Nicht jeder Herzfehler wird entdeckt: Kann ein Herzscreening Babys vor dem Tod bewahren?
Es war ein Dezembertag, an dem die Welt von Kathi D. zerbrach.
Die Welt, das war ein kleines Mädchen mit süßem Babyspeck und Strahleaugen: ihre Tochter Leonie. Sie starb drei Wochen, nachdem sie wegen eines starken Hustens vom Notkinderarzt untersucht worden war. Er erkannte, was weder seine Kollegen bei den Vorsorgeuntersuchungen noch die Hebamme zuvor bemerkt hatten: Leonie hatte einen angeborenen Herzfehler. Sofort wurde sie ins Herzzentrum verlegt.
Leider zu spät. Nach zwölf Tagen an der Herz-Lungen-Maschine und zwei Operationen hörte Leonies Herz auf zu klopfen. Sie wurde nur drei Monate alt.
Früherkennung: Leonie hätte gerettet werden können
Dabei hätte sie gerettet können, wäre die Fehlbildung im ersten Monat festgestellt und operiert worden. Ihre Mutter hat die ergreifende Geschichte auf Facebook gepostet und zahlreichen Zuspruch erfahren. Doch ihr geht es nicht nur darum, an Leonie zu erinnern. Sie kämpft dafür, dass Babys nach der Geburt ein grundsätzliches Anrecht auf ein Herzscreening haben, wie es bereits beim Hör- und Hüftscreening Standard ist. „Nur dann ist gewährleistet, dass nicht mehr hunderte Babys jedes Jahr einen vermeidbaren Tod sterben müssen.“
So nachvollziehbar ihre Forderung ist, lässt sie sich nicht ohne weiteres verallgemeinern. Der Kinderkardiologe Dr. Elmo Feil führt seit sieben Jahren Herzscreeninguntersuchungen bei allen Neugeborenen des Marienhospitals in Darmstadt durch. Von 8400 untersuchten Säuglingen hatten über 400 einen angeborenen Herzfehler, davon waren 120 bedeutsam und zwölf kritisch. Dieses Projekt ist deutschlandweit einzigartig – und es fruchtet offenbar: In den sieben Jahren ist laut Dr. Feil kein Kind, das im Marienhospital entbunden wurde, an einem angeborenen Herzfehler verstorben.
Allerdings: „Was als Pilotprojekt geplant war und inzwischen eine feste Einrichtung hier ist, lässt sich nicht ganz einfach auf andere Kliniken übertragen“. Zudem seien Herzfehler nicht die häufigste Todesursache im ersten Lebensjahr, sondern Früh- und Mangelgeburtlichkeit. Der zweithäufigste Grund allerdings sind Fehlbildungen, bei denen die angeborenen Herzfehler die größte Rolle spielen.
Kinderärzte mehr einbinden
Warum aber werden die nicht vom Kinderarzt entdeckt?
„Normalerweise wird ja nur eine klinische Untersuchung im Rahmen der U2 durchgeführt. Hierbei werden 25 bis 50 Prozent der Herzfehler übersehen, da viele Herzfehler kein Herzgeräusch erzeugen. Die Beschwerden wie schlechtes Trinkverhalten, blaues Munddreieck, Schwitzen sind unspezifisch und bei Auffälligkeit ist es schon relativ spät“, sagt Dr. Feil.
Die Herzultraschalluntersuchung sei die sicherste Untersuchung, einen Herzfehler zu erkennen oder auszuschließen. Je nach Erfahrung des Untersuchers kann es jedoch in seltenen Fällen auch Fehldiagnosen geben.
Dennoch: „Ich bin für ein generelles Pulsoxymetriescreening und Ausweitung des Angebots eines Herzultraschallscreenings nach der Geburt. Das Pulsoxyscreening wird in der Schweiz und jetzt auch zunehmend in den USA durchgeführt.“ Nach seinem Kenntnisstand wird es auch in Deutschland diskutiert, könnte aber unter Umständen an Überlegungen wie der Frage scheitern, ob beispielsweise bei jedem Kind aus Hygienegründen eine neue Sonde verwendet werden muss, was zu einer enormen Kostensteigerung führen würde.
Zudem macht Dr. Feil deutlich, dass ein Herzscreening kein Zauberwerk ist. „Bei dem Pulsoxyscreening werden keine Herzfehler ohne Blausucht zuverlässig entdeckt. Etwa 25 bis 30 Prozent der Herzfehler werden auch hier übersehen. Und leider sind es die gleichen Herzfehler, die auch bei der pränatalen Untersuchung übersehen werden.“
Die meisten Babys sind gesund
Wichtig ist dem Mediziner dennoch, keine Panik unter Schwangeren und jungen Eltern entstehen zu lassen. „Die meisten Babys sind gesund und das sind die schönsten Ergebnisse.“
Prof. Dr. Markus Knuf ist Direktor der HSK-Klinik für Kinder und Jugendliche in Wiesbaden, die gemeinsam mit der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin ein Perinalzentrum bildet, in dem nach einer Studie der Europäischen Union Neugeborene trotz Frühgeburt nicht nur die besten Überlebenschancen haben, sondern auch für eine Entwicklung ohne Spätfolgen. Er beurteilt die Diskussion zwiespältig, zumal ein Screening keine hundertprozentige Garantie bedeutet. „Diese Frage ist letztendlich noch offen, problematische Herzfehler würden wohl häufiger entdeckt werden.“
Generell befürwortet er ein solches Angebot. „Ich bin eher dafür, sehe aber auch die Nachteile wie falsch positive Befunde durch andere Ursachen, Kommunikation und Nachsorge.“
Diagnose schon in der Schwangerschaft?
Auch die Krankenkassen sind sich uneins, zeigen AOK und Barmer beispielhaft.
Laut AOK Hessen-Sprecher Stephan Gill können Kundinnen über die gesetzlichen Ultraschalluntersuchungen hinaus diagnostische Möglichkeiten nutzen, die deutlich über den gesetzlichen Leistungskatalog hinausgehen. Besonders relevant für das Thema Herzgesundheit seien der Farbdoppler-Ultraschall und der 3-D-Ultraschall. „Beide Untersuchungsmethoden können erste Hinweise auf mögliche Unregelmäßigkeiten der kindlichen Herztätigkeit geben – schon im Mutterleib. Zusammen mit den genannten Untersuchungen im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinie und den beiden initialen U-Untersuchungen existiert damit ein breites Spektrum diagnostischer Möglichkeiten. Werden dabei Auffälligkeiten entdeckt, sind die nachfolgenden Untersuchungen ohnehin über die elektronische Gesundheitskarte abrechnungsfähig.“
Wird die Untersuchung Kassenleistung?
Die Barmer wiederum gehört zu den Kassen, die regional die Kosten von 75 Euro für das Herzscreening im Marienhospital übernehmen. „Die Diagnose und Therapie angeborener Herzfehler hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Dies gilt insbesondere für die kritischen angeborenen Herzfehler. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe sehr verschiedener Herzerkrankungen, bei denen durch eine frühe Operation das Langzeitüberleben verbessert wurde. Dies betrifft etwa zehn Prozent der circa 8000 Neugeborenen mit angeborenem Herzfehler, die jedes Jahr zur Welt kommen“, weiß Pressereferentin Katharina Steinbach.
„Das verbesserte Überleben hängt allerdings von einer frühen Diagnose und korrigierenden Behandlung ab. Aber gerade bei Neugeborenen können typische Hinweise auf Herzfehler wie Herzgeräusche und sichtbare Blaufärbung der Haut- und Schleimhäute fehlen.“
Im November 2012 sei im gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen worden, ein Bewertungsverfahren für das Screening auf schwere angeborene Herzfehler mittels Pulsoxymetrie einzuleiten. Derzeit prüft der Unterausschuss Methodenbewertung die medizinischen Datengrundlagen. „Wenn diese Bewertung positiv abgeschlossen wird, kann diese Leistung in den Leistungskatalog der der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden.“