Diagnose Schreibaby: Babys finden nicht zur Ruhe
Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Daniel kommt nach Hause. Noch vor ein paar Wochen hat Maike diesen Moment sehnlichst erwartet, denn sie brauchte dringend eine Pause. Ihr Sohn Karl, drei Monate alt, schrie tagein, tagaus fast ohne Unterlass: Sein kleines Gesicht rot und verzerrt, die Augen zusammengekniffen, die Fäustchen geballt. Er brüllte stundenlang, als sei etwas Schreckliches geschehen.
Ist mein Kind ein Schreibaby?
Zirka 20 % der Neugeborenen kämpfen mit einer Dreimonatskolik. Typischerweise beginnen die Schreiattacken etwa zwei Wochen nach der Geburt und dauern etwa drei, höchstens vier Monate, selten auch länger an.
Schreibabys lassen sich nicht einfach beruhigen wie andere Babys. Sie weinen scheinbar grundlos und anhaltend – mindestens drei Stunden am Tag an wenigstens drei Tagen pro Woche und mehr als drei Wochen lang. Das besagt die sogenannte „Dreierregel“ für die Diagnose.
Oftmals sind krampfhafte Bauchschmerzen die Ursache für das lang anhaltende Brüllen von Schreibabys. Sie treten besonders am späten Nachmittag und in den frühen Abendstunden auf, meist während oder kurz nach der Mahlzeit. Trotzdem vermuten Ärzte heute, dass das schmerzende Bäuchlein nur eine der Ursachen ist. Auch die Reife der Kinder bei der Geburt spielt eine Rolle: So reagieren besonders empfindsame oder temperamentvolle Kinder besonders sensibel auf ihre Umwelt.
Wichtig ist, insbesondere nach problematischen Schwangerschaften oder Geburten, das Baby auf das sogenannte KiSS-Syndrom untersuchen zu lassen.
Kinderwagen fahren, für eine Einkaufsrunde ins Tragetuch packen – all das brachte nur für kurze Zeit Entspannung, Karl wirkte zwar zufriedener. Doch kaum aus dem Wagen oder dem Tuch heraus, begann das Weinen und Brüllen von neuem. Einen Schnuller lehnte Karl ab. Und wenn er mal einschlief, dann vor Erschöpfung und auch nur von kurzer Dauer. Karl ist ein Schreikind – genau das, was Maike sich niemals hätte vorstellen können.
Was bedeutet Schreikind?
Dass Babys schreien, ist völlig normal. Doch es gibt eine Grenze, ab der ein schreiender Säugling als „Schreibaby“ gilt: Dann nämlich, wenn ein Baby ohne ersichtlichen Grund mehr als drei Stunden am Tag an mehr als drei Tagen in der Woche weint, und dieses Schreien über einen Zeitraum von mehr als drei Wochen anhält. Das besagt die Dreierregel, die der amerikanische Kinderarzt Morris Wessel vor 60 Jahren formuliert hat.
Maike und Daniel waren mit Karl beim Kinderarzt und beim Osteopathen, um abzuklären, ob es organische Ursachen für das Schreien gibt. Ein gutes Ergebnis: Ihr Säugling ist gesund.
Oftmals sind Dreimonatskoliken schuld
Karl leidet wie viele Schreibabys unter einer Dreimonatskolik. Sein noch nicht ausgereiftes Verdauungssystem verursacht Blähungen und Bauchschmerzen – vom ständigen Schreien noch verstärkt. Maikes Hebamme empfiehlt, regelmäßig in ruhigen Minuten Karls Bauch zu massieren und ihn fest eingewickelt im Tragetuch zu tragen. Befreundete Eltern tun sich eher schwer mit Ratschlägen: Klar, auch ihre Kinder schreien, aber längst nicht so viel und so vehement. An den Besuch einer Eltern-Kind-Gruppe denkt Maike nicht einmal. „Ich traute mich mit meinem kleinen Schreihals da gar nicht hin.“ Ihre Mutter kam in dieser schweren Zeit nur selten zu Besuch. Sie wusste einfach nicht, wie sie reagieren sollte, wenn ihr Enkel sich weder durch gutes Zureden noch durch Spielen beruhigen ließ.
Schreibabys: übermüdet und überreizt
Nicht nur tagsüber, auch nachts hielt der kleine Karl seine Eltern mächtig auf Trab. In der Nacht ein paar Stunden am Stück schlafen? Unmöglich! Und das bei einem Job, der Daniel ziemlich schlaucht. Das Leben als junge Familie hat sich der junge Vater ganz anders vorgestellt. „Ich versuchte, der Situation zu Hause aus dem Weg zu gehen, weil ich das Weinen und Brüllen kaum mehr aushielt“, gesteht er. Eine liebevolle Beziehung aufbauen? „Wie soll das funktionieren, wenn der andere einen nur anschreit?“
Wo finde ich Hilfe?
Regionale Schreibabyambulanzen findest du auf
Deine Region ist nicht dabei? Hier gibt es eine Liste der Schreiambulanzen im gesamten Bundesgebiet. www.elternsein.info/suche-schreiambulanzen/
Beratungsstellen:
Der Verein Rückhalt e.V. mit seinen Beratungsstellen und SchreiBabyAmbulanzen bietet Rückhalt für werdende Eltern und junge Familien in Krisensituationen. www.rueckhalt.de
Infobroschüre
Psychologin Marion Dominiak-Keller hat eine Broschüre erstellt: „Schreibabys. Junge Eltern im Stress“. Du kannst sie beziehen über das
FamilienGesundheitsZentrum
Neuhofstraße 32 H
60318 Frankfurt am Main
www.fgzn.de
Doch Babys jammern nicht, um ihre Eltern zu ärgern, sondern um auf ein Bedürfnis aufmerksam zu machen. Wollte man das Schreien übersetzen, hieße das ungefähr: „Ich weiß nicht, was los ist, aber irgendetwas stimmt nicht. Ich brauche eure Hilfe.“ Dass es für Eltern so unerträglich ist, ihr Baby weinen zu hören, hat die Natur extra so eingerichtet. Schreien ist für Babys überlebenswichtig, wie sonst sollten sie auf sich aufmerksam machen? Säuglinge haben noch keine andere Sprache, um zu zeigen, dass sie Zuwendung brauchen oder etwas geschehen ist, das sie aus dem Gleichgewicht bringt, sie ängstigt oder freut.
Schreibabyambulanz hilft verzweifelten Eltern
Was einem Schreibaby fehlt, ist nicht einfach zu beantworten. Bei vielen ist es – so paradox es klingen mag – die Ruhe. Oft sind sie übermüdet und überreizt. Denn Neugeborene sind noch nicht „reif“ für die große weite Welt, die so viele Reize bietet, dass ein kleiner Kopf sie nicht verarbeiten kann. Das macht vor allem sensiblen Babys zu schaffen. Ihr Ventil: stundenlanges Brüllen statt Schlafen. Schreibabys sind also nicht wütend, sondern ruhelos und müde.
Maikes Kinderarzt gab ihr den Rat zu einer Schreiambulanz zu gehen. Hier konnte sie alles loswerden: dass sie sich so sehr auf ihr Baby gefreut hat und nun so enttäuscht und wütend ist. Dass sie das Schreien komplett überfordert, dass sie Angst hat, zu versagen, weil sie ihr Kind manchmal einfach nur noch ins Bett legen und keinen Mucks mehr hören will. Im Gespräch erfuhr sie, dass sie mit den widersprüchlichen Gefühlen von Wut und Liebe alles andere als alleine ist. Jedes vierte bis fünfte Kind schreit besonders viel. Ein Trost, wenn auch nur ein schwacher.
Expertenrat
Empathie hilft untröstlichen Babys
„Die Erfahrungen aus unserer Sprechstunde für unruhige Babys zeigen, dass das untröstliche Weinen eine Reaktion der Babys auf die mitunter überwältigenden bzw. traumatisierenden Erfahrungen unter ihrer Geburt ist. Gründe hierfür sind Stress, Schmerzen und Verlassenheitsgefühle (z. B. aufgrund einer Trennung von der Mutter nach der Geburt) oder auch eine als stressreich empfundene Schwangerschaft. Wir erleben in unserer Arbeit, wie sich die Babys zunehmend beruhigen, wenn Eltern mitfühlend reagieren und ihren Babys glaubhaft versichern, dass diese schmerzhafte Zeit nun vorbei ist und sie jederzeit für sie da sind. Für die Entspannung und das Wohlergehen des Babys ist es wichtig, dass sich Mutter und Vater selbst wieder mehr spüren und gut für ihre eigene Entspannung sorgen.“
Dipl.-Sozialpädagogin Leonore Schicktanz leitet das FamilienHaus Kastanie in Berlin. Sie ist Körpertherapeutin für Pränatale- und Geburtstherapie sowie Mutter von drei Kindern.
Mehr Infos zum FamilienHaus Kastanie: www.pad-berlin.de
Mit Liebe den Teufelskreis durchbrechen
Auf den Rat der Schreibaby-Expertin hin begannen Maike und Daniel ein Schlafprotokoll zu führen: Sie beobachteten, nach welchen Aktivitäten und in welchen Situationen das Schreien schlimmer oder besser wurde. Karl nimmt zwar immer noch keinen Schnuller, aber er nuckelt wenigstens am Finger seiner Mutter und kommt dadurch für kurze Phasen etwas zur Ruhe. Maike versucht nun – auch wenn es ihr anfangs noch schwerfällt – trotz des Teufelskreises von Schreien, Verzweiflung, Wut und Ablehnung das kleine Wesen so zu akzeptieren und zu lieben, wie es nun mal ist. Dafür nimmt sie ihren Sohn während des Schreiens auf den Arm, so wie sie es in der Schreiambulanz besprochen hatten, um ihm ein Gefühl von Sicherheit und Nähe zu geben. Es gelingt ihr immer besser, den Blickkontakt zu halten, selbst wenn er sie anschreit. Für den kleinen Karl bedeutet das: „Mama ist da.“ Mit der Zeit merkt Maike, dass ihr Sohn erst für einen Moment, dann auch länger sein Schreien unterbricht. Das ist ein Meilenstein.
Und Daniel? Er kommt jetzt oft früher nach Hause, um Maike abzulösen. Auch wenn das Schreien nicht aufgehört hat, so wird es doch weniger und erträglicher. Dank der Hilfe in der Beratungsstelle und der bedingungslosen Liebe konnten Maike und Daniel die Abwärtsspirale bremsen.
Wie du dein Baby beruhigen kannst?
Trage dein Baby im Tragetuch, dann hat es viel Körperkontakt. Gleichzeitig schützt du es vor zu vielen Außenreizen und die Position erinnert sehr an das Eingehülltsein im Mutterleib.
Auch Pucken kann eine Lösung für dein Schreikind sein: Fest eingewickelt fühlt es die Begrenzung. Da rudernde und wilde Armbewegungen so kaum möglich sind, verhindert das Pucken, dass sich dein Baby noch mehr ins wilde Um-sich-Schlagen reinsteigert.
Manche Babys mögen den direkten Hautkontakt und genießen eine langsame Bauchmassage im Uhrzeigersinn mit Fenchel- oder Kümmelöl. Hier findest du eine Anleitung für die Babymassage
Manchmal hilft auch Ablenkung: Eine Fahrt mit dem Kinderwagen oder ein Spaziergang im Tragetuch oder in der Trage können Wunder wirken.
Auch das passende homöopathische Mittel kann zur Beruhigung deines Kindes führen. Dazu fragst du am besten deine Hebamme oder deinen Kinderarzt. In unserer Reihe „Homöopathie“ erfährst du Grundsätzliches über diese Alternativmedizin.
Experten-Interview
Familientherapeutin Ute Kalvelis (54) berät Eltern in der Essener Schreikindambulanz.
Experten-Interview: Mögliche Ursachen und Tipps
kidsgo: Frau Kalvelis, was dürfen Eltern von einem Besuch in der Schreiambulanz erwarten
Kalvelis: Unser Angebot ist Soforthilfe, um den Druck aus der Situation zu nehmen. Eltern dürfen erwarten, dass wir Ansatzpunkte finden, warum ihr Baby mehr schreit als andere. Wir entwickeln gemeinsam Änderungen im Umgang mit dem Säugling. Aber ein Patentrezept, mit dem sich wie auf Knopfdruck das Schreien abstellen lässt, gibt es nicht.
Was steht am Anfang der Beratung?
Ich schaue mir die Familienkonstellation an, sowohl die Geschichte als auch die aktuelle Situation: War bereits die Schwangerschaft problematisch, war die Geburt schwer? Alle diese Faktoren können ein Baby unter Stress setzen. Auch die Erfahrungen der Eltern, ihre eigene Kindheit, ihre aktuelle Lebenssituation, Stressfaktoren und Erwartungen sind wichtige Anhaltspunkte.
Welche konkreten Tipps geben Sie den verzweifelten Eltern?
Manchmal führen schon Kleinigkeiten zum Erfolg. Etwa, dass die Eltern ihr eigenes Tempo drosseln. Für den Säugling ist alles neu, er ist von den vielen Eindrücken schnell überfordert. Deshalb sollten Eltern dieser besonders empfindsamen Babys schnelle Wechsel vermeiden, weniger Input an Spielen und Ablenkung bieten, nicht zu viele Aktivitäten planen. Stattdessen rate ich, den Tagesablauf klar zu strukturieren und regelmäßig für Ruhephasen zu sorgen. Das schafft Entspannung. Ganz wichtig ist auch, auf familiäre Ressourcen hinzuweisen – auf Verwandte, die sich zumindest für eine Stunde um das Baby kümmern können und so die Eltern entlasten.
Viele Eltern fragen sich, warum ihr Baby so schreit. Welche Gründe kann das haben?
Es ist möglich, dass das Kind besonderen Förderbedarf hat, weil es angeborene Auffälligkeiten aufweist. Oder es kann Reize schlecht verarbeiten und hat Schwierigkeiten, sich nach einem freudigen oder schmerzhaften Ereignis wieder zu beruhigen. Auch Sorgen der Eltern können dem Kind Stress bereiten. Die Familie ist ein Gefüge, jeder trägt seinen Teil zur Anspannung oder Entspannung bei, denn die eigene Belastung überträgt sich auf das Kind. In der Beratung sehe ich, wie die Familienmitglieder miteinander umgehen. Ob die Eltern ihr Kind verstehen, ob sie seine Reaktionen richtig deuten. Dieses Verständnis versuche ich zu fördern. Denn letztlich geht es darum, einen Zugang zu finden und nach kleinen Anhaltspunkten zu suchen, um die Beziehung zueinander zu stärken.
Welche äußeren Faktoren können Ursachen sein?
Ich erkundige mich nach Stressfaktoren, nach Sorgen, nach dem Wohnumfeld – es ist ein Unterschied, ob ich mit einem Schreikind im freistehenden Einfamilienhaus wohne oder ob der Untermieter mit dem Besen an die Decke klopft und sich über das Geschrei beschwert. Auch die Beziehung der Eltern zueinander oder psychische Belastungen spielen eine Rolle.
Was ist das Wichtigste, das Sie Eltern mit auf den Weg geben?
Eltern zweifeln oft an sich und haben Angst zu versagen oder dem Druck nicht gewachsen zu sein. Ein entscheidender Schritt ist, das Schreien ertragen zu können, sein Kind trotz Geschrei anzunehmen: Schreien ist ein Ausdruck, der nicht gestoppt werden muss, auch dann nicht, wenn gerade nichts „Schlimmes“ passiert ist. Wer es schafft, sein schreiendes Kind auf den Arm zu nehmen, liebevoll zu schaukeln, ihm beruhigend zuzureden, der hat schon einen entscheidenden Schritt getan.
Frau Kalvelis, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Tipps von und für Eltern mit Schreibabys
Rat einer Schreikind-Mutter - Schreibabys gibt es überall – auch unter den über 50 Kindern der kidsgo-MitarbeiterInnen. Anne Richter erzählt, was ihr in dieser anstrengenden Zeit geholfen hat.
„Lotta schrie vom ersten Tag an laut, schrill und fast pausenlos. Nachdem unser Kinderarzt und Osteopath gesundheitliche Ursachen aus- geschlossen hatte, war ich einerseits beruhigt, andererseits aber sehr hilflos. Bald wurde das Stillen zu den ruhigsten Momenten für uns bei- de. Doch das Schreien danach und dazwischen, tagsüber und nachts, dieser ständige Daueralarm wurde unerträglich.
Ich gab mir alle Mühe, alles richtig zu machen, trotzdem blieb Lotta angespannt und unzufrieden. Hilflosigkeit, Wut und die Sorge, alles falsch zu machen, quälten mich. Irgendwann fasste ich den Entschluss, ehrlich zu mir zu sein, mich selbst nicht mehr zu belügen und auch anderen meine Not und Gefühle zu offenbaren. Mein Kinderarzt bot mir an, meine Tochter jederzeit vorbeibringen zu können, bevor ich durchzudrehen drohte. Und meine Nachbarin klopfte mir Rat einer Expertinauf die Schulter und meinte, auch diese kleine Alarmanlage sei irgendwann groß, und berichtete von anderen Müttern mit ähnlichen Erfahrungen. Dieser Austausch tat mir gut, denn er zeigte, dass ich nicht allein war und man auch diese Zeit übersteht. Um durchzuatmen und Kraft zu tanken, suchte ich mir einen Abendkurs mit Yoga und Pilates.
Im Nachhinein kann ich allen Müttern von Schreibabys nur empfehlen: Seid ehrlich zu euch, akzeptiert euer Kind, so wie es ist, und steht dazu. Das hilft euch gelassener zu werden. Ihr werdet sehen, wie viel Verständnis euch entgegengebracht wird. Nehmt jede Unterstützung von eurem Partner, den Großeltern oder Freundinnen an und nutzt diese freie Zeit nur für euch. Findet einen Ausgleich, etwas das euch gut tut, um einfach mal durchzuatmen. Diese schwere Zeit geht zum Glück früher oder später vorbei.“
Paula Diederichs (59), Diplom-Sozialpädagogin mit einer Ausbildung in Körperpsychotherapie, erklärt, was Eltern gegen Verzweiflung, Schlafmangel und Aggression tun können. Seit über 20 Jahren hilft sie Schreibaby-Eltern.
„Schreibaby-Eltern sollten auf keinen Fall versuchen, das Problem allein zu bewältigen. Viel ist schon gewonnen, wenn sich die Eltern klar darüber werden, in welch schlechter Verfassung sie sind, wie verzweifelt und erschöpft. Wichtig ist dann, einen Plan zu machen, um sich gegenseitig zu entlasten. Das heißt: sich bei der Betreuung des Kindes abzuwechseln, aber auch Ressourcen zu nutzen und für die Betreuung die Großfamilie und/oder Freunde miteinzubeziehen. Damit die erschöpften Eltern genug Schlaf bekommen, sollten sie sich auch nachts abwechseln, damit immer einer von ihnen länger am Stück schlafen kann. Denn schon nach drei Nächten ohne Schlaf können insbesondere Mütter in einen physisch und psychisch sehr labilen Zustand abrutschen.
Vor allem für Mütter von Erstgeborenen ist das Elternsein eine noch unbekannte Situation, sie wollen alles perfekt machen. Dieser Perfektionismus führt dazu, dass sie sich noch mehr an- strengen. Die Erschöpfung nimmt weiter zu, sie bekommen zu wenig Schlaf und das ständige Herumtragen entkräftet sie zusätzlich. Je höher aber der Erschöpfungsgrad, desto eher kann es zu einer Affekthandlung kommen. Schreibaby-Eltern sind in einer Art Ausnahmezustand, entwickeln oft Gewaltfantasien. Ich vergleiche die Mütter gerne mit einem Reh, das gejagt wird und nie zur Ruhe kommt. Merken Eltern, dass die Nerven blank liegen und sie kurz vorm Durchdrehen sind, ist es wichtig, dass sie im ersten Schritt ihre negativen Gefühle erkennen.
Dann heißt es: Kind in eine sichere Umgebung packen, beispielsweise in sein Gitterbettchen, dann den Raum verlassen und erst einmal tief durchzuatmen. Das Realisieren der Situation ist wichtig, damit die Ampel nicht von Orange auf Rot springt. Den Eltern in der Schreibabyambulanz rate ich Folgendes: „Wenn du merkst, dass du so richtig wütend bist, dann hau mit den Fäusten in die Kissen, schrei deine Aggression aus dir heraus oder knall einen Pezziball gegen die Wand.“