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Hausgeburt - Was du über die Geburt zuhause wissen musst

Stell dir vor, der Geburtstermin ist da – und du gehst nicht ins Krankenhaus. Die Wehen setzen ein, du bleibst einfach zuhause. Mit deiner Hebamme hast du besprochen, zu welchem Zeitpunkt du anrufst. In der Zwischenzeit tust du, was dir gut tut – Du kennst dich in der Wohnung aus, alles ist vorbereitet, dein Baby kann kommen. Alle Infos zur Hausgeburt!

In diesem Artikel:

Hausgeburt - Seltene Ausnahme

In den eigenen vier Wänden zu gebären, war früher selbstverständlich. Es gab auch gar keine andere Möglichkeit. Heute sieht die Situation völlig anders aus: 2008 wurden laut Dokumentation der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe 684.926 Kinder in Deutschland geboren. Davon kamen 10.175 Babys – geplant oder ungeplant – außerhalb einer Klinik zur Welt, ob zuhause, im Geburtshaus oder unterwegs. Das sind gerade mal eineinhalb Prozent aller Neugeborenen. Wer sich eine Hausgeburt wünscht, erntet oft Unverständnis und sieht sich mit Vorurteilen konfrontiert: Hausgeburt sei etwas für Alternative, eine Entbindung außerhalb der Klinik viel zu riskant für Mutter und Kind. Doch gesunde Frauen mit unauffälliger Schwangerschaft und guter Betreuung durch die Hebamme müssen nicht ins Krankenhaus. Sie können sich bewusst fürs Kinderkriegen in vertrauter Umgebung und familiärer Atmosphäre entscheiden und damit für einen sanften Start ins Familienleben.

Doula

Das Wort Doula kommt aus dem griechischen und bedeutet „Dienerin der Frau“. Eine Doula ist eine Frau, die auch schon eigene Kinder geboren hat und auf Grund ihres Erfahrungsschatzes so wie einer speziellen Ausbildung über die Kompetenz verfügt, die werdende Mutter in alter Tradition auf ihrem Weg in einen neuen Lebensabschnitt zu begleiten. Eine Doula hat keine medizinische Funktion, sondern unterstützt vor allem emotional und durch körperliche Zuwendung; sie ersetzt keine Hebamme! Durch die kontinuierliche Begleitung während der Geburt verkürzt sich erwiesener Maßen die Wehendauer, verringert sich das Schmerzempfinden und sinken die Komplikationen.

Zitat von John H. Kennell, Forscher: „Wären die mit einer Doula erzielten Ergebnisse mit einem Medikament oder einem neuen Apparat zu erreichen, dann gäbe es eine ungeheuere Nachfrage nach dieser Neuerung.“

Mehr Infos zur Doula

Vertraute Umgebung erleichtert die Geburt

Tina Rickert aus Köln ist mit ihren beiden Kindern sanft gestartet. Ihr Sohn Bela Bosse kam im September zur Welt – zuhause, wie vor ihm schon seine große Schwester Merle (zwei Jahre). Beide Hausgeburten verliefen reibungs los, schnell und ohne Komplikationen. „Beim zweiten Mal habe ich recht lange mit dem Anruf bei der Hebamme gewartet“, gibt sie zu. Sie kam um fünf Uhr in die Wohnung, zehn Minuten später war Bela Bosse da.

„Bei der ersten Geburt habe ich mir wenig Gedanken gemacht“, berichtet die zweifache Mutter. Sie hatte sich einige Krankenhäuser angesehen, keines sagte ihr zu. „Die Räume waren mir zu steril, zu kalt, wenig einladend für eine Geburt.“ Und rein praktische Überlegungen spielten auch eine Rolle: Familie Rickert wohnt im vierten Stock. Die Aussicht, 90 Stufen mit Wehen nach unten laufen zu müssen, war nicht gerade verlockend. Was lag näher als eine Hausgeburt? „Ich dachte mir: Früher haben alle Frauen ihre Kinder zuhause entbunden und es hat funktioniert – dann kann ich das auch“, sagt Tina Rickert.

Hausgeburt ist reine Privatsache

Die Intimität der eigenen vier Wände, das Gefühl, gut aufgehoben zu sein, gab dem Paar Rickert Sicherheit. Zusammen mit ihrer Hebamme Christiane Ippach plante sie die Entbindung zu Hause. „Auch mein Mann hat sich damit wohl gefühlt“, sagt sie. „Kein Aufbruch, keine Anfahrt, keine Ankunft in einer ungewohnten Umgebung mit wechselndem Personal, keine Routineuntersuchungen – sondern ein Umfeld, das der Geburt ihren Gang lässt. Zuhause haben Mutter und Kind Zeit, anzukommen, da drängt keine U1 und kein Schichtwechsel.“

Hebammen

Laut Deutschem Hebammenverband gibt es etwa 4.000 Hebammen in Deutschland, die außerklinische Geburten begleiten: als Beleghebamme in einer Praxis, im Geburtshaus oder zuhause.

Die Kosten für eine Hausgeburt trägt die Krankenkasse. Die Rufbereitschaft ab drei Wochen vor Geburtstermin wird durch einen Privatvertrag mit der Hebamme vereinbart. Sie liegt bei durchschnittlich 300 Euro. Seit Juli 2010 ist der Beitrag zur Haftpfl icht für Hebammen, die Geburten bertreuen, um 900 Euro auf 3.700 Euro jährlich gestiegen. Trotz Gebührenerhöhung bekommt eine Hebamme zukünftig für eine Beleggeburt nur acht Euro mehr, für eine Hausgeburt 100 Euro. Viele Hebammen ziehen sich daher aus der aktiven Geburtshilfe zurück, konzentrieren sich auf Kurse und Nachsorge, um die hohe Haftpflichtprämie zu umgehen. So stehen für die Geburtshilfe weniger Hebammen zur Verfügung, als noch im vergangenen Jahr.

Hebammen, die Haus- oder Beleggeburten anbieten

Infoveranstaltungen von Geburtshäusern und Krankenhäusern

„Jede gesunde Frau kann ihr Baby zuhause zur Welt bringen“, sagt Christiane Ippach. Sie ist seit 20 Jahren freiberufliche Hebamme in Köln und betreut etwa 35 Geburten im Jahr, zwei Drittel davon im Kölner Geburtshaus, ein Drittel zuhause. Auch das Alter der Schwangeren spielt für die Hebamme keine Rolle. „Über-40-Jährige können ebenso wie 25-Jährige zuhause gebären. Durch medizinische Vorsorge, Ernährung und eine gesunde Lebensweise sind die Frauen insgesamt fitter als vor 50 Jahren“, sagt die Hebamme.

Sicherheit entscheidet beim Geburtsort

„Frauen gebären besser in einem privaten Rahmen“ erklärt die Hebamme. Im Gegensatz zur klinischen Entbindung bestimmt die Schwangere, wer bei der Geburt dabei ist – und wer nicht. „Den eigenen Geburtstag plant man ja auch nur mit Menschen, die man gern um sich hat“, sagt sie. Komplikationen wie Blutungen, Infektionen und Fieber treten bei den Müttern, die zuhause entbinden, seltener auf als bei Klinikgeburten. Fast immer spielen sich Hausgeburten nachts ab. Ältere Kinder in der Familie schlafen und bekommen oft gar nichts davon mit. Entscheidend sei, wie die Frau „Sicherheit“ für sich selbst definiert.

Wer die Geburt als einen natürlichen Vorgang ansieht, brauche nicht den medizinischen Apparat, den eine Klinik bietet, sondern die Gewissheit: Ich kann jederzeit auf alles zurückgreifen, ich kann mich gehen lassen, denn ich bestimme, wie die Geburt verläuft. „Oft sind bei der Ankunft im Krankenhaus die Wehen wie weggeblasen. Zu Hause finden die Frauen ihren eigenen Rhythmus“ sagt die Hebamme.

Hausgeburt setzt gute Betreuung voraus

Christiane Ippach macht zwei Vorgespräche. Im ersten wird eine Art Geburtsplan ent worfen: Was wünscht sich die Mutter, wie soll die Geburt ablaufen. Das zweite Treffen sechs Wochen vor dem errechneten Termin ist eine „Generalprobe“. Die Geburtshelferin fährt den Weg bis zum Einsatzort ab, sieht sich alles an. „Wichtiger als die Wohnung ist das Treppenhaus. Im Notfall muss ich die Mutter nach unten ins Auto bringen“, sagt sie. Zur Entbindung bringt sie ihren Gebärhocker, den Geburtskoffer mit Instrumenten zum Schneiden und Nähen, Medikamente, um eine nachgeburtliche Blutung stillen zu können und Sauerstoffversorgung für das Baby mit. Die Hebamme gibt weder Wehen fördernde Mittel noch Schmerzmedikamente.

Während des Geburtsvorgangs werden die Herztöne des Kindes regelmäßig kontrolliert. Werden die auffällig, ist eine Verlegung ins Krankenhaus notwendig. Auch bei Geburtsstillstand oder wenn die Frau noch in der Eröffnungsphase an ihre Schmerzgrenze kommt, fahren beide in die Klinik. Sechs von sieben Frauen, die eine Hausgeburt beginnen, bekommen Ihr Kind auch in den eigenen vier Wänden – bei einer von sieben verlegt die Hebamme vorsichtshalber ins Krankenhaus.

Einige Vorerkrankungen schließen eine Hausgeburt aus, zum Beispiel Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes oder Gerinnungsstörungen. Das stellt die Hebamme in der körperlichen Anamnese fest. Auch bei Beckenendlage und Mehrlingsgeburten lehnt Christiane Ippach wegen der damit verbundenen Risiken eine Hausgeburt ab.

Hausgeburt verlangt frühe Entscheidung

Frauen, die sich für eine Hausgeburt entscheiden, sollten früh Kontakt zu einer Hebamme aufnehmen. Am besten direkt ab der 12. Woche, wenn sich die Schwangerschaft stabilisiert hat. Auch wenn die meisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht darüber nachdenken, wie das Kind zur Welt kommen soll. Durch den seit Juli letzten Jahres erhöhten Beitrag zur Haftpflichtversicherung stehen weit weniger Hebammen für eine Hausgeburt zur Verfügung. 

Studien zur Hausgeburt - Ein (medizinisches) Streitthema

Einige aktuelle Studien beschäftigen sich mit den Risiken klinischer und außerklinischer Geburten. Eine kanadische Untersuchung kommt 2009 zu dem Schluss: Die Hausgeburt mit Unterstützung einer erfahrenen Hebamme ist ebenso sicher wie eine Niederkunft in der Klinik – vorausgesetzt die Geburt verläuft planmäßig.

Anderes in den USA. Ein Team des Medizinzentrums Portland stellte 2010 fest, dass eine Hausgeburt die Mutter schont, für die Babys aber riskant ist. Die Sterberate für zu Hause geborene Babys liege ca. dreimal höher als bei Neugeborenen in einer Klinik.

In den Niederlanden sind etwa 30 Prozent der Entbindungen Hausgeburten – das sind ungewöhnlich viele im europäischen Vergleich. Im Hinblick auf die Sicherheit des Babys konnte eine Studie 2009 keine wesentlichen Unterschiede zwischen Haus- und Klinikgeburten feststellen. Daten von knapp 530.000 Frauen wurden ausgewertet, einbezogen waren nur Schwangerschaften ohne erhöhte Risikofaktoren.

„Frauen können wählen, wo sie gebären möchten – vorausgesetzt, dass das Gesundheitssystem für Hausgeburten entsprechend ausgestattet ist“, folgern die Forscher. Vor allem muss es gut ausgebildete Hebammen und problemlose Transport- und Überweisungswege ins Krankenhaus geben.

Zu Haus oder Klinik - eine individuelle Entscheidung

Jede Schwangere sollte sich ehrlich fragen, an welchem Ort sie sich am sichersten, am wohlsten, am besten aufgehoben fühlt. Denn selbst wenn die beste Freundin ihr Kind zuhause bekam und davon völlig begeistert ist, kann für einen selbst das Krankenhaus oder das Geburtshaus der richtige Ort sein. Das Sicherheitsbedürfnis ist bei jeder Frau ein anderes. Ganz sicher dagegen ist, dass Schwangere, die sich gut aufgehoben fühlen, eine leichtere Geburt haben werden – egal für welchen Ort sie sich entscheiden.