MENU


Stillen - Warum Muttermilch die beste Babynahrung ist

Ich sitze im Stillcafé und lausche den Gesprächen. Es geht ums Eingemachte, um Milch und Stillen. Der Bedarf an Beratung ist groß. Warum ist Muttermilch so gut und wie lange soll ich mein Kind stillen? „Meine Hebamme hat sich so gefreut, dass Emil sofort nach der Geburt die Brust gefunden und getrunken hat“, erzählt eine der Mamas, „ich hab das in diesem Moment gar nicht verstanden. Aber meine Hebamme meinte, ich hätte ihm mit meiner Milch gerade zu seiner ersten Impfung verholfen.“

In diesem Artikel:

Multitalent Muttermilch - Das erste Jahr unter dem Schutz des Stillens

Tatsächlich ist die allererste Vormilch, das gelbliche, dickflüssige Kolostrum weit mehr als Nahrung. Denn es enthält einen Cocktail an wichtigen Immunstoffen, die das Kind in den ersten Lebensmonaten vor Krankheiten schützen.

Muttermilch: Was ist das?

Lies hier, was Muttermilch so einzigartig macht:
Was macht Muttermilch so einzigartig? (PDF)

„Doch auch die reife Muttermilch ist mit jedem Schluck ein Gewinn fürs Baby,“ erzählt die Hebamme. „Sie hat das Zeug zum echten Alleskönner: So vitaminreich wie ein ganzer Obstkorb liefert sie den passenden Anteil an Fetten und Eiweißen und ist dank enthaltener Enzyme leicht verdaulich.“ Daneben bietet sie eine große Geschmacksvielfalt, lernen wir, denn je nachdem, was Mama gegessen hat, verändert sich auch der Geschmack der Milch. Im Alltags-Handling ist sie unschlagbar praktisch. Muttermilch ist immer frisch, wohl temperiert und sofort lieferbar. Zudem stellt sie sich, was Menge und Zusammensetzung anbelangt, automatisch auf den Bedarf des kleinen Konsumenten ein. Darüber hinaus ist Mamas Milch auch noch äußerst preisgünstig und hat einen hohen Kuschelfaktor. Nirgendwo schläft es sich so schön ein wie an Mamas Brust – das würde mein Sohn sofort bestätigen.

Es wird vielen Kindern Beikost gegeben, bevor sie soweit sind

In der Realität werden in Deutschland im Alter von sechs Monaten jedoch nur noch rund 20% der Kinder ausschließlich gestillt. Fast die Hälfte der Babys ist dann bereits vollständig abgestillt. Eine Entwicklung, die dazu geführt hat, immer früher mit Beikost zu beginnen. Frühestens ab dem fünften Lebensmonat ist nach den derzeitigen Erkenntnissen das kindliche Verdauungssystem ausgereift genug, um andere Kost als Muttermilch oder Muttermilchersatznahrung zu vertragen. Für viele Kinder ist aber auch dieser Zeitpunkt noch viel zu früh. „Es werden hierzulande mehr Kinder zu früh (also bevor sie eindeutige Signale zeigen, dass sie etwas anderes als Muttermilch möchten. Anmerkung der Redaktion) mit Beikost gefüttert als zu spät“, sagt Gudrun von der Ohe, Ärztin und Mitarbeiterin am Europäischen Institut für Stillen und Laktation.

Ruhe bewahren und beobachten

Sowohl die Hebammenverbände, die La Leche Liga, als auch das Europäische Institut für Stillen und Laktation empfehlen Müttern, Ruhe zu bewahren und sich, was die Frage der Stilldauer anbelangt, nicht unter Druck setzen zu lassen. So gut wie alle Kinder zeigen, wenn sie reif sind für den Löffel. Die fünf Monate alte Mia guckt ihren Eltern bereits die Nudeln vom Teller. Mein Jüngster ist sieben Monate, kann sich aber für Gemüse und Co noch wenig begeistern. Alles normal. Es gibt schließlich auch Kinder, die bereits mit zehn Monaten auf eigenen Beinen stehen, während andere das erst mit gut einem Jahr für sich in Angriff nehmen. Die meisten Kinder fangen mit etwa einem halben Jahr an zu essen, einige davor und viele auch erst danach. Alles in Ordnung.

Und wie der Name schon sagt, wird die „BEI-KOST“ BEI-gefüttert, also zusätzlich zum Stillen. Der Beikostbeginn hat deshalb noch lange nichts mit dem Abstillen zu tun. „Unter dem Punkt der Allergieprävention ist nicht bedeutsam, in welchem Lebensmonat das Kind in Kontakt mit Beikost kommt, sondern vielmehr, dass dieses unter dem Schutz des Stillens geschieht“, erläutert auch Gudrun von der Ohe. Kinder, die bei der Einführung von Beikost noch gestillt werden, entwickeln seltener Lebensmittelunverträglichkeiten.

Ein Miteinander ist das Ziel

Vieles spricht dafür, dass Mutter Natur Muttermilch und Beikost als ein Miteinander ersonnen hat. Noch im zweiten Lebenshalbjahr kann ein Kind den Großteil seines täglichen Bedarfs an Vitamin B12, Vitamin A, Vitamin C und Folsäure aus 500 ml Muttermilch decken. Der im Vergleich zur meist fettarmen Beikost hohe Fettgehalt der Muttermilch hilft zudem, dass, fettlösliche Vitamine aus der Nahrung besser verwertet werden. Der hohe Anteil an Vitamin C sorgt dafür, dass das Eisen besser aufgenommen wird. Mit Muttermilch wird die Beikost zur Vollwerternährung.

Stillempfehlung

Die Amerikanische Akademie der Kinderärzte (AAP) rät Müttern zu einer mindestens einjährigen Stillzeit für alle Kinder und hat die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) übernommen, die ersten sechs Lebensmonate voll zu stillen und danach in Ergänzung zur Beikost bis zum zweiten Lebensjahr und darüber hinaus.

Stillen ist ein Rundum-Vorsorgepaket

Und auch für größere Säuglinge hält Muttermilch noch wichtige Helferchen bereit. So steigt zum Beispiel nach dem sechsten Monat der Gehalt an Lysozym in der Muttermilch an, ein Enzym, das antibakteriell wirkt und das just zu einem Zeitpunkt, wenn das Baby mobiler wird und anfängt, sich alles in den Mund zu stecken. Auch wenn ein Infekt da ist, leistet Muttermilch gute Dienste. Sie hilft, verstopfte Nasen wieder frei werden zu lassen und lindert Ohrenschmerzen. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Muttermilch gerade auch kranken Kindern sehr hilft. Zweimal hätten die Ärzte Söhne von mir schon über einen Tropf ernähren wollen, doch da ich beide Male noch gestillt habe, ging es ohne!

Stillen senkt das Risiko des plötzlichen Säuglingstodes (SIDS). Und die Natur verteilt gleich noch einen Extra-Bonus, denn Kinder, die das erste Lebensjahr hindurch oder auch noch darüber hinaus gestillt werden, haben insgesamt ein niedriges Krankheitsrisiko. Infektionskrankheiten wie Mittelohrentzündungen, Bronchitis oder Durchfallerkrankungen sind bei Stillkindern im Durchschnitt seltener und verlaufen weniger schwer. Stillen hat zudem einen lebenslang positiven Einfluss auf die Stoffwechsellage, was Krankheiten wie Diabetes, chronische Darmerkrankungen aber auch Herzkrankheiten verhindern kann.

Auch Mama profitiert. Eine lange Stillzeit hilft, überschüssige Schwangerschaftspfunde wieder loszuwerden und jeder Monat Stillen reduziert das Risiko, an Brust-, Gebärmutter- oder Eierstockkrebs zu erkranken. Entgegen der oft propagierten Meinung, Stillen raube der Mutter das Kalzium aus den Knochen, konnte eine niederländische Studie das genaue Gegenteil belegen. Demnach wird während der Stillzeit zwar mütterliches Kalzium mobilisiert, die Speicher aber nach dem Abstillen dafür umso besser wieder aufgefüllt, was eine spätere Osteoporose eher verhindert.

„Wie lange denn gestillt werden sollte?“ fragen wir uns zum heutigen Abschluss in der Stillrunde. „Jede Familie darf für sich entscheiden. Es passt, wenn das Kind es will. Denn Essen gehört genauso wie Schlafen zu den Grundbedürfnissen eines Menschen und es ist für alle Beteiligten ein Gewinn, wenn diese mit Freude statt mit Druck und Zwängen verknüpft werden,“ stellen wir gemeinsam mit der Hebamme fest. Und ein bisschen stolz bin ich jetzt schon: Dieses Wundermittel produziere schließlich ich und diese umfassende Bedeutung für das ganze Leben war mir gar nicht bewusst.

Experten-Interview


Aleyd von Gartzen, Hebamme und Beauftragte für Stillen und Ernährung des Hebammenverbandes

Warum Stillen und Beikost so gut zusammenpassen

Vier Fragen an Aleyd von Gartzen, Hebamme und Beauftragte für Stillen und Ernährung des Hebammenverbandes

kidsgo: Welchen Gewinn haben Kinder davon, die ihr erstes Lebensjahr unter dem Schutz des Stillens verbringen dürfen?

Hebamme Aleyd von Gartzen: Ein Kind, das gestillt wird bestimmt von Anfang an selbst, wie oft und wie viel Nahrung es zu sich nehmen will. Stillen ist somit ab dem ersten Lebenstag eine höchst aktive Form der Nahrungsaufnahme. Gleichzeitig jedoch bietet das Trinken an Mamas Brust einen sicheren Hafen, in den das Kind zurückkehren kann, wenn es motorisch immer selbstständiger wird und seine Umgebung erkundet. Da auch Muttermilch, je nachdem, was die Mutter selbst gegessen und getrunken hat, geschmacklich variiert, fällt es Stillkindern oft leichter, sich bei der Beikost auf neue Geschmacksrichtungen einzulassen. Zudem enthält die Muttermilch dem Alter des Kindes entsprechend wichtige Immunstoffe.

kidsgo: Warum bedeutet der erste Brei nicht gleich das Ende der Stillzeit?

von Gartzen: Die Einführung von Beikost verläuft parallel zum Stillen. Es spricht nichts dagegen, zusätzlich zu einer Breimahlzeit zu stillen. Im Gegenteil, viele Nahrungsunverträglichkeiten, und das gilt insbesondere für eine Glutenunverträglichkeit, können vermieden werden, wenn gleichzeitig gestillt wird. Daher lautet die Empfehlung, glutenhaltige Getreide, Weizen, Dinkel, Hafer und damit auch das erste Brot, unbedingt in der Stillzeit einzuführen. Zudem ist eine Portion Muttermilch ein wesentlich gesünderer Nachtisch als viele der angebotenen Kinderlebensmittel, die in der Regel im Gegensatz zur Muttermilch zu wenig Fett, aber deutlich zu viel tierisches Eiweiß und Zucker enthalten.

kidsgo: Wann ist es Zeit für die erste Beikost?

von Gartzen: Frühestens ab dem fünften Lebensmonat ist der Darm eines Babys reif genug, um Beikost zu verdauen. Doch auch das ist für viele Kinder noch zu früh. Die meisten sind mit ungefähr sechs Monaten so weit, sich auf Gemüse und Co einzulassen, bei einem anderen Teil der Kinder erwacht das Interesse erst mit acht oder neun Monaten. Ab dem siebten Monat sollten Eltern Beikost anbieten. Wichtig ist aber vor allem, auf die Signale des Kindes zu achten. Das Kind sollte mit wenig Unterstützung sitzen können, selbstständig greifen und sich Dinge in den Mund stecken können. Der Zungenstoßreflex, mit dem jegliche Nahrung sofort wieder hinausgeschoben wird, sollte weg sein. Auch die Frage, ob ein Kind sich bereits vom Rücken auf den Bauch und andersherum drehen kann, ist ein Hinweis darauf, wie weit die Zungenmuskulatur entwickelt ist. Und ganz wichtig: ein Kind muss klar machen können, dass es nicht oder nicht mehr mag, zum Beispiel durch aktives Wegdrehen des Kopfes.

kidsgo: Mein Kind ist sechs Monate, hat seinen ersten Zahn, verweigert aber jede Beikost. Was soll ich tun? Kann ich einfach noch ein bisschen weiter stillen oder braucht mein Kind unbedingt weitere Nahrung?

von Gartzen: Muttermilch ist eine vollwertige Mahlzeit, die den Durst und Hunger des Kindes stillt und ihm wichtige Nährstoffe liefert. Auch vom Kaloriengehalt steht eine Portion Muttermilch einer Beikostmahlzeit in nichts nach. Tatsächlich geht nach etwa einem halben Jahr der Eisen- und Zinkgehalt in der Muttermilch zurück, was dafür spricht, dass das Kind langsam die Bereitschaft entwickelt, zusätzliche Kost zu probieren. Ab wann ein Kind zusätzliches Eisen benötigt, hängt aber auch davon ab, wie gut der kindliche Eisenspeicher nach der Geburt gefüllt war. Ein wichtiger Faktor hierbei ist neben dem Geburtsgewicht, ob die Nabelschnur nach der Geburt noch ein paar Minuten auspulsieren durfte, bevor sie durchtrennt wurde. Ein Kind, das munter und aufgeweckt ist, hat keinen Eisenmangel und kann getrost noch ein bisschen weiter voll gestillt werden. Und auch ein Kind, das bereits mit Appetit Beikost isst, darf gern nach Bedarf weiter gestillt werden.