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Individuelle Impfentscheidung: Beratung hilft den eigenen Weg beim Impfen zu finden

Wenn´s ums Impfen geht, entbrennen oft hitzige Diskussionen. Beratung und ein „Individueller Impfplan“ helfen bei der Entscheidung.

In diesem Artikel:

Was ist die STIKO?

Die Ständige Impfkommission (STIKO) ist ein Expertengremium am Robert Koch-Institut in Berlin. Die STIKO bewertet Impfungen anhand von wissenschaftlichen und klinischen Daten und spricht die Empfehlungen für Schutzimpfungen aus. Dieses Gremium besteht aus rund 17 Experten – unter anderem Ärzten, Wissenschaftlern, Vertretern der Gesundheitsbehörden und Krankenkassen. Die STIKO-Empfehlungen spiegeln immer den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wider.

Impfempfehlung: Vorab informieren

Für Carmen, Mutter des vierjährigen Mateo und seiner zwei Jahre älteren Schwester Lia, ist klar, dass sie ihre Kinder nach den Empfehlungen der STIKO (s. Kasten) impfen lässt, um ihre Kinder vor Krankheiten zu schützen und auf keinen Fall ein Risiko einzugehen: „Für mich hat sich nie die Frage gestellt, ob ich meine Kinder impfen lasse oder nicht.“ Sie habe sich vorab über die STIKO-Empfehlungen informiert. Ihr zweites Argument: die gesamtgesellschaftliche Verantwortung. „Ich sehe es als meine Pflicht an, um auch andere Babys, die noch nicht geimpft werden können, zu schützen“, ist Carmens Meinung.

Auch Isabell ließ ihrer knapp drei Monate alten Tochter Sophie die erste der Sechsfach-Impfung verabreichen – doch das hatte Folgen. Ihr Baby habe mit stundenlangem Schreien auf die Impfung reagiert, erzählt Isabell. „Daraufhin informierte ich mich und war entsetzt darüber, wie wenig ich über Nebenwirkungen, tatsächliche Notwendigkeit und Inhaltsstoffe aufgeklärt worden war.“

Was ist eine Impfung?

Andrea Ulrich, Impfexpertin beim Deutschen Grünen Kreuz e. V. in Marburg: „Bei einer Impfung spritzt der Arzt abgetötete oder abgeschwächte Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren, manchmal auch nur Teile von Erregern.“ Das Immunsystem reagiert auf den Impfstoff wie auf den natürlichen, krankmachenden Keim: Es bildet Abwehrstoffe, die so genannten Antikörper, und merkt sich den Eindringling. „Taucht danach der natürliche Erreger tatsächlich auf, wird er in der Regel sofort unschädlich gemacht. Eine Erkrankung, die selbst unter modernen Behandlungsbedingungen tödlich enden kann, verläuft so sehr viel harmloser, in der Regel bricht sie erst gar nicht mehr aus“, sagt Andrea Ulrich.

Nach dieser Erfahrung und dem Wissen, das sie nun hat, würde sie heute anders entscheiden.

Damit das nicht passiert und Eltern eine klare und durchdachte Entscheidung treffen können, rät Kinderarzt Dr. Stephan Nolte, bereits vor der Geburt einen Kinderarzt aufzusuchen. „Kommen die Eltern mit einem vier Wochen alten Baby zur U3, ist der Termin völlig überfrachtet.“ Es bleibt dann kaum Zeit, um in Ruhe Fragen zu stellen. Bei einem Impfgespräch vorab aber könne man sich in einer entspannten Atmosphäre „beschnuppern“, Vorsorge- und Impfpläne besprechen. Vor- und Nachteile von Impfungen könnten erörtert und dabei individuell Babys Gesundheit berücksichtigt werden. Später bei der U3 kann dann noch sein persönlicher Start ins Leben in die Entscheidung mit einbezogen werden. „Die STIKO nimmt auf die besonderen individuellen Lebensumstände nämlich keine Rücksicht, sondern empfiehlt für alle das Gleiche“, betont Stephan Nolte. „Eltern haben aber nach dem sogenannten Patientenrechtegesetz in jedem Fall Anspruch auf eine individuelle Beratung.“

Impfentscheidung: Aufgeklärt ohne Zeitdruck entscheiden

Auch der Münchner Kinderarzt Dr. Martin Hirte empfiehlt unbedingt ein Beratungsgespräch. Er ist Mitglied im Verein Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V. Seine Mitstreiter und er wollen ausdrücklich nicht in die Schublade der Impfgegner gepackt werden, sondern plädieren für eine „differenzierte, umfassende und ergebnisoffene Beratung“ von Seiten der Ärzte, damit Eltern eine eigenverantwortliche und selbstbestimmte Impfentscheidung treffen können.

Eltern, so Martin Hirte, sollten sich bei ihrer Impfentscheidung nicht unter Zeitdruck setzen lassen: „Jede Impfung ist auch zu einem späteren als dem von der STIKO empfohlenen Zeitpunkt durchführbar und wird in der Regel sogar besser vertragen.“ Die relative Belastung durch Impfzusätze wie Aluminium oder Formaldehyd sinke mit Zunahme des Körpergewichts. Sowohl das Immunsystem als auch das Nervensystem seien mit zunehmendem Alter stabiler und weniger verletzlich. „Ein später Impfbeginn – etwa im zweiten Halbjahr oder im Laufalter – ist eine durchaus vertretbare Alternative.“

Masern-Impfung ist ab 1. März 2020 Pflicht

Jetzt ist es raus: Ab dem 1. März 2020 ist die Masern-Impfung verpflichtend. Beschlossen ist auch, dass Kitas Kinder ohne Impfung nicht aufnehmen dürfen. Halten sich die Tagesstätten nicht daran, können sie mit einem Bußgeld von 2.500 Euro belegt werden. Das gilt auch für Eltern, die ungeimpfte Kinder betreuen lassen. Das wird vermutlich zu weiteren heißen Debatten führen. Denn: Manche Eltern sehen dieses Gesetz als Eingriff in ihr persönliches Recht, sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden. Andere sehen jeden in der gesellschaftlichen Verantwortung, um beispielweise auch Säuglinge, die noch nicht  gegen Masern geimpft werden dürfen, zu schützen.

 

Unsere Experten

Dr. Klaus HartmannDr. Klaus Hartmann ist Facharzt für Arbeitsmedizin Zehn Jahre war er im Referat für Arzneimittelsicherheit des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen für die Bewertung von unerwünschten Wirkungen von Impfstoffen zuständig. Er arbeitet und lebt mit seiner Familie in Frankfurt am Main.

 

Dr. Martin HirteDr. Martin Hirte ist Facharzt für Kinderheilkunde und hat seit 1990 eine klassisch homöopathisch ausgerichtete Kinderarztpraxis mit Schwerpunkt Allergologie in München. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.

4 Fragen von Eltern zum Impfen – 2 Experten antworten

Ist es aus gesellschaftlicher Sicht unverantwortlich, sein Kind nicht zu impfen?

Dr. Klaus Hartmann: Das sehe ich als zu drastisch formuliert. Bei bestimmten Erkrankungen wie Masern ist das oft angeführte „Herdenprinzip“ nachvollziehbar, da sich die Erkrankung durch ein gutes Durchimpfen vermeiden lässt. Für andere Erkrankungen kann dieses Argument nicht unbedingt herangezogen werden.

Dr. Martin Hirte: Es gibt nur einige wenige Impfungen, auf die das Argument mit der gesellschaftlichen Verantwortung zutrifft. Das sind die Impfungen gegen Diphtherie, Kinderlähmung, Masern, Röteln und Hämophilus influenzae B. Durch sie wird ein Herdenschutz erzeugt, der auch Ungeimpften nützt.

Die Rotaviren-Impfung ist gesundheitlich umstritten. Ist sie Eltern zu empfehlen?

Hartmann: Die erste Generation der Rotavirenimpfung führte zu Fällen, bei denen Kinder einen Darmverschluss erlitten. Nach einer umfänglichen Sicherheitsstudie kam dann ein Impfstoff der zweiten Generation auf den Markt, der gut verträglich und sicher ist. Eine Rotavirenimpfung ist prinzipiell empfehlenswert. Jedoch stirbt kein Kind an einem Rotavirus. Das Schlimmste, was passieren kann, ist eine Infusion im Krankenhaus durch einen ausgelösten Magen-Darm-Infekt.

Hirte: Die Impfung verringert vorübergehend das Erkrankungsrisiko. Mittelfristig begünstigt sie jedoch die Ausbreitung von Erregerstämmen, gegen die die Impfstoffe nicht wirken, und eine langfristige Wirksamkeit ist bisher nicht nachgewiesen. Die Impfung gegen Rotaviren fällt auf durch Meldungen schwerer Komplikationen am Darm und an Blutgefäßen. Es gab auch schon Todesfälle. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist daher ungünstig.

Keine Impfung, keine Kita?

In Frankreich oder Italien sind Eltern verpflichtet, ihr Kind impfen zu lassen. Nicht so bei uns. Allerdings sind Kitas seit letztem Jahr dazu verpflichtet, Eltern beim Gesundheitsamt zu melden, wenn sie keine Impfberatung nachweisen können.

Sollten Kinder, die in die Kita gehen, gegen Masern geimpft werden?

Hartmann: Die Masernimpfung ist gut etabliert und hat wenig Nebenwirkungen. Wichtig ist jedoch, dass das Kind vor der Impfung gründlich durch den Kinderarzt untersucht wird und immunologisch fit ist. Das heißt, dass es keinen fieberhaften Infekt oder sonstige entwicklungsbedingte Verzögerungen aufweist. Das ist besonders im Hinblick auf den Masernimpfstoff, der als Lebendimpfung verabreicht wird, wichtig. Eine Infektion mit Masern kann schwer verlaufen. Darüber hinaus kann mit einer erhöhten Impfbereitschaft das gesetzte Ziel, die Masern auszurotten, erreicht werden.

Hirte: Die Kitas sind kein Ort von Masernausbrüchen, denn Kleinkinder sind zu über 95 Prozent geimpft. Masern kommen vor allem vor bei Schulkindern und Jugendlichen, in den letzten Jahren auch bei Erwachsenen. Da vor allem Erwachsene und Säuglinge von Komplikationen betroffen sind – und das sind eben auch Eltern und kleine Geschwister – sollten meiner Ansicht nach alle Kleinkinder gegen Masern geimpft werden. Der Impfschutz ist zuverlässiger und hält länger, wenn mit der Impfung bis zum Alter von 15 bis 18 Monaten gewartet wird.

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Links für deine Impfentscheidung

Webseite des Robert-Koch-Instituts: www.rki.de

Webseite der Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V.: www.individuelle-impfentscheidung.de