Bei uns sind manche Dinge eben anders und es gibt Gründe dafür.
Hallo!
Da mir Bedarf da zu sein scheint, werde ich heute unsere Situation aus meiner Sicht erläutern.
Dass wir mit unserer Familienstruktur nicht der Norm entsprechen, ist mir und meinem Umfeld bewusst. Aber was ist die Norm? Ist die Norm, nur weil sie die Norm ist, gut? Würde bei uns die Norm überhaupt passen? Und vor allem, ist die Norm gut für MICH?
Bei allen Kommentaren geht der jeweilige Schreiber von seiner persönlichen Situation aus und wenn er mit dieser zufrieden ist, ist er geneigt, diese als die Norm zum Vergleich zu setzen.
Zu meiner Person. Dass ich mit verschiedenen Pflegekindern aufwuchs, habe ich in der 19. SSW angerissen. Diese Pflegekinder kamen zu uns nicht in Pflege, weil es ihnen bei sich zuhause so gut ging, sondern weil es bei allen große, manchmal kaum aussprechbare Probleme gab. Diese Kinder haben mein Leben maßgeblich beeinflusst, denn ich habe durch sie früh gelernt mich zwischen schwierigen Personen zu bewegen. Meine Eltern und mein jüngerer Bruder haben jeweils ihre ganz eigenen Probleme und wohnen zudem weit weg. Wie ich bereits früher erwähnt habe, ist mir meine Selbstständigkeit sehr wichtig, denn ich kann von Seiten meiner Familie keine große Unterstützung erwarten.
Zur Person meines Mannes. Er konnte im Alter von 3 Jahren noch nicht Dreirad fahren, da ihm die Koordination fehlte. Wies man ihn im Alter von 7 an, den Fernseher lauter zu stellen, stand er auf und ließ den Rollladen runter, während des Essens vergaß er plötzlich zu kauen… Heutzutage würde man ein Kind wie ihn mit der Verdachtsdiagnose ADS zum Kinder- und Jugendpsychiater schleppen, solche Möglichkeiten gab es dortmals aber noch nicht. Jetzt könnte man glauben, aus solch einem Kind wird nie etwas. Doch! Er hat eine besondere mathematische Begabung und hat sehr gut studiert und gut promoviert. In unserer direkten Nachbarschaft sind mir nur drei Männer mit einem sechsstelligen Jahresgehalt bekannt. Mein Mann ist einer davon. Ich denke immer, es ist als wenn man im Computerspiel für seine Spielfigur eine gewisse Anzahl von Sternchen auf die einzelnen Fähigkeiten verteilen darf und er hat alle Sternchen auf eine Fähigkeit gesetzt. Seine seit der Kindheit vorhandene Zerstreutheit ist heute noch stark ausgeprägt. Es gibt zahlreiche Geschichten über ihn, die einen aus der Distanz zum Schmunzeln bringen. Aber ich denke, er wäre auch froh, wenn er seine Unterhosen nicht vergeblich in der Sockenschublade suchen würde, nach der Arbeit nicht feststellen müsste, dass er heute zwei verschiedene Schuhe angehabt hat, ... Es ist also nicht unbedingt Dummheit, die manche Menschen so sein lässt, wie sie sind, sondern manchmal einfach eine Störung oder psychische Erkrankung. Ihm war es in der Vergangenheit oftmals einfach nicht möglich die Bedürfnisse anderer zu erkennen, Abläufe zu strukturieren und den notwendigen Zeitaufwand abzuschätzen. Hieran kann man arbeiten (wir tun´s), aber Erfolge werden eben nur schrittweise erreicht.
Wenn er Zeit hat, verbringt er mittlerweile durchaus auch einen Teil davon mit den Kindern. Zeit aber ist bei uns ein knappes Gut. Unser Wecker klingelt vor 6°° früh und mein Mann kommt meistens um ca. 19°° nach Hause. Da wird dann zu Abend gegessen und da die Kinder 20°° im Bett sein sollen, verbleibt eigentlich kaum Zeit zum Spielen. Zudem ist mein Mann oft geschäftlich, meist in Entwicklungsländern, unterwegs. Fast immer gibt es eine größere Zeitverschiebung zu uns, ebenso funktioniert das mobile Telefonnetz dort nicht zuverlässig. Diese Reisen nehmen auch teilweise die Wochenenden in Anspruch. Das macht es gerade ihm in seiner Konfusion schwierig, sich um anderes zu kümmern. Wenn er nicht da ist kann er nichts tun. Wenn er da ist, braucht er verständlicher Weise auch einen gewissen Ausgleich. Sport ist nicht nur ein Hobby, sondern auch eine Gesundheitsprophylaxe. Er hat einfach Angst irgendwann einen Herzinfarkt zu erleiden.
Es ist in unserer Beziehung nicht immer leicht, aber wir ergänzen uns perfekt.
Ich habe in vergangenen Tagebüchern immer wieder gelesen, dass Frauen Angst vor Trennung vom Partner hatten oder nach solcher mit der Organisation verschiedener Dinge am Rande ihrer Kräfte standen, da sie nicht geübt darin waren. Auch ich bin nicht gefeit vor Trennung, das ist keiner. Aber ich habe sehr viel Übung im Management des Alltags und brauche deshalb vor vielen Dingen nicht die panische Angst zu haben, die andere empfinden. Mein Mann hingegen ist sehr abhängig von mir und wird sich deshalb wohl nicht leichtfertig anderweitig orientieren. Emanzipation ist für mich nicht nur Rechte in Anspruch zu nehmen und Aufgaben von sich zu schieben, sondern auch Pflichten und Aufgaben des anderen Parts zu übernehmen. In „Norm“beziehungen scheint mir durch eine nur partielle Emanzipation die Abhängigkeit oftmals einseitig von Seiten der Frauen auszugehen.
Für manche ist es dementsprechend gewöhnungsbedürftig, dass wir nicht nur verschiedene Namen haben, sondern die Kinder ausschließlich meinen Namen tragen. Auch bekommt mein Mann von mir ein „Taschengeld“ auf sein Konto überwiesen und nicht ich ein „Haushaltsgeld“, sondern sein gesamtes Gehalt.
Was bei mir oft Unverständnis aufsteigen lässt, ist der Neid einiger auf eine einzelne Facette des Lebens anderer. In unserer momentanen Politik schreiben sich viele „Soziale Gerechtigkeit“ auf ihre Fahnen. Wer viel verdient, soll viel zahlen. Dank unserer Progression etc. zahlt derjenige jedoch nicht nur viel, sondern sehr viel mehr. Gleichzeitig sind Bezüge wie z.B. Elterngeld gedeckelt. Eine Folge dieser Politik ist, dass mein Mann nicht in Elternzeit gehen wird/kann, denn er würde nicht einmal 50% seines Gehalts ersetzt bekommen.
Einige Familien (auch in unserer Nachbarschaft) opfern sehr viel, während andere von ihrem Opfer profitieren und dennoch nach noch mehr schreien ohne das Opfer zu erkennen, denn sie sehen nur diese eine Facette. Wir sind alle weit weg davon „reich“ zu sein. Was mir dennoch bei den beiden anderen „Gutverdienerfamilien“ auffällt, ist, dass sie eine ähnliche Familienstruktur wie die unsere haben, manchmal in einer auch mir schwer nachvollziehbaren extremen Art und Weise.
Ich werde meinen Kinder später aber trotzdem nicht sagen: „Arbeitet lieber ein bisschen weniger und überlasst die anstrengenden Dinge des Lebens anderen. Sie sollen euch dann einfach was abgeben und dann geht’s uns allen gut.“ Wie sie sich einmal entscheiden, überlasse ich ihnen. Was ich aber erwarte, ist, dass sie später hinter ihren Entscheidungen stehen.
Ich habe den Eindruck, dass jeder gerne mal ein bisschen jammert und so werde auch ich an dieser Stelle mich wahrscheinlich noch so manches Mal klagend äußern. Der Leser hat dadurch die Möglichkeit einfach mal hinter die Fassade einer anderen Familie zu schauen. Ich hingegen habe in meinem Beruf oftmals diese Möglichkeit erhalten und war auch so manches Mal schockiert. Es ist erstaunlich, was sich hinter den Fassaden so alles verbirgt.
Mein Mann war diese Woche beruflich im Ausland und ich war mit den Kindern alleine, auch am Vatertag. Die Kleine bewegt sich nun sehr viel, was mich stets beruhigt. Meine Rosa-Käufe gehen langsam voran. Das meiste werde ich aber von den Jungs wieder verwenden. Nur saisonal muss ich ein paar Neuanschaffungen tätigen.
Es bleibt anstrengend, aber schön.
Bis nächste Woche,
Gesa