No Body Shaming: Verständnis für die körperlichen Veränderungen
„Wer mich so nicht will, bekommt mich anders auch nicht,“ sagte einmal eine Freundin aus Studienzeiten. Sie bekam mit Anfang Zwanzig ihr erstes Kind, und der Babyspeck hielt sich hartnäckig. Ihre selbstbewusste Art, mit der Veränderung des Körpers umzugehen, hat mich damals tief beeindruckt. Und mir später – nach der Geburt meiner Tochter – sehr geholfen. Ja, es hat etwas Trotziges, aber auch etwas Tröstendes.
Neun Monate Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillen gehen an keiner Frau spurlos vorbei – psychisch und physisch. Und das ist auch gut so! All die Veränderungen erinnern uns daran, dass unser Körper ein großes Wunder vollbracht hat: Er ließ einen kleinen vollkommenen Menschen heranwachsen, hat ihn über eine lange Zeit aus eigener Kraft versorgt und schließlich geboren. Es erinnert uns aber auch daran, dass unser Körper veränderbar ist, dass er auch verletzlich ist und nun Zuwendung braucht, indem wir uns ganz bewusst Zeit für ihn nehmen und ganz bewusst auch Hilfe einfordern, um diese Zeit zu bekommen.
In der Schwangerschaft wächst der Körper buchstäblich über sich hinaus. Alles, was dich atmen, verdauen, stehen und gehen lässt, ordnet sich neu: Die inneren Organe und der Darm werden verschoben, das Zwerchfell wandert nach oben, die Rippenbögen weiten sich, die Bauchmuskeln ziehen sich auseinander. Und all das, um deinem Baby Platz zu machen. Die zusätzlichen Kilos trägt vor allem dein Beckenboden. Und das, was dir an Kraft im Bauch verloren geht, muss die Rückenmuskulatur ausgleichen. Ein Grund mehr in der Schwangerschaft im Training zu bleiben.
Das ist nicht alles: Du wirst regelrecht von Hormonen überschwemmt, die dein Bindegewebe weich und elastisch machen, lagerst mehr Flüssigkeit ein. Deine Brüste werden größer, und die Milchdrüsen bereiten sich aufs Stillen vor. Und die Gebärmutter – ein Muskel, der normalerweise so groß ist wie eine Faust und sechzig bis hundert Gramm wiegt – wächst auf das Zwanzigfache an! Kein anderer menschlicher Muskel kann sich derart ausdehnen.
Verstörende Vorbilder: Wunsch und Wirklichkeit
Eigentlich klar, dass sich diese Veränderungen mit der Geburt nicht – plopp – wieder zurück in den Urzustand versetzen lassen. Ja, es ist so: Der in den Medien oft als After-Baby-Body bezeichnete Mama-Körper nach der Geburt ist verändert. Doch er ist keineswegs schlechter, nur anders, eben weicher und runder. Und das bleibt auch eine ganze Weile so – auch wenn uns Stars und Sternchen auf ihren aufpolierten und gefakten Instagram-Fotos eine andere Realität vorgaukeln.
Das Schönheitsideal in den sozialen Medien, Filmen und in der Werbung setzt Mütter unter Druck, nach der Geburt so schnell wie möglich wieder dem gängigen Bild zu entsprechen: schnell zur gewohnten Kleidergröße, alten Figur und vorherigen Fitness zurückzufinden ist mit ein bisschen Disziplin doch ganz einfach.
„Das allerdings sind unrealistische Vorbilder“, räumt Psychologin Anja Wermann mit dieser Vorstellung auf. „Welche junge Mutter hat Kindermädchen und Personal Trainer zur Seite, um solch einen Kraftakt zu bewerkstelligen?“ Diesen Stress, meint Anja Wermann, solle sich keine frischgebackene Mutter antun.
Der Körper nach der Höchstleistung
Doch wie sehen Frauen nach der Geburt wirklich aus? Sie haben Dehnungsstreifen und Körpermaße jenseits von XS. Ob dein Bauch flach oder gewellt, deine Oberarme rundlich oder die Muskeln klar definiert sind – das ist alles Kosmetik.
Unsere Expertin
Nicole Frank ist seit 25 Jahren Physiotherapeutin und arbeitete viele Jahre auf der Wochenstation einer gynäkologischen Station. Nach Jahren als selbstständige Physiotherapeutin bietet sie jetzt per Online-Kurs Physiotherapie für Schwangere und Mamas an, auch speziell zu den Themen Rückbildung mit Behandlung einer Rektusdiastase.
Viel wichtiger ist, dass alle Organe dahin zurückwandern, wo sie hingehören. Dass dein Beckenboden sich erholt, wieder kräftiger und tragfähiger wird und deine sich langsam aufbauende Bauchmuskulatur den Rücken mehr entlasten kann.
Wie lange es dauert, bis sich alles zurückgebildet hat, lässt sich nicht pauschal beantworten. „Laut Osteopathie braucht der Körper zwei bis drei Jahre, um sich völlig von der Schwangerschaft und Geburt zu erholen. Von innen und außen“, weiß Physiotherapeutin Nicole Frank. Sie hat sich auf die Bedürfnisse von Schwangeren und Müttern spezialisiert. „Zur Rückbildung braucht es aber weit mehr als nur Übungen. Vor allem braucht es Zeit und Geduld.“ Geeignete Übungen erkennst du daran, dass sie keinen Druck auf Bauch und Beckenboden ausüben, keine langen Hebel einsetzen. „Ein normales Sportprogramm verträgt der Körper noch nicht“, betont Nicole Frank. Rückbildung ist immer ganzheitlich: Muskeln wieder anspannen lernen, eine Verbindung zur Atmung herstellen und den Beckenboden bei den Übungen einbeziehen.
Gib deinem Körper Zeit
Etwa sechs bis acht Wochen dauert das Wochenbett. Jetzt ist Ruhe das A und O, nur so können sich deine Seele und dein Körper, der so viel geleistet hat, erholen.
So muss die Wunde, die deine Plazenta zurückgelassen hat, verheilen. Wenn du dein Kind anlegst, spürst du, wie sich die Muskelfasern des Uterus zusammenziehen. Stillen hat neben der gesunden und liebevollen Ernährung deines Babys nämlich einen weiteren großen Vorteil: Es unterstützt die Rückbildung deiner Gebärmutter. Oft ist die Gebärmutter schon zwei Wochen nach der Geburt wieder auf ihre ursprüngliche Größe geschrumpft. Die Bänder, die sie im Becken befestigen, sind jedoch noch um einiges länger und straffen sich erst in den nächsten Monaten. „Dieser physiologische Prozess lässt sich nicht durch Training beschleunigen“, so Nicole Frank. Aber: Entlastungspositionen können diesen unterstützen, zum Beispiel die Bauchlage mit Kissen unter dem Bauch.
Direkt nach der Geburt hast du auch schon gleich einiges an zusätzlichem Gewicht verloren: Allein das Gewicht von Baby, Fruchtwasser und Plazenta macht zusammen fünf bis sieben Kilogramm aus. Auch das Stillen lässt die Pfunde purzeln – wenn auch nicht so drastisch, wie du es dir vielleicht wünschst.
5 Tipps: Das tut gut
- Gutes Essen! Nährstoffe, Vitamine, Mineralien, das ist der Stoff, der dir Energie gibt und dein Gewebe und deine Muskeln heilen lässt. Vor allem brauchst du Proteine: 1,5 – 2 g pro Körpergewicht. Bei 70 kg wären das ca. 100 – 140g Eiweiß am Tag. In unterschiedlichen Anteilen enthalten in Pute oder Huhn, Fisch, Hülsenfrüchten, Milch, Quark, Käse und Nüssen.
- Viel Wasser! Es ist unser Lebenselixier, ohne ausreichend Wasser ist der Körper schlapp und wird die angesammelten Giftstoffe nicht los.
- Genug Eisen! Nach der Geburt haben viele Frauen Eisenmangel (Anämie) und laufen auf Reserve. Eisen fördert den Muskel- und Gewebeaufbau.
- Guter Schlaf! Der Körper erholt und heilt sich im Schlaf. Das gelingt nicht leicht, wenn das Baby nachts aktiv ist. Ruh dich einfach auch tagsüber aus, wenn dein Baby schläft. Schalte alle Geräte wie Tablet, Handy und Fernseher aus!
- Achtsam sein! Horch in dich hinein: Wo lauert Stress, was überfordert dich, wo hättest du gern Hilfe und Unterstützung? Was tut dir gut, was macht dir Freude? Vieles lässt sich regeln und anders organisieren, zum Beispiel Einkäufe oder Haushalt. Perfektionismus ade – Haushalt ist nicht alles!
Gib dir Zeit: Versuche, im ersten Jahr abzunehmen, sieht Physiotherapeutin Nicole Frank kritisch, denn „auf lange Sicht powert das zu sehr aus.“ Gerade in den ersten, oft anstrengenden Monaten braucht dein Körper genug Reserven. Besser, du gibst dir zwei Jahre Zeit. Dann helfen ein passendes Sportprogramm und ein Ernährungsplan, gezielt Gewicht zu reduzieren.
Wundere dich nicht, wenn deine Bauchdecke vorerst wellig ist und in der Mitte einsackt. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Rektusdiastase – ein mehr oder weniger breiter Spalt zwischen den geraden Bauchmuskeln. Die gute Nachricht: Die geraden Bauchmuskeln müssen sich nicht wieder komplett schließen. Selbst Bodybuilder können eine Rektusdiastase haben. Auf die Stabilität im Inneren kommt es an. Du kannst durch Übungen lernen, die Muskeln im Bauch und Becken direkt anzusteuern, ohne dass sie nach innen einsacken. „Ein Standard-Bauchmuskeltraining bringt hier nichts. Aber schon mit gezieltem Atmen lässt sich einiges verbessern“, sagt Fachfrau Nicole Frank. Hab Geduld mit dir, bis sich ein sichtbarer Erfolg einstellt. Er wird kommen. Stell dir vor, du würdest deinen Bizeps trainieren: Auch da sind Monate nötig, bis du die Muskeln spielen lassen kannst.
Beckenboden – die tragende Kraft
Während der Schwangerschaft trägt der Beckenboden das gesamte Gewicht von Baby und Fruchtwasser. Während der Geburt „verschwindet“ dein Beckenboden, die Muskeln werden an den Beckenknochen gedrückt, um deinem Baby den Weg freizugeben. Dadurch überdehnen sie und können feine Risse bekommen. Bis die Mikrorisse verheilen und die Muskeln wieder straff werden, dauert es etwa ein Jahr. Tiefliegende Risse wie ein Dammriss brauchen länger und müssen von einer Gynäkologin und Physiotherapeutin begleitet werden. Im Hinblick auf deine Haltung und als Schutz gegen Inkontinenz – sowohl jetzt als auch später – ist der Muskelaufbau des Beckenbodens, wozu auch die Damm- und Scheidenmuskulatur gehört, das Wichtigste.
Nicole Franks Appell: „ Bitte nicht joggen und keine schweren Einkaufskörbe schleppen, bis das Gewebe komplett belastbar und umgebaut ist.“ Auch dann nicht, wenn deine Freundinnen schon wieder loslegen: Warte mit dem Laufen mindestens ein Jahr.
Eine weite Reise liegt hinter dir und die Veränderungen sind groß. Aber es führt ein Weg zurück – es dauert nur seine Zeit. „Der Körper einer Mutter muss nicht wie vor der Geburt funktionieren. Es tut gut, sich nicht dem Stress auszusetzen, perfekt sein zu müssen“, so Nicole Franks Einschätzung. „Vielleicht ist der Zustand nach der Geburt die erste Lebenskrise. Aber sie darf uns nicht verzweifeln lassen. Sie kann den Horizont erweitern und helfen, mehr auf sich zu achten und alles lockerer anzugehen.“ Und selbst wenn nicht immer alles gleich rund läuft: Die erste Zeit mit deinem Baby ist einmalig – genieße sie!
Unsere Interviewpartnerin
Anja Wermann (36) ist Diplom-Psychologin in Berlin. Sie bietet Paar-, Single- und Sexualberatung sowie ein speziell für Frauen entwickeltes „Rock Deinen Körper!“-Coaching an.
Experten-Interview
„Fake it until you make it“
kidsgo: Frau Wermann, was macht Social Media mit jungen Müttern im Hinblick auf das Selbstbewusstsein und das Körpergefühl?
Anja Wermann: Erstmal: Social Media ist nicht per se schlecht oder schädlich. Entscheidend ist, welchen Profilen man folgt, also welche Beiträge im eigenen Feed zu sehen sind. Wenn ich als junge Mutter Profilen von Stars folge, die ein bis zwei Monate nach der Geburt schon wieder über den roten Teppich oder Laufsteg stolzieren und dabei so aussehen, als sei nichts passiert, dann kann mich das sehr unzufrieden machen.
Wie kann ich meine Sichtweise verändern, mich – so wie ich bin – akzeptieren und gut fühlen?
Ein radikaler, aber hilfreicher Schritt könnte eine „Social Media-Diät“sein – also mal ganz darauf zu verzichten. Wem das zu krass ist – schließlich nutzen viele Menschen Medien wie Facebook, um mit ihrem Freundeskreis oder ihrer Verwandtschaft in Kontakt zu bleiben –, der sollte zumindest darauf achten, wem er folgt. Sind es die Menschen, die immer aussehen wie aus dem Ei gepellt? Oder sind es Menschen, die sich auch mal ungeschminkt zeigen, so wie man um sechs Uhr morgens mit zwei Stunden Schlaf eben aussieht?
Meine Empfehlung: Auf Social Media möglichst unterschiedlichen Menschen zu folgen, also zum Beispiel Frauen verschiedenen Alters, verschiedener Kleidergrößen und Hautfarben. Vielfalt ist Trumpf und ein gutes Gegenmittel zum sehr einheitlichen Schönheitsideal.
Was können junge Mütter im realen Leben tun, um sich im eigenen Körper wohler zu fühlen?
Wichtig ist, den eigenen Körper überhaupt zu spüren, ihn wahrzunehmen und sich mit ihm verbunden zu fühlen. In meinen Augen ist der ideale Weg dafür Bewegung. Nach der Geburt sind erstmal Rückbildungs- und Beckenbodengymnastik sehr wichtig. Ansonsten ist meine einzige Regel: Macht das, wobei ihr euch beim Üben so richtig gut und lebendig fühlt und die Glückshormone im Körper tanzen. Ob das jetzt Schwimmen, Yoga, Bauchtanz, Tango, Pole Dance oder was auch immer ist, spielt keine Rolle. Wenigstens eine Stunde pro Woche wäre super, diese „Bewegungszeit“ ist dann gleichzeitig auch Zeit für sich selbst, von der man als frischgebackene Mami ja eigentlich immer zu wenig hat.
Wie kann ich mich vom Druck von außen freimachen?
Ich rate dazu, sich vom Thema Aussehen zu lösen und sich den viel wesentlicheren Fragen zuzuwenden: Was will ich erleben? Was will ich hinterlassen? Für viele Frauen ist die Frage hilfreich „Was für ein Vorbild möchte ich selbst eigentlich sein?“ – insbesondere für Töchter. Möchte ich die nächste Generation lehren, wie man seinen Körper möglichst gut hasst? Oder möchte ich lieber zeigen, wie ich liebevoll mit mir selbst und meinem Körper umgehen kann?
Und wie gelingt das, liebevoller mit sich und seinem Körper umzugehen?
Wenn Mütter jetzt denken, sie können aber nicht so ein Vorbild sein, weil sie ihren Körper nun mal nicht mögen, dann empfehle ich einen meiner Lieblingstipps: „Fake it until you make it“. Das bedeutet: Verhalte dich so, als wärst du mit deiner Figur oder deinem Aussehen im Reinen – und eines Tages stellst du vielleicht fest, dass du auf deinem Weg zu mehr Selbstakzeptanz schon einen großen Schritt vorangekommen bist.
Frau Wermann, vielen Dank für das Gespräch!