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Babys weinen: Was dir dein Kind sagen will

Ein weinendes Baby fordert Eltern emotional heraus – bis zur eigenen Schmerzgrenze, bis zur Verzweiflung. Wichtig zu wissen: Babys schreien nicht grundlos, sondern weil sie ein Bedürfnis haben. Sie sind darauf angewiesen, dass wir für sie da sind und reagieren. Lerne, das Baby-weinen besser zu verstehen.

In diesem Artikel:

Warum weinen Babys?

Artgerecht?

Das klingt nach glücklichen Kühen, nach „bio“ und Nachhaltigkeit. Aber wie steht’s mit uns Menschen? Wie wächst ein Baby artgerecht auf?

Lies hier, was Nicola Schmidt damit meint!

Tatsächlich gibt es sie: die Babys, die nie schreien. Stattdessen quengeln und knöttern sie, bis endlich Mama oder Papa kommt. Die anderen werden wach und sind sofort auf 120 Dezibel Alarm. Wie lautstark ein Kind sich meldet und mit seinen Eltern kommuniziert, ist eine Frage des Temperaments und darum auch nicht einfach so regulierbar. Fakt ist: Alle Babys überall auf der ganzen Welt weinen – und jedes individuell auf seine Art und Weise.

„Babys schreien immer dann, wenn ihr System aus der Balance geraten ist“, erklärt Nicola Schmidt, Gründerin des Projekts artgerecht und Autorin des gleichnamigen Buchs. Die Gründe, warum Babys Welt aus den Fugen gerät, sind vielfältig.

Weinen als Bedürfnis: Wenn deinem Baby etwas fehlt

Babys weinen, wenn sie Hunger haben, eine nasse Windel sich unangenehm anfühlt oder die Kleidung zwickt. Sie weinen, wenn sie das Bedürfnis nach Nähe haben, müde sind oder – im Gegenteil – sich langweilen und Anregung brauchen. Jedes unerfüllte Bedürfnis fühlt sich für ein Baby schrecklich an. Weinen ist Ausdruck dieser Notlage.

Der Schweizer Kinderarzt Dr. Cyril Lüdin unterscheidet neben diesem sogenannten Bedürfnisweinen noch zwei weitere Arten des Babyweinens: das Resonanzweinen und das Erinnerungsweinen.

Weinen als Resonanz: Wenn dein Baby mitschwingt

Babys sind den Reizen ihres Umfeldes mehr oder minder schutzlos ausgeliefert. Sie nehmen die Stimmung aus ihrer Umwelt wahr und auf und schwingen mit ihnen mit. Ein Fernseher, der pausenlos läuft, Besuche, die nicht enden, unausgesprochene Konflikte in einer Partnerschaft oder ein offener Streit, das Unwohlsein oder der Stress von Mama oder Papa – all das bekommt auch das Baby mit. Wird es ihm zu viel, gerät sein kleiner Organismus unter Stress. Resonanzweinen nennt der Schweizer Kinderarzt Dr. Cyril Lüdin diese Art des Weinens. Mit ihrem Weinen und Schreien teilen die Minis mit, dass auch sie sich gerade unwohl fühlen, dass sie dringend Hilfe brauchen.

Weinen aus Erinnerung: Wenn Babys Nervensystem Alarm schlägt

Schon Babys träumen. Sie können ihre Träume aber noch nicht einordnen. Ebenso können Gerüche, Geräusche oder Bewegungen bei deinem Kind Erinnerungen aus der Zeit im Mutterleib oder beim Geburtsprozess wecken und das kindliche Nervensystem in Alarmbereitschaft versetzen. Die Reaktion darauf: Weinen.

Schon während der Schwangerschaft teilen Eltern ihre Gefühlslagen mit dem ungeborenen Kind. Das Kind im Bauch fühlt die Wut, die Trauer, die Ängste aber auch die Freude ungefiltert mit. Wir können unser Baby nicht vor all diesen Erlebnissen schützen. Manchmal ist ein Tag einfach stressig, oder etwas Aufregendes oder Trauriges beschäftigt uns. Damit kommen Babys klar. Wenn das Kind dann wiederum miterlebt, wie du dich freust oder wie du entspannst, ist es andersherum für dein Kleines auch eine große Wohltat, in diesem Gefühl mitschwingen zu können.

Ein Baby, das schreit, hat Stress. Und es braucht – ganz egal, aus welchem Grund es weint – zu allererst Nähe und Menschen, die ihm helfen, sein aufgebrachtes Nervensystem zu regulieren. Es braucht das Gefühl, wahrgenommen zu werden und liebevoll in Verbindung zu sein. Es braucht Eltern, die sich ihm zuwenden und zu verstehen geben: Ich bin da für dich!

Sei da, wenn dein Baby weint

„Job der Eltern ist es, das Bedürfnis ihres Babys zu befriedigen“, sagt Nicola Schmidt. Damit ist die Stellenbeschreibung „Eltern“ klar umrissen. Das heißt aber nicht, dass Mutter oder Vater bei ihrem Job nie Fehler machen dürfen.

Manchmal geben wir alles und brauchen trotzdem Ewigkeiten, um herauszufinden, worauf unser Baby uns aufmerksam machen will. „Nicht schlimm“, versichert Nicola Schmidt. „Wir müssen es an dieser Stelle nicht immer richtig machen. Wir müssen dem Kind nur das Gefühl vermitteln, ich bin da.“

Das Schlimmste für ein weinendes Baby sind nicht Eltern, die in ihrer Interpretation der kindlichen Bedürfnislage mal danebengreifen, sondern Eltern, die sich abwenden und das Kind mit sich und seiner Not allein lassen.

Dein Baby kann sich nicht selbst beruhigen

Die Verbindung zwischen Eltern und Kind reißt ab, wenn wir das schreiende Baby physisch von uns weg ins Nebenzimmer schieben. Damit es vermeintlich lernt, sich selbst zu beruhigen, was heutzutage leider immer noch gern als Argument fürs Schreienlassen angeführt wird.

Ein folgenreicher Trugschluss: Tatsächlich beruhigen diese Kinder sich nicht, sondern sie resignieren.

Aber Achtung! Die Verbindung droht auch dann zu reißen, wenn Eltern sich selbst mit ihren Ansprüchen bis zur totalen Erschöpfung unter Druck setzen und dann dem Ohnmachtsgefühl erliegen, trotzdem nicht alles lösen zu können. Solche Ohnmachtsgefühle verhindern, sich gut mit seinem Kind verbinden zu können. Genau, das ist es aber, was das weinende Kind am meisten braucht.

Entspannte Eltern, entspannte Kinder? Mitnichten!

Ein Teufelskreis, aus dem es nur einen Ausstieg gibt: anerkennen, dass das Leben eben nicht immer leicht, geschweige denn perfekt ist – und auch ein Kind, selbst bei bestem elterlichem Bemühen, nicht immer ruhig und ausgeglichen sein kann. Anerkennen, dass das Stillen nicht an Tag drei schon ein perfektes Zusammenspiel zwischen Mutter und Kind sein muss. Das ist es manchmal an Tag 30 noch nicht.

Und nein. Entspannte Eltern ist nicht gleichbedeutend mit entspannten Kindern! Eine Annahme und eine Aussage anderer, die Eltern zusätzlich unter Druck setzt.

Schön und gut … bleibt aber weiterhin die Frage: Was hilft, um das Babyschreien möglichst zu verhindern und das weinende Baby zu beruhigen?

Babys weinen lassen oder nicht?

Auch bei einem Baby lässt sich körperliche Anspannung nicht auf Knopfdruck ausschalten, das Stresssystem ist in Aufruhr, Stresshormone durchfluten den kleinen Menschen. Ist der kleine Körper also erstmal im Stressmodus, braucht es oft ein längeres Gehaltenwerden und Beruhigen, damit das Baby das Gefühl „Ich bin in Sicherheit“ entwickeln, sich entspannen und sich – im wahrsten Sinne des Wortes – in den Schlaf fallen lassen kann. Dazu braucht es dich: Es muss dich fühlen, deine Nähe spüren. Der Tastsinn bei deinem Säugling ist von Geburt an sehr gut ausgebildet; der enge Körperkontakt mit dir, zum Beispiel beim Tragen, Kuscheln oder Stillen, setzt bei deinem Baby das Bindungshormon Oxytocin frei. Auch wenn dein Baby, auf deinem Arm schreit: Es ist messbar, dass dabei sein Puls wesentlich niedriger bleibt und sein Herz-Kreislauf-System weniger belastet wird als bei einem Kind, das schreiend weggelegt wird. Getragenes Leid ist für das Kind erträglicheres Leid.

Alle Babys weinen – es ist ihre Art, sich mitzuteilen

Noch immer weit verbreitet ist der Mythos, dass Babys von Naturvölkern niemals weinen würden. Das stimmt nicht – alle Babys dieser Welt weinen. Es ist ihre Art der Kommunikation, wie sonst sollten sie sich mitteilen?
Tatsächlich ist aber zu beobachten, dass Babys in Kulturen, in denen sie viel getragen werden, viel unmittelbaren Hautkontakt haben, nach Bedarf gestillt werden und ihre Mütter sozial eingebettet in größeren Gemeinschaften leben, kürzer weinen. „Das verwundert nicht“, meint Nicola Schmidt. Oft braucht es Erfahrung, um auf Anhieb zu erkennen, warum ein Baby weint. Woher soll eine Mutter beim ersten Kind diese Erfahrung haben? Lebt sie aber in einer Gemeinschaft eng zusammen mit anderen erfahrenen Müttern, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine von ihnen „das Rätsel des Schreiens“ löst.

Wann weinen Babys am meisten?

Weltweit lässt sich ein sogenannter Schrei-Peak beobachten. Das Weinen von Babys, für das schwer ein konkretes Bedürfnis auszumachen ist, nimmt bei fast allen Kindern ab der Geburt bis zur fünften bis achten Lebenswoche kontinuierlich zu. Danach nimmt es bis zum dritten Lebensmonat wieder ab. Der 2020 verstorbene Schweizer Kinderarzt und Buchautor Remo Largo vermutet, dass dies mit der Reifung des Gehirns, die in dieser Lebensphase besonders schnell erfolgt, und der Entwicklung des kindlichen Schlaf-Wach-Rhythmus zusammenhängt.  

Babys Hungerzeichen

Babys zeigen in der Regel schon, bevor sie schreien, dass sie Hunger haben. Erkennen lässt sich das zum Beispiel …

  • … am sogenannten Suchreflex – das Baby dreht rasch seinen Kopf hin und her
  • … daran, dass das Baby schmatzende Laute von sich gibt
  • … daran, dass das Baby strampelt und mit Beinen und Armen rudert
  • … daran, dass das Baby an den eigenen Fingerchen oder Fäustchen lutscht und saugt

Gebt euch Zeit, euer Baby zu verstehen!

Vorab: Babys weinen! Zwei Stunden am Tag sind für die Kleinen in den ersten drei Lebensmonaten keine Seltenheit. Ein Säugling, der Hunger oder Durst hat, teilt sich oft schon vor dem Weinen zum Beispiel über suchende Kopfbewegungen oder das Saugen an den eigenen Fingern mit.

Übersehen Eltern diese Zeichen, ist Schreien das effektivste Mittel, um auf ein Bedürfnis aufmerksam zu machen. Elternaufgabe ist es, auf das Weinen zu reagieren. Nicht immer können Mama und Papa sofort verstehen, was genau das Problem ist. Das ist völlig normal.
Je mehr Erfahrung Eltern haben, je besser sie ihr Baby kennengelernt, seine Körpersprache gelesen haben, desto schneller und leichter wird es ihnen gelingen, herauszufinden, welches Bedürfnis sich hinter dem Schreien verbirgt.

Ein hungriges Baby braucht Nahrung. Ein müdes Baby muss schlafen. Ein überreiztes Baby braucht Ruhe. Eines aber brauchen weinende Babys immer: uns.

Das könnt ihr als Eltern tun, um Phasen des unspezifischen Schreiens am Abend vorzubeugen

  • Atme durch: Erinnere dich selbst immer wieder daran, bewusst ein- und auszuatmen. Wer sich selbst wahrnimmt, kann Verbindung zu anderen aufbauen.
  • Slow down: Lass dich ein auf die wesentlich langsamere Welt deines Babys. Du wirst sehen: Das tut auch dir gut.
  • Suche Verbündete: Mit einem Baby allein zu sein, kann sich ziemlich einsam anfühlen. Wir Menschen sind soziale Wesen. Wenn du dich mit anderen, die dich verstehen, austauschst, senkt das deinen Stresslevel.
  • Finde deinen Rhythmus: Versuche, deinen eigenen Rhythmus zu finden. Er wird auch deinem Kind irgendwann eine gewisse Orientierung bietet. Aber: ohne den Druck, diesen Rhythmus auf „Teufel komm raus“ einhalten zu müssen.
  • Sei präsent: Leg in intensiven Phasen dein Smartphone zur Seite: beim Stillen, beim Augenkontakt-Herstellen, beim Leise-mit-dem-Baby-Sprechen. Augenkontakt sorgt übrigens dafür, dass Serotonin ausgeschüttet wird. Serotonin hat eine positive Wirkung auf die Stimmungslage deines Babys und seinen Schlaf-Wach-Rhythmus.
  • Bleib in Körperkontakt: Trage dein Baby über den Tag verteilt und lass es deine Nähe spüren. Reminder: Dein Baby ist ein Tragling!
  • Beobachte dein Baby: Mit jedem Tag lernt ihr – dein Baby und du – euch besser kennen, und es wird leichter seine Körpersprache zu deuten.

Und wenn Kleinkinder weinen?

Genau wie Babys schreien auch Kleinkinder, weil ihre Welt aus den Fugen geraten ist. Neben den ganz basalen Bedürfnissen wie Hunger und Müdigkeit drücken sie im Schreien aber auch oft das Gefühl aus: „Ich bin frustriert.“ Und zwar dann, wenn ihr gerade erwachtes Bedürfnis nach Selbstbestimmung angegriffen wurde. Wie oft und wie lautstark das geschieht, ist wieder eine Frage des Temperaments. Auch hier gilt: Lass dein Kind nicht allein! Bleib zugewandt, warmherzig und möglichst gelassen.