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Regulationsstörung oder Dreimonatskolik: Tipps einer Kinderärztin zur Linderung von Bauchweh

Ein untröstlich weinendes Baby – das ist für alle Mamas und Papas herzzerreißend. Die zwei quälenden Fragen lauten: Was fehlt der kleinen Maus, was können wir tun? Vor allem gegen Abend steigt bei vielen Neugeborenen der Unruhepegel. Dreimonatskolik heißt es dann schnell ...

In diesem Artikel:

Abends schreien die Babys am heftigsten

Jeden Abend ein weinendes, schreiendes Baby – das ist anstrengend und geht an die Nerven. So hat sich niemand die erste Zeit mit dem Baby vorgestellt. Tatsächlich sind es jedoch viele Babys, bei denen gerade am Abend der Unruhepegel steigt. Dreimonatkolik heißt es dann schnell. Dabei ist es die Minderheit der Kinder, bei denen das untröstliche Weinen auf wirklich körperliche Ursachen zurückzuführen ist. Babys schreien oft, weil sie nach einem langen Tag überreizt und übermüdet sind oder sich nach Körperkontakt und Nähe sehnen. Aber es gibt eben auch die rund fünf Prozent der Babys, die wirklich von Blähungen gequält werden und deshalb schreien. Oft schreien auch diese Kinder abends am heftigsten, weil am Abend ohne die Ablenkungen des Tages und mit zunehmender Müdigkeit Schmerzen einfach stärker wahrgenommen werden.

Kinderärztin: Ursache fürs Schreien herausfinden

„Um andere Krankheiten auszuschließen, bin ich mit meiner neugeborenen Tochter zur Kinderärztin“, berichtet Mama Annika. Das ist der erste wichtige Schritt, um herauszufinden, was sich hinter dem Schreien verbirgt.
Die Berliner Kinderärztin Dr. Ulrike Gillert erklärt, wie sie herausfiltert, was sich hinter dem Schreien verbirgt. „Meine erste Frage ist immer, wie das Kind zur Welt gekommen ist, ob spontan oder per Kaiserschnitt. Bei einer Spontangeburt bekommt das Baby im Geburtskanal die Bakterien der Mutter mitgeliefert, die es für den Aufbau einer eigenen gesunden Darmflora braucht. Bei einem Kaiserschnittkind dauert es entsprechend länger, etwa drei bis vier Monate, bis sich im Darm genügend Bakterien angesiedelt haben. Das kann Blähungen machen.“ Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, Kaiserschnittbabys in den ersten Monaten Darmbakterien zuzuführen. Für Neugeborene geeignete Präparate gibt es in der Apotheke. 

Richtig Bäuern hilft kleinen Bäuchen

Eine Rolle kann auch spielen, was und wie das Baby trinkt: Klar ist, Muttermilch kann dein Baby am besten verdauen. Aber wie trinkt dein Baby? Eher hektisch und schluckt es dabei viel Luft? Oder nuckelt es ruhig vor sich hin?

Für kleine Hektiker rät Kinderärztin Ulrike Gillert zu einem Dreischritt zum Bäuern: 

  1. Nach dem Trinken das Kind aufrecht über die Schulter legen. Dadurch sammelt sich die Milch unten im Magen, die Luft oben kann besser raus.
  2.  Anschließend das Baby auf die linke Seite legen, um auch die Luft, die sich in der sogenannten Magenblase gesammelt hat, entweichen zu lassen.
  3.  Zuletzt das Baby eine Weile auf den Bauch legen. „Oft kommt dann noch ein kleiner Milchspuck“, sagt Ärztin Ulrike Gillert.Dieser Spuck sieht als Fleck auf dem Sofa oft gewaltig aus, ist aber in der Regel maximal ein Esslöffel voll und keinesfalls die Hälfte der Mahlzeit.

Zusätzlich könnten die Eltern den von Blähungen geplagten Babys Kümmelzäpfchen geben. „Ein oder ein halbes Zäpfchen in 24 Stunden.“ Alternativ lindert Kümmelöl – im Uhrzeigersinn auf das Bäuchlein massiert – oder die Beinchen anheben und im Uhrzeigersinn kreisen.

Und wie lautet Mama Annikas Tipp? „Bei meiner kleinen Maus ist Tragen  das Einzige, was gerade hilft.“ Auch Regine Gresens, Hebamme und Still- und Laktationsberaterin, empfiehlt unbedingt das Baby zu tragen (siehe Expertenrat weiterunten). 
Nähe und Körperkontakt geben  Sicherheit und beruhigen so dein Baby, das sich an unsere laute und helle Welt erst einmal gewöhnen muss. 

Wie empfehlenswert ist der Fliegergriff?

 Hilft der Fliegergriff, bei dem das Baby mit seinem Bäuchlein auf deinem Unterarm liegt, wirklich bei Bauchschmerzen? Auch AFS-Stillberaterin Liane Emmersberger hat ihr erstes Kind auf diese Weise getragen. Heute jedoch rät die in der außerklinischen Kinderintensivpflege erfahrene Krankenschwester und zertifizierte Kinästhetik-Trainerin davon ab: „Der Fliegergriff beseitigt, anatomisch gesehen, nicht die Ursache des Bauchwehs, da nur Druck auf den Bauch ausgeübt wird“, schreibt sie in der Vereinszeitschrift „Stillzeit“ der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen e. V. (AFS) (Ausgabe 2_2019). Wichtig sei hingegen eine Anhock-Spreizhaltung, bei der das Baby Fußkontakt und eine stützende Umgebung hat, damit das Baby Spannung an die Eltern bzw. den Tragenden abgeben kann. Liane Emmersberger beruft sich übrigens auf Erkenntnisse der Medizinerin Giulia Enders, der Bestseller-Autorin von „Darm mit Charme“.

Wer hilft verzweifelten Eltern  weiter?

Link-Tipp 

Kinderärztin Dr. Ulrike Gillert hat auf ihrer Internetseite www.gillert.eu ein Portal mit über 50 Kurzvideos zu den gängigsten Krankheitszuständen. „Ich möchte damit Eltern etwas an die Hand geben, was ihnen hilft, den Zustand ihres Kindes einzuschätzen und sie davor bewahrt, irgendwelche Horrordiagnosen googeln zu müssen. Gleichzeitig bekommen sie einen Tipp, was sie tun können."
Um Zugang zu den Videos zu bekommen, müssen sich Eltern per E-Mail registrieren. Die Videos sind kostenlos.

Wann sollte ich denn mit meinem Baby zum Kinderarzt gehen? „Immer dann, wenn ich mir Sorgen mache und Fragen habe“, sagt Dr. Gillert. Wenn die Schreidauer meines Babys länger ist, als ich aushalten kann, brauche ich Hilfe. Erste Maßnahme, wenn ich merke, ich kann nicht mehr: das Baby sicher ablegen, selbst kurz das Zimmer verlassen und tief durchatmen. Gut, wenn dann für eine Weile jemand anderes übernehmen kann. Neben meinem Kinderarzt kann ich mich auch an eine der bundesweiten Schreiambulanzen wenden. „Bitte, bitte das Baby auf keinen Fall schütteln!“, mahnt Dr. Ulrike Gillert, „Notlösung für verzweifelte Eltern kann auch die Kinderambulanz jedes Krankenhauses sein. Wenn ich dort anklopfe und sage, mein Kind hört nicht auf zu schreien und ich kann nicht mehr, wird die Klinik das Kind aufnehmen.“

Babymassage bei Koliken: Im Kurs lernen

Expertenrat: Häufiges Tragen hilft

Expertin Regine Gresens


Regine Gresens ist Hebamme und Still- und Latationsberaterin (IBCLC). Sie bietet Stillberatung in ihrer eigenen Praxis an: 

stillkinder.de

Wenn dein Baby viel weint, solltest du es nicht allein lassen, sondern ruhig und sicher tragen oder halten. Jüngere Babys gehören als Traglinge an den Körper eines Erwachsenen, nicht nur, während sie schreien, sondern auch, wenn sie ruhig und zufrieden sind, oder sogar während sie schlafen. Babys, die regelmäßig und viel getragen werden, weinen zudem seltener und beruhigen sich schneller, als jene, die nur dann getragen werden, wenn sie schreien. Auch werden sie beim Tragen nicht nur beruhigt, sondern auch passiv bewegt, was sie zusätzlich entspannt, so dass sie auch mögliche Darmgase leichter loslassen können. Das Tragen sollte jedoch nicht mit zu starken Schaukel- oder sogar Hüpfbewegungen einhergehen, sondern mit eher ruhigen Gehbewegungen.

Auf Grundbedürfnisse achten

Das meist abendliche Schreien oder die „3-Monats-Koliken“ sind bei den meisten Kindern kein Problem eines „unreifen“ Darms oder der Verdauung. Denn nur bei jedem 20. sogenannten „Schreibaby“ finden sich tatsächlich körperliche Gründe für das untröstliche Schreien. Zudem schreien Babys auch nicht nur dann, wenn sie Schmerzen haben, sondern meistens, weil irgendeins ihrer Grundbedürfnisse nicht erfüllt wird. In unserer westlichen Kultur ist dies leider sehr oft das Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt. Es kann aber auch Hunger, das Bedürfnis nach Ruhe, also Überreizung, oder einfach nur Übermüdung sein.

Vorsicht: Ammenmärchen!

Immer wieder wird behauptet, die mütterliche Ernährung sei Ursache für die vermeintlichen Blähungen des Babys. Blähstoffe aus der Nahrung würden angeblich durch die Muttermilch übertragen. Tatsache ist: Gestillte und flaschenernährte Babys sind gleichermaßen von den Schreiattacken betroffen. Es kann also gar nicht am Stillen liegen. Zudem gibt es nur sehr wenige gestillte Kinder, die tatsächlich allergisch auf bestimmte Nahrungsmittel der Mutter reagieren, meist handelt es sich dann um Kuhmilch-, Soja- oder Hühnereiweiß. Ist eine solche Diagnose aber vom Arzt gestellt worden, sollte die Mutter diese Stoffe natürlich für eine gewisse Zeit vermeiden und dann langsam in kleinen Dosen wieder einführen. Die Empfehlung, keinerlei blähende Lebensmittel in der Stillzeit zu sich zu nehmen, ist wirklich nicht zu rechtfertigen, da sie nicht wissenschaftlich belegt ist und der Mutter völlig unnötigerweise wichtige Nährstoffe und Vitamine vorenthalten würden.

Buchtipps

Dr. rer. nat. Joachim Bensel
Was sagt mir mein Baby, wenn es schreit?
Wie Sie Ihr Kind auch ohne Worte verstehen und beruhigen können
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4,95 €

Herbert Renz-Polster
Kinder verstehen
Born to be wild – wie die Evolution unsere Kinder prägt
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