesen, viel mit ihr sprechen und sie loben, wenn sie ganze Sätze bildet. Da sie in allen Sprachen stetig Fortschritte macht, sind unsere anfänglichen Sorgen verflogen. Außerdem haben wir bereits mit verschiedenen Kinderärzten über das Thema gesprochen und bisher waren alle der Meinung, dass sie sich normal entwickelt und die Dreisprachigkeit kein Problem ist.

kidsgo: Kommt es auch manchmal zum Sprachen-Kauderwelsch, wenn eure Kinder etwas erzählen?

Familie Neumann: Da Deutsch bei unserer Tochter dominant ist, haben die meisten Sätze einen deutschen Kern, der dann je nach Adressat mit chinesischen, französischen oder eigenen Wörtern angereichert wird. Anfangs hatte sie viele eigene Wörter, mittlerweile hat sie sich aber meistens ein Wort aus einer richtigen Sprache ausgesucht, welches vielleicht einfacher auszusprechen ist. Dadurch entstehen dann Sätze wie:

"Ich he (trinke, chinesisch) mmh (Kuh, eigenes Wort) nai (Milch, chinesisch)!”

Auffällig ist, dass sie immer Deutsch und Chinesisch oder Deutsch und Französisch mischt. Französisch und Chinesisch kommen praktisch nie im gleichen Satz vor und auch jeweils nur, wenn sie mit Papa oder Mama spricht. Mit anderen Leuten spricht sie fast nur Deutsch.

kidsgo: Danke für das interessante Gespräch!