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Geburtsbegleitung – die hebammengeleitete Geburt

Glücklich über eine völlig problemlose Entbindung drückt Dominique S. ihren wenige Tage alten Sohn Ville-Joona an sich. Gemeinsam mit ihrem Mann Andreas hat sich die 29-Jährige zur Geburt ihres fünften Kindes für eine Variante entschieden, die bereits in einigen deutschen Krankenhäusern angeboten wird: Die hebammengeleitete Geburt ohne Ärztin und ohne Arzt.

In diesem Artikel:

Die hebammengeleitete Geburt im Krankenhaus

Das Krankenhaus Neu Bethlehem in Göttingen ist eines der deutschen Krankenhäuser, die die Geburtshilfe durch eine Hebamme und ohne ärztliches Mitwirken anbieten. Hier erblickte auch der kleine Ville-Joona das Licht der Welt. „Eine Geburt ist etwas sehr Intimes“, betont die junge Mutter, „sobald ein Arzt mit dabei ist, wird es irgendwie medizinisch, hat plötzlich etwas mit Krankheit zu tun. Das erzeugt Stress und Druck. Ich fand es sehr angenehm und entspannend, unser Kind nur im Beisein meines Mannes und meiner Hebamme zu bekommen.“

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Betreuung durch eine Beleghebamme

Nach diesem neuen Konzept wird die Schwangere von einer Beleghebamme betreut, die in der jeweiligen Klinik lediglich die Räumlichkeiten nutzt und nur im Fall von Komplikationen eine Ärztin oder einen Arzt hinzuzieht.
Eine ambulante Geburt ist ebenso möglich wie eine stationäre Aufnahme bis zu fünf Tagen. Für Hebamme Kerstin Grote-Adou, die Dominique S. bereits zum zweiten Mal auf diese Weise während der gesamten Schwangerschaft begleitete, hat diese Möglichkeit viele Vorteile: „Es ist ein gutes Gefühl, die Geburt zwar allein zu leiten, im Fall von unerwarteten Komplikationen aber die Verantwortungnicht allein zu tragen und jederzeit einen Arzt hinzuziehen zu können.“ Außerdem, so weiß sie mittlerweile aus Erfahrung, trage die innige und nicht unterbrochene Betreuung zu einem reibungslosen und schönen Geburtserlebnis bei. „Es ist einfach für einen harmonischen Geburtsprozess wichtig, dass es nicht immer wieder zu Störungen kommt.“

Hebammengeleitete Geburt

Grundsätzlich gilt: Eine Hebamme darf eine Geburt ohne Arzt leiten, ein Arzt muss immer eine Hebamme dazuziehen.

In den Krankenhäusern ist es in der Regel so, dass der Arzt zur direkten Geburt, also ab dann, wenn das Köpfchen geboren wird, dazu kommt. Inzwischen haben alle Geburtshelfer gemeinsam neue Wege entwickelt. Zwei stellen wir hier vor, viele Varianten gibt es: Die „hebammengeleitete Geburt ohne Arzt“: Die Frau hat eine Beleghebamme, die in diesem Krankenhaus arbeitet. Schwangere und Hebamme kommen zur Geburt gemeinsam in das Krankenhaus und nutzen den normalen Kreißsaal zur Entbindung. Verläuft die Geburt normal, bleiben die werdende Mutter, der Partner und die Hebamme unter sich. Sollten Komplikationen auftreten, genügt ein Anruf und schon steht ein Arzt und - falls nötig - auch ein Kaiserschnitt-OP-Team zur Verfügung.

Der „Hebammen-Kreißsaal“ geht noch weiter. Hier errichten Krankenhäuser auf ihrem Gelände gänzlich neue Räume, in denen ausschließlich Hebammen arbeiten. Also ein Geburtshaus direkt am Krankenhaus. Kommt es während einer Geburt zu Problemen, wird die Schwangere aus diesem Hebammen-Kreißsaal heraus in das normale Krankenhaus verlegt und dort weiter betreut.

Vertrauensperson Hebamme

„Wir konnten feststellen, dass es den Frauen leichter fällt, sich während der Geburt zu öffnen, weil sie zur betreuenden Hebamme ein enges Verhältnis aufbauen. Die Mütter sind in der Regel zufriedener als nach einer normalen Klinikgeburt“, bestätigt auch Professorin Friederike zu Sayn-Wittgenstein, die den Verbund Hebammenforschung leitet und die Einführung des neuen Modells „Hebammenkreißsaal“, das erst in vier deutschen Kliniken angeboten wird, mit verschiedenen Studien begleitet. Die Professorin sieht das neue Konzept allerdings nicht als Ersatz für bisherige Modelle, sondern lediglich als Erweiterung des Geburtshilfeangebotes einer Klinik.

Gynäkologe Dr. med. Dietrich Kulenkampff vom Krankenhaus Neu-Bethlehem hat eine durchaus positive Einstellung zu den erweiterten Möglichkeiten im eigenen Haus. „Es ist eben mitunter immer noch so, dass der Arzt, sobald er hinzugezogen wird, automatisch die Führung übernimmt und so eine Hierarchie entsteht. Wobei der eine in der Hebamme durchaus eine gleichberechtigte Kollegin sieht, der andere in ihr vielleicht nur eine Hilfskraft. Da kann es unterschwellig zur Konkurrenz kommen. Wenn das die werdende Mutter spürt, ist das bestimmt nicht gut, denn wem soll sie jetzt vertrauen?“

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Alternative zur Hausgeburt

In Neu-Bethlehem ist das sicher nicht der Fall. Das neue Konzept wird von allen Beteiligten gut angenommen. 14 Hebammen nutzen die gemütlichen Entbindungszimmer mit den großen, bequemen Spezialbetten, die nach ihren Wünschen und Vorstellungen von einem Göttinger Tischlermeister konstruiert wurden. Diese Sonderanfertigung in Überbreite kann per Hydraulik in jede gewünschte Position gebracht werden und verfügt über hilfreiche Beinstützen.

Kerstin Grote-Adou: „Außerdem bietet es der jungen Familie viel Platz zum Kuscheln.“ Die Hebammen in Neu-Bethlehem – zu ihnen gehören auch Danielle Maisonnat-Leimbach und Anne-Barbara Gerstenkorn – haben in dem gemütlich eingerichteten Raum, der so gar nicht an die Kreißsäle vergangener Zeiten erinnert, bereits zahlreichen Babys auf die Welt geholfen. In einem Punkt sind sich alle einig: „Diese Möglichkeit bietet eine gute Alternative zur Hausgeburt, bei der im Fall von Komplikationen möglicherweise viel wertvolle Zeit mit dem Transport in eine Klinik verloren geht.“ „Dann ist es manchmal sehr schwer, die Frauen nach einer unterbrochenen Hausgeburt wieder zu motivieren“, ergänzt Dr. Kulenkampff.

Anheimelnde und private Atmosphäre

Neugeborenes liegt entspannt im Bett nach erfolgreicher Geburtsbegleitung durch die Hebamme

Bild: graphypubdiff - Fotolia.com

„Vor 15 Jahren kamen viele Eltern noch mit einem Wunschzettel, heute heißt es leider immer öfter: Jetzt machen Sie mal!”, bedauert Anne-Barbara Gerstenkorn. Dabei werden Wünsche, sofern sie realisierbar sind, sogar ausgesprochen gern erfüllt. Die Hebamme erinnert sich schmunzelnd an ein junges Paar, das aus dem Geburtszimmer fast eine Eventbühne machte: „Mit Champagner, Kühlbox und Kameramann!“ Und wie anheimelnd und privat die Atmosphäre hier werden kann, das hat sie auch schon recht eindrucksvoll erlebt: „Da saß plötzlich ein werdender Papa nackt auf dem Wannenrand.“

Fundierte Ausbildung der Hebammen

Doch bei aller Wärme, hübschen Anekdoten und Kuschelfaktoren sollte nicht unerwähnt bleiben, wie viel Fachwissen dahinter steckt, wie fundiert die Ausbildung von Hebammen ist und wie engagiert sie sich regelmäßig austauschen und an Fortbildungen teilnehmen, um sich optimal einzusetzen und im Bereich der Geburtshilfe stets auf dem aktuellen Stand zu sein. Dazu passt das neue Modell besonders gut. Anne-Barbara Gerstenkorn: „Wir begrüßen es sehr, dass damit den Frauen noch mehr Wege zur selbst bestimmten Geburt offen stehen und die natürliche Geburt wieder in den Vordergrund tritt, gerade in Zeiten, wo leider die so genannte ,Wunschsektio’ für einige wieder ein Thema ist.“ Beim Thema Wünsche ist Dr. Kulenkampff eher etwas vorsichtig, das Wort „Wunschsektio“ ist für ihn ein rotes Tuch. Er bestätigt, dass es da zur Zeit wieder einen gewissen Trend gibt. Gleichzeitig hat er aber auch festgestellt, dass die werdenden Eltern sich über die verschiedenen Methoden, die Geburt so weit wie möglich zu erleichtern, in der Regel gut informiert haben. Und wenn dann doch ein Kaiserschnitt nötig wird oder eine Frau sich unter der Geburt spontan beispielsweise für eine Periduralanästhesie (PDA) zur Schmerzlinderung entscheidet, so steht sofort ein Team bereit. „Genau das ist nicht nur für die Eltern, sondern auch für uns einfach ein gutes Gefühl, dass wir im Ernstfall sofort Unterstützung bekommen können“, betont Danielle Maisonnat-Leimbach.

Ärzte werden selten gebraucht

Doch in den meisten Fällen kommen die Ärzte gar nicht zum Einsatz, weil die Geburt, was manchmal vergessen wird, eben ein ganz natürlicher Vorgang ist. „Wir wollen nicht entbinden, sondern begleiten“, bringt Kerstin Grote-Adou es auf den Punkt. Und so verstehen die engagierten Hebammen sich auch. Als Begleiterinnen auf einem nicht einfachen, aber wunderschönen Weg, dessen Ziel es ist, einen neuen kleinen Menschen auf die Welt zu bringen.

Interesse an der hebammengeleiteten Geburt in der Klinik?

Es gibt inzwischen verschiedenste Modelle. Frage in deiner Klinik, was genau dort angeboten wird.

Checkliste Krankenhaus:

  1. Kann ich mit einer Beleghebamme in dieses Krankenhaus kommen?
  2. Wie viele Frauen betreut eine Hebamme des Krankenhauses gleichzeitig?
  3. Welche pränatalen Untersuchungen führen sie routinemäßig durch?
  4. Welche Routinemaßnahmen führen sie während der Wehen durch? Können diese Routinemaßnahmen abgelehnt werden?
  5. Kommt ein Arzt routinemäßig zu jeder Geburt dazu?
  6. Kann ich das Dazukommen des Arztes ablehnen, wenn die Geburt ohne Komplikationen verläuft?
  7. Kann ich mein Baby bis nach dem ersten Stillen auf meinem Bauch liegen haben?
  8. Warten sie mit dem Abklemmen der Nabelschnur bis diese aufhört zu pulsieren oder bis die Plazenta geboren wurde?
  9. Welche Routineuntersuchungen werden mit dem Neugeborenen durchgeführt?